1. #1
    Avatar von DMW007
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    Die "Clearingstelle Urheberrecht" (CUII) entscheidet zukünftig, was die meisten von uns im Internet sehen dürfen. Relativ still haben sich dort Internetzugangsanbieter und Rechteinhaber zusammen getan, um effektiv die Gerichte komplett zu umgehen: Die Contentindustrie kann Webseiten dort melden, die sie für "rechtswidrig" halten. Das CUII-Gremium soll dies prüfen und die Bundesnetzagentur informieren. Stimmt diese zu, werden alle Internetanbieter die Mitglied der CUII sind instruiert, die Seite zu sperren.

    Wie kommt es zu Netzsperren und was bedeuten sie?
    Netzsperren gefährden das freie Internet und bieten erhebliches Missbrauchspotenzial. Daher galten sie als mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zuletzt hat das Bundesverfassungsgericht solche Sperren nur unter strengen Auflange genehmigt: Zuvor müssen alle (milderen) Rechtsmittel ausgeschöpft sein. Eine Sperre darf also nur als letztes Mittel geprüft werden. So wie es unser Rechtsstaat vorsieht, müssen Sperren verhältnismäßig sein. Diese Gerichtsverfahren möchte die CUII sich offensichtlich sparen.

    Dass die Bundesnetzagentur über Sperren entscheidet, ist fragwürdig: Ihre Aufgabe besteht in der Wahrung von Bürgerinteressen, wie unter anderem der Netzneutralität. Genau die wird durch die CUII jedoch verletzt. Schließlich schafft die "Clearingstelle Urheberrecht" ein gefiltertes Netz, wie es in noch extremer Form in China bereits Realität ist. Die Bundesnetzagentur ist nicht Qualifiziert zu entscheiden, ob eine Seite illegal ist. Inhaltskontrolle liegt nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich. Ein Anwalt äußert sich dazu, diese Konstellation sei das schlimmste vorstellbares und "total daneben" - sogar noch Schlimmer als die Uploadfilter der "EU-Urheberrechtsreform"

    Kann man sie umgehen?
    Mit einem anderen DNS-Server oder via VPN ist dies oft möglich. Allerdings nicht bei jedem Gerät und man braucht etwas Fachwissen. Da die größten Internetanbieter Mitglied der CUII sind, ist die Mehrheit der Menschen betroffen. Es gibt bereits jetzt kaum Ausweichmöglichkeiten, außer ggf. lokale Anbieter.

    Das größere Problem, was ich hier sehe ist jedoch ein Grundsätzliches: Es etabliert sich ein Internetfilter, der nicht einmal mehr von einem aktiven Richter angeordnet wurde. Auch sonst herrscht keine Transparenz, was gesperrt wurde und aus welchem Grunde. So ein Instrument bietet massives Missbrauchspotenzial zu sperren, was nicht in die eigenen Interessen passt - die Mehrheit der Nutzer werden diese Inhalte dann nicht mehr abrufen können.

    Außerdem ist zu befürchten, dass es nicht bei derart einfachen DNS-Sperren bleibt. Viele solcher Maßnahmen werden mit der Salamitaktik umgesetzt, um große Proteste zu vermeiden.

    Beispiele für Missbrauch durch Rechteinhaber
    Erwähnt sei hier auch noch, dass solche Werkzeuge von den Rechteinhabern gerne missbraucht werden - nach dem Motto: Lieber zuviel als zu wenig gesperrt. Ein Beispiel, welches sich bereits vor 5 Jahren ereignete: Universal Pictures ließ damals Localhost sperren. Localhost zeigt wie der Name schon sagt immer auf den eigenen PC, ist also keine Internetdomain. Andere Rechteinhaber wollten massenhaft Megaupload-Links sperren lassen - Jahre, nachdem Megaupload bereits vom Netz gegangen ist.

    Solche Vorfälle zeigen: Die Rechteinhaber prüfen nicht gewissenhaft. Wenn wir nun eine private Instanz haben die schnelles, undemokratisches Handeln verspricht, wird dies sicher nicht besser.

    Weitere Informationen: Netzpolitik.org - Die Rückkehr der Netzsperren.
    Ob ihr auch betroffen seid, könnt ihr auf der Seite serienstream.sx prüfen. Diese Seite ist bereits von der CUII gesperrt. Erscheint dort ein orangener Bildschirm der CUII, seid ihr von den privaten Netzsperren betroffen.

    Was denkt ihr von der Privatisierung der Netzsperren?
    Sind solche Sperren akzeptabel, vor allem wenn sie im wesentlichen von privaten Interessenvertretern stammen?
    Sollten sie aufgrund ihrer Gefährlichkeit als letztes Mittel von einem aktiven Richter verordnet werden oder gar nicht?

