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  1. #1

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    Standard Der lustige Tagebucheintrag

    Dieses Thema dient der humorvollen Verarbeitung eures Alltags. Wenn euch etwas lustiges, ungewöhnliches oder einfach nur interessantes passiert, schreibt es hier auf!

    - - - Aktualisiert - - -

    Ich mag Tankstellen. Tankstellen sind eines der letzten Ressorts in denen völlige Gleichberechtigung herrscht. Jeder muss tanken, egal ob er einen schimmeligen 740er Volvo aus den 80er Jahren, oder eine Mercedes S-Klasse in AMG Ausführung unterm Arsch hat. An der Tankstelle sind alle gleich.

    Nun manchmal wünsche ich mir schon eine zwei Klassen Gesellschaft an der Zapfsