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    Avatar von DMW007
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    Der Negerkuss ist das klassische Beispiel für eine Bezeichnung, die mittlerweile von vielen als Rassistisch abgelehnt wird. Die Hersteller haben ihre Produkte längst in Morenköpfe und Schaumköpfe umbenannt. Aber damit nicht genug. Nun stehen zunehmend andere Lebensmittel bzw. deren Namen in der Kritik, etwa die Zigeunersauce. 2020 handelten mehrere große Marken wie u.a. Knorr und kündigten an, ihre Saucen umzubenennen. Beispielsweise in "Paprikasauce ungarischer Art". Mittlerweile wird darüber diskutiert, dass die Pizza Hawaii kolonial stereotypisch sei: Pizza mit Ananas stammt nicht aus der hawaiianischer Küche. Dafür erinnere die Bezeichnung daran, wie die Insel Hawaii kriegerisch von den USA annektiert wurden und die Kolonialherren die überlebende Bevölkerung beim Ananasanbau ausbeutete. Kritiker hinterfragen, warum man nicht besser "Pizza mit Ananas" dazu sagt, so wie wir es bei Pizza Salami auch machen.

    Solche Diskussionen gibt es viele, und zunehmend regieren Hersteller solcher Produkte. Beispielsweise soll "Uncle Ben's Reis" in "Ben's Original" umbenannt werden. Auch der schwarze Mann soll als Markenzeichen verschwinden - es handle sich um ein herabwürdigendes Sklavenklischee, lautet die Argumentation. Nach und Nach wird der Reis daher weltweit umbenannt. Solche Fälle zeigen, wohin der Trend geht: Alles was in irgend einer Form rassistisch oder diskriminierend aufgefasst werden könnte, soll verschwinden. Das gilt nicht nur für Lebensmittel, sondern z.B. auch für Straßen, die nach ehemaligen Kolonialherren benannt wurden.

    Selbst die IT ist betroffen: "Master" und "Slave" sind seit jeher gängige Bezeichnungen, um die Technologie abzubilden: In einer Umgebung mit mehreren Servern muss einer der "Master" sein, der den Takt angibt - sonst entstehen Konflikte. "Black- und Whitelists" werden genutzt, um bestimmte Dinge zu verbieten oder zu erlauben. Einige große Unternehmen und Projekte haben erklärt, solche Begriffe nicht mehr einzusetzen. Darunter etwa SAP, Twitter, GitHub und einige Open Source Projekte. Manche Unternehmen gehen noch weiter: Twitter möchte auch außerhalb der IT sämtliche Begriffe abschaffen, die Menschen diskriminieren könnten. Beispielsweise "Mannstunden", die durch "Personenstunden" ersetzt werden. Die Idee ist nicht ganz neu. Bereits 2014 verabschiedete sich z.B. das Drupal-Projekt von Master/Slave Bezeichnungen. Allerdings hat das Thema durch die Black Lives Matter Bewegung im vergangenen Jahre einen großen Schub bekommen.

    Was wird durch die Umbenennung von Straßen oder Lebensmitteln erreicht?
    Gegner kritisieren solche Maßnahmen als Augenwischerei und Hypersensibilität: Es schafft Arbeit und Komplexität. Zeitgleich haben Betroffene keinen praktischen Nutzen davon - wenn z.B. jemand aus rassistischen Gründen benachteiligt wird, hört dies nicht plötzlich auf, nur weil man solche Begriffe gegen andere austauscht, so die Argumentation. Befürworter entgegnen, dass Sprache wesentlich mächtiger sein kann, als sie zunächst scheint. Etwa beim Framing, wo durch Einbettung in einen ausgewählten Kontext eine bestimmte Sichtweise erreicht wird. Ein Beispiel hierfür sind Terroristen und Freiheitskämpfer: Viele Menschen verbinden den Begriff "Terroristen" mit Unrecht und Gewalt, also negativ. Ein Freiheitskämpfer wird dagegen eher positiv bewertet, weil er vermeintlich zu "den Guten" gehört. In der Praxis machen jedoch oft beide das gleiche, nämlich ihre Interessen mit kriminellen Gewaltaktionen durchzusetzen. Je nach Sichtweise ist des einen Freiheitskämpfers des anderen Terroristen und umgekehrt.

    Solche Beispiele gibt es viele, auch in Deutschland. Beispielsweise meiden Politiker gerne den Begriff "Krieg", da er negative Reaktionen in der Bevölkerung auslösen kann. Selbst dann, wenn es sich eindeutig um einen Krieg handelt. Stattdessen spricht man von "Konflikt" oder "Mission". Beides deutlich abgeschwächte Begriffe. Eine Mission verbindet man nicht gleich mit Gewalt und Töten. Einen Konflikt eben so wenig. Konflikte kennt jeder aus dem Alltag mit Freunden, Kollegen, Familie, Mitbewohnern und anderen Menschen.

    Unter diesem Hintergrund erscheinen beide Positionen zumindest in einem gewissen Rahmen berechtigt. Allerdings stellt sich damit auch die Frage: Wo zieht man die Grenze? Mit genügend Interpretationsspielraum kann man in vielem Diskriminierung oder Rassismus erkennen. Ein Beispiel ist das Gendern. Selbst mit Formulierungen wie "Liebe Leser*innen/Liebe Leser und Leserinnen" kann jemand einwenden, dass diese Person sich zu keinem Geschlecht zugehörig fühlt und ihn daher weder die männliche noch weibliche Form anspricht. Braucht es für solche Menschen eine dritte Anrede? "Sehr geehrte Damen, Herren und Diverse"?

    Ist das mit Framing zu vergleichen?
    Was ich auch wichtig finde zu differenzieren: Bei den meisten dieser Begriffe ja keine böse Absicht dahinter. Ich bin sicher nicht der Einzige, der solche Bezeichnungen schon genutzt hat, ohne dabei einen Hass auf bestimmte Menschen/Nationen im Hinterkopf zu haben. Gerade ältere tun das meiner Erfahrung nach eher, weil sie es von Kind an so gewohnt sind. Da war halt z.B. "Negerkuss" ein völlig normaler Begriff, wie heute Schaumkuss. Beim Framing dagegen steckt in aller Regel Absicht dahinter. Die ARD z.B. hat kein Framing-Manual in Auftrag gegeben, um möglichst transparent und wahrheitsgemäß zu sein. Im Gegenteil: Da wird sogar explizit empfohlen, Moral statt Fakten in den Fokus zu setzen. Die Absicht ist also klar: Man will den Zuschauer in eine bestimmte Richtung lenken, die der eigenen Position nutzt. Das ist aber ja eben meist nicht der Fall, wenn jemand z.B. Master/Slave benutzt, um einen technischen Ablauf zu erklären. In der Regel geht es schlicht darum, den Ablauf zu erklären - nicht darum, dass z.B. dunkelhäutige Menschen sich in die Rolle des Sklaven versetzen und damit erniedrigt fühlen sollen. Worüber man natürlich diskutieren kann ist, in wie fern dies ungewollt geschieht.

  2. The Following User Says Thank You to DMW007 For This Useful Post:

    Darkfield (11.09.2021)

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