Aufweichung der Terror-Einschränkung: Staatstrojaner für Alltagskriminalität

[DMW007]

Kurz vor der Bundestagswahl arbeitet die große Koalition daran, den Staatstrojaner massiv auf alltägliche Rechtsverletzungen auszuweiten. Kurzfristig wurde dafür die "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" zur Reform des Strafprozessrechtes hinzugefügt. Diese regelt neben der Videoaufzeichnung von polizeilichen Vernehmungen viele weitere Dinge. Teilweise wurde der Staatstrojaner vereinzelt bereits in der Vergangenheit für solche umstrittenen Delikte eingesetzt. Etwa gegen einen Bodybuilder, der des Handels mit Anabolika verdächtig wurde. Oder andere Verdächtige, die illegale Zigaretten verkauft haben sollen. Der neue Entwurf sieht vor, dass solche Verdächtigen zukünftig legal mit Schadsoftware infiziert werden dürfen, die sie nahezu vollständig überwacht.

Der Einsatz des Staatstrojaners ist höchst umstritten: Er erlaubt das heimlich ausspionieren der Kommunikation und sogar abgreifen persönlicher Daten, die auf dem Computer des Opfers gespeichert sind. Aufgrund dieser tiefen Eingriffe in die Privatsphäre der Bevölkerung wurde er daher zunächst verboten. Das Bundesverfassungsgericht erlaubte den Einsatz später, jedoch nur unter strengen Auflagen: Es muss Anhaltspunkte für eine konkrete und schwerwiegende Gefahr wie geplante Mord- oder Terroranschläge bestehen.

Quelle: Noch vor der Bundestagswahl: Staatstrojaner soll auch gegen Alltagskriminalität eingesetzt werden

Damit tritt mal wieder der bei solchen Themen so oft befürchtete Worst-Case-Fall ein: Im Namen der Terrorabwehr werden Grundrechte eingeschränkt, und wenige Zeit später kommt es zu massiven Erweiterungen. Diese haben mit der ursprünglich als Argument angeführten Terrorismusbekämpfung wenig bis gar nichts mehr zutun, schränken Freiheit und Sicherheit der Bevölkerung dafür nicht unerheblich ein.

Sollen Behörden für normale Strafverfolgungen, bei denen es nicht um besonders schwere Verbrechen geht, legale Computersabotage durchführen dürfen?
Der CCC sieht Staatstrojaner als Hochrisiko-Schadsoftware.
Postet eure Meinung zum Thema!

[Darkfield]

Dazu ein Zitat von Benjamin Franklin:
Wer wesentliche Freiheit aufgeben kann um eine geringfügige bloß jeweilige Sicherheit zu bewirken, verdient weder Freiheit, noch Sicherheit
Quelle: https://de.wikiquote.org/wiki/Benjamin_Franklin

[Silidor]

Finde ich teilweise Besorgnis erregend, aber auf der anderen Hand ist es mir auch relativ egal. Ich habe z.B. nix zu verbergen und dementsprechend ist es mir egal, ob ich dann von so ner Scheisse infiziert werde. Lieber ein Bundestrojaner als irgendein Keylogger, der sich dann alle Passwörter und Accounts krallt und damit jeden beschissenen Stuff kauft. Ich denke, dass man immer einen Mittelweg finden muss und diesen dann beibehalten muss.

[DotNet]

Dir ist offensichtlich nicht klar, was ein Trojaner alles anrichten kann, wenn er mal auf dem PC ist... Der könnte ohne Probleme Tastenanschläge protokollieren. Genau wie jederzeit andere Programme nachzuladen oder gar Daten zu manipulieren.
Und zu behaupten "Ich habe ja nichts zu verbergen" ist ein Totschlagargument, das ein grobes Missverständnis der elementaren Grundrechten aufzeigt. Man muss diese Logik nur mal auf andere Dinge übertragen, z.B. "Ich habe nichts zu sagen, also ist mir die Meinungsfreiheit egal". Schon merkt man, wie gefährlich diese Aussage ist - sowohl für sich selbst, als auch auf andere bezogen. Geht man noch weiter, könnte ein gesunder Mensch auch sagen: "Mir geht es gut, also sind mir Ärzte, Krankenpfleger usw. egal". Dass es andere Menschen gibt die diese Personen brauchen und man selbst sehr leicht in diese Lage kommen kann, liegt auf der Hand.