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    Darkfield (06.04.2021), Grammatikfehler (05.06.2021)

  3. #2
    Avatar von DMW007
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    Standard AW: Private "Clearingstelle Urheberrecht" sperrt Internetseiten ohne richterliche Kontrolle

    Bereits mitte März 2021 hat die CUII nachgelegt und Canna.to gesperrt. Dabei handelt es sich um ein Downloadseite für MP3s. Als 1und1 Nutzer konnte ich testen, dass die Seite unter Nutzung des vom Provider bereitgestellten DNS-Servers nicht mehr aufrufbar ist. Stattdessen erscheint die orangene CUII-Seite, wie oben auf dem Bild zu sehen. Auch hier gab es kein ordentliches Gerichtsverfahren, die CUII hat entschieden und sperren lassen.


  4. #3
    Avatar von Grammatikfehler
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    Standard AW: Private "Clearingstelle Urheberrecht" sperrt Internetseiten ohne richterliche Kontrolle

    Zitat Zitat von DMW007 Beitrag anzeigen
    Bereits mitte März 2021 hat die CUII nachgelegt und Canna.to gesperrt. Dabei handelt es sich um ein Downloadseite für MP3s. Als 1und1 Nutzer konnte ich testen, dass die Seite unter Nutzung des vom Provider bereitgestellten DNS-Servers nicht mehr aufrufbar ist. Stattdessen erscheint die orangene CUII-Seite, wie oben auf dem Bild zu sehen. Auch hier gab es kein ordentliches Gerichtsverfahren, die CUII hat entschieden und sperren lassen.
    Bei mir auch der Fall mit den Standard DNS-Servern von 1&1, da ich die aber nicht nutze hab ich das Problem auch nicht (vorerst, bis Sie sich was neues überlegen).
    Ich finds allgemein eine Frechheit das sich die Anbieter das überhaupt rausnehmen, das ist Zensur.
    Wohn ich in China/Nordkorea oder in einem freien westlichen Land?
    Zählt das nicht schon zu Entführung meiner Verbindung? Ich meine ich möchte eine Seite aufrufen und mein Internetanbieter schickt mich einfach woanders hin, müsste man wahrscheinlich mal rechtlich abchecken lassen.
    Fake News Verbreiter

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    Darkfield (06.06.2021), DMW007 (06.06.2021), DotNet (23.08.2021)

  6. #4
    Avatar von DMW007
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    Standard AW: Private "Clearingstelle Urheberrecht" sperrt Internetseiten ohne richterliche Kontrolle

    Das Problem ist, dass die Anbieter daran auch ein gewisses Interesse haben. Solche Dienste verbrauchen relativ viel Bandbreite. Will man als Netzbetreiber möglichst vermeiden. Vor allem wenn man dem Kunde die Bandbreite auch wirklich liefern muss, d.H. wenn zu viele Kunden zu viel Bandbreite verbrauchen, müsste man Geld in die Hand nehmen und aufrüsten. Außerdem erspart man sich so mögliche Probleme, wenn die Inhaltsindustrie das nicht hinnehmen will und nach anderen Wegen sucht. Aus Sicht der Provider kann ich das verstehen, aber das macht es für uns Kunden eben nicht besser. Im Gegenteil: Der Anbieter ist damit kein neutraler Leistungserbringer mehr. Die Grünen wollen das daher zumindest vom Bundestag prüfen lassen. Da werden sich sicher noch weiter Datenschutzvereine anschließen und direkt vor Gericht klagen.

    Damit es nicht zu direkt mit China & co. verglichen werden kann, lassen sie einen pensionierten Richters des Bundesgerichtshofes drüber schauen. Ich sehe das aber eher als Augenwischerei. Damit man sagen kann: Das wird ja nicht rein aus privater Hand entschieden, da sitzt noch ein Richter mit drin. Der Richter ist jedoch nicht einmal mehr im Amt, hat also im Sinne eines Rechtsstaates keine Befugnis irgendwelche offiziellen Urteile zu fällen. Selbst wenn der Ex-Richter nein sagen würde, kann die CUII das trotzdem machen. Rechtlich bindend ist da also überhaupt nichts.

    Nicht nur technisch weniger versierte haben dadurch ein eingeschränktes Internet. Das "bis sie sich was neues überlegen" ist der Punkt, an dem es wieder richtig gefährlich wird. An den Punkt werden sie irgendwann kommen, gibt es im Ausland teils schon. Und die Inhalte erweitern. Da fehlen noch übliche Verdächtige wie z.B. KiPo - könnte man doch auch gleich Sperren, wenn man schon eine Sperrinfrastruktur aufgebaut hat. So was weckt Begehrlichkeiten. Vor allem aktuell, nachdem Apple bereits Scans auf KiPo auf ihre Geräte ausrollt.


  7. #5
    Avatar von Bob Marley
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    Mittlerweile ist auch streamkiste.tv der CUII zum Opfer gefallen. Die Seite liefert ein Zertifikat von notice.cuii.info. Sogar von Lets Encrypt, ob das in deren Interesse ist sei mal dahingestellt.


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