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    Standard Medienkompetenzübung: Pakistaner haben Diabetes, weil sie zu wenig Fleisch essen?

    Prof. Peer Ederer hält auf dem Schweinetag im Lehr- und Versuchszentrum Futterkamp einen Vortrag. Kernthesen: Es gibt keine Beweise dafür, dass Fleisch ungesund sei. Im Gegenteil, 100g Fleisch und 100g Milchprodukte seien gesund und bei Letzterem dürfte es auch gerne mehr sein. Argumentiert wird unter anderem mit der Gesundheit: Länder wie Pakistan hätten weltweit die höchsten Raten von Typ 2 Diabetes, weil sie zu viele Kohlenhydrate konsumieren. Der Tenor ist klar: Würden die mal mehr Fleisch essen, ginge es denen besser. Bei dem Publikum rennt er damit natürlich offene Türen ein.

    Zunächst muss man grundlegend über Diabetes wissen, dass es davon mehrere Typen gibt, die sich durch ihre Ursachen unterscheiden: Typ 1 wird primär vererbt, d.H. wer daran erkrankt, ist in der Regel nicht selbst schuld. Der Betrifft vor allem Kinder/Jugendliche von ca. 10 - 16 Jahren. Typ 2 dagegen hat nichts mit der Genetik zu tun, sondern mit dem typischen westlichen Lebensstil: Übergewicht & Bewegungsmangel sind die größten Risikofaktoren. Typ 3 entsteht als Folge durch andere (seltenere) Krankheiten, die wiederum auf Drogen (z.B. starker Alkoholkonsum) zurück gehen können. Meistens meint man bei Diabetes den Typ 2, weil das die zum Klassiker gewordene Zivilisationskrankheit geworden ist (weltweit ca. 90% der Diabetiker). Früher trat das daher eher bei älteren Menschen auf, weil ihr Kalorienbedarf sinkt und sie sich nicht mehr so viel bewegen wollen oder können. Dadurch werden sie dick und der Körper kann Glucose immer schlechter verarbeiten, also kommt es zu Diabetes Typ 2.

    Seit einiger Zeit betrifft das aber nicht mehr nur Rentner, die im Ruhestand einige Kilo zu viel angesammelt haben. Sondern auch jüngere Leute, weil am PC zocken & dabei Burger essen halt bequemer ist, als ausreichend Sport zu treiben. Als Folge zeigte eine Studie von 2014 - 2017, dass 9,5% der Kinder und Jugendlichen (3-17 Jahren) zu dick sind. Und 5,9% fettleibig, d.H. die haben nicht nur ein paar Kilo zu viel. Das ist eine Hausnummer, wenn man bedenkt, dass die im Wachstum sind und oft einen guten Stoffwechsel haben. Bei den Älteren wird es daher noch viel schlimmer: In der Gesamtbevölkerung haben nur 40% ein normales Gewicht, 20% Fettleibig. Klar hat man grade beim BMI auch einen Teil muskulöser Menschen, die deswegen schwer sind. Man muss jedoch nur einen Arzt fragen oder auf die Straße schauen um zu sehen, die sind eher ein kleiner Anteil.

    Mit diesem Vorwissen schauen wir jetzt mal, was in Pakistan los ist. Tatsächlich hat sich die Zahl der an Diabetes erkrankten alleine von 2016 - 2022 weit mehr als verdoppelt, Tendenz steigend. Damit liegt das Land weltweit auf Platz 3 nach China und Indien. Der Prof. Peer Ederer spricht von Pakistan, Ägypten und Indien. Lassen wir das mal stehen, grade bei dem Wachstum kann sich das mit leicht älteren/neueren Daten verschieben und für die Kernthese ist es egal, weil die lautet ja: Zu viele Kohlenhydrate. Diese Studie hat sich Pakistan 2022 angeschaut und sagt, das liegt an einem veränderten Lebensstil: Viel sitzen, Fettleibigkeit und ein höherer Konsum verarbeiteter Lebensmittel mit hohem Zuckergehalt. Tendenz steigend, weil viele Fertiggerichte essen und sich wenig bis gar nicht bewegen. Die nächste Generation Typ 2 Diabetes wird also schon gezüchtet.

    Übermäßige Kohlenhydrate sind hier ein Aspekt, da hat der Prof. nicht Unrecht. Aber es ist halt auch nicht die ganze Wahrheit: Wenn die ihr Nutella, Cornflakes & co. durch Schnitzel mit Pommes, Burger usw. ersetzen, ist der Diabetes dann weg? Nein: Eine der Hauptursachen ist Übergewicht. Mit Süßigkeiten erreiche ich das besonders leicht, weil die gut schmecken und viel Kalorien enthalten, ohne zu sättigen. Fleisch ist jedoch nicht gerade kalorienarm, vor allem bei Fast Food, wo gerne noch kalorienhaltige Saucen dazu kommen. Man kann auch vegetarisch mit z.B. Pommes und Majo Übergewichtig werden, oder Pizza mit Mozzarella. Man könnte aber auch selbst ein Gericht mit wenig oder ohne Fleisch zubereiten, das aus gesunden Zutaten besteht. Wer dann ab und an mal etwas Fleisch aus guter Qualität isst, bekommt keine Probleme.

    Zu suggerieren, man müsste bloß auf Fleisch umstellen, ist falsch. Sagt auch die Studie an mehreren Stellen: Die Inzidenz von Diabetes ist in Städten über 9x höher, als in ländlicheren Gebieten. Weil man in den Städten oft den ganzen Tag sitzt und danach ein Fertiggericht in den Ofen schiebt. Die Leute sollen nicht Schnitzel mit Pommes statt Ravioli aufwärmen, sondern brauchen eine Ernährungsumstellung, die Kalorien reduziert. Und wenn wir über einen gesunden Lebensstil reden, dann müssen die sich in jedem Fall ausreichend bewegen. Der Mensch ist nicht für viel Sitzen gemacht. Selbst mit der besten Ernährung wird das mittel- bis langfristig zu anderen gesundheitlichen Problemen wie z.B. Rückenschmerzen führen.

    Hier wird also ein auf den ersten Blick plausibles Argument genutzt, um die eigene Haltung zu stützen. Verschwiegen wird dagegen das drum herum. Das ist eine beliebte Manipulationstaktik, weil sie nicht auf den ersten Blick als Lüge erkennbar ist. Selbst wer sich etwas Mühe macht, die Behauptung zu Pakistan zu prüfen und das nur kurz überfliegt, merkt nur: Der hat Recht, Pakistan steht weltweit unter den Top 3 bei Diabetes. Dass die Schlussfolgerung des Professors so allerdings nicht haltbar ist, sieht man erst, wenn man sich die Krankheit und Studie etwas genauer anschaut. Vor allem auf einer Art Lobbyveranstaltung ist die Vorgehensweise natürlich optimal, der rennt offene Türen ein. Wer will nicht gerne hören, dass sein durchaus umstrittenes Produkt gar nicht schlimm ist, sondern sogar gesund?

    Wäre er wirklich objektiv, dann würde er auch seine Kritik anders formulieren. Beispielsweise anfangs, als die WHO-Warnung vor Fleisch als krebserregend und vergleichbar mit Tabak zerrissen wird. Dazu gibt es Studien, die darauf hindeuten, dass nicht mal Fleisch an sich so problematisch ist. Sondern verarbeitetes Fleisch wie z.B. Wurst. Und genau das wird ja überwiegend konsumiert. Noch dazu aus billiger Massenproduktion, wo man generell nicht die höchste Qualität erwarten kann.


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    Darkfield (10.12.2023)

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