Das ist auch bei der Privatsphäre und den Freiheitsrechten nicht anders. Selbst wenn man tatsächlich daran glaubt nichts zu verbergen zu haben: Ist keine Ausnahme, dass der falsche Verfolgt wird, weil er gleich heißt oder der Name des wahren verdächtigen falsch geschrieben wurde - ganz simple Fehler, auf die man keinen Einfluss hat reichen schon, und schon hat man sehr viel zu verbergen. Denn es ist auch kein Geheimnis, dass Geheimdienste mangels Kontrolle außerhalb des Rechtsstaates operieren. Das Zerstören des Rufes und der Karriere durch diskreditierende Äußerungen ist dabei noch harmlos. Generell sind wir hier in Deutschland noch vergleichweise "gut" dran. In den USA landen Verdächtige - egal ob Schuldig oder nicht - ganz schnell in einem sogenannten "Black Site", einem Geheimgefängnis, wie z.B. Guantanmo. Viele existieren offiziell gar nicht, weil die Inhaftierten dort kein faires Gerichtsverfahren erwartet, sondern auf illegale und menschenverachtende Art gefoltert sowie auf allerlei andere grausame Arten misshandelt werden.

Unschuldige "Kollateralschäden" wie das so schön genannt wird, nimmt man dabei bewusst in Kauf. Alleine in Guantanamo sind fast 1/4 aller jemals inhaftierten Häftlinge unschuldig. Diese wurden dort Jahrelang gequält, bis sie als psychisch total misshandelte Menschen freigelassen wurden. Und das sind nur die Fälle, von denen es im Nachhinein bekannt wurde. Die Dunkelziffer ist sicher höher. Alleine schon wegen den immer wieder vorkommenden "unerklärlichen Todesopfern", bei denen nicht bekannt ist, ob sie tatsächlich ein schweres Verbrechen begangen haben oder nicht.

Gesetze wie dieses fördern solche Zustände, auch in Deutschland. Wenn wir so weiter machen, sind wir in ein paar Jahren auf einem ähnlich katastrophalen Level wie die USA, in denen der Rechtsstaat bereits seit Jahren erheblich durch die Geheimdienste umgangen wird - man kann fast schon von einer Schattenregierung sprechen. Selbst wenn man tatsächlich naiv glaubt, nichts zu verbergen zu haben: Will man solche Zustände wirklich haben? Kinder in eine solche Welt setzen, die noch verschlimmerte Zustände wahrnehmen werden?

Dazu zitiere ich Bertholt brecht, da er dies in einem Satz sehr treffend auf den Punkt bringt:

Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!

[Stehsegler]

Ich denke, dass man immer einen Mittelweg finden muss und diesen dann beibehalten muss.

Der einzige Satz deines Beitrages, den ich ohne Einwände unterschreiben würde - den Rest hat @DotNet bereits sehr gut erklärt, an der Stelle danke für die ausführliche Aufklärung!
An sich müssen wir überall einen sinnvollen Kompromiss finden, der zwischen Freiheit/Alltagstauglichkeit und Sicherheit abwägt. Ansonsten würden wir z.B. LKWs verbieten, weil damit in letzter Zeit vermehrt Morde verübt werden. Das wäre jedoch völlig unverhältnismäßig, weil damit Großteile der Versorgung wichtiger Güter nicht mehr möglich wären. Man denke nur an Lieferungen für Lebensmittelläden, oder Benzin für Tankstellen.

Das Problem beim Thema Staatstrojaner ist: Regierungen und Regierungsbehörden versuchen ständig, dieses Gleichgewicht zu verschieben. Und zwar zu ihrem Vorteil, was letztendlich zum Nachteil der "normalen" Bevölkerung wird. Wenn Verhältnismäßigkeit keine Rolle spielt, könnten wir alle Wohnungen, Straßen usw. mit Kameras/Mikrofonen Totalüberwachen. Damit würden wir nicht nur Terroristen beim Planen ihrer Anschläge ertappen, sondern auch Vergewaltiger, Kinderschänder und so weiter, also eigentlich doch die perfekte Idee, oder? Machen wir trotzdem (noch) nicht, weil völlig Unverhältnismäßig. Was hier gefordert wird, geht aber in die Richtung. Der Staatstrojaner hat schließlich auf alle Hardwaregeräte (Mikrofon, Kamera) und persönlichen Daten Zugriff. Die gesamte Wohnung wird damit zwar noch nicht überwacht, aber immerhin schon ein nicht unerheblicher Teil.

Ich sehe daher mit großer Sorge, wie der Staat unter dem Vorwand der Gefahrenabwehr immer tiefer versucht, Privatsphäre und tatsächliche Sicherheit der gesamten Bevölkerung einzuschränken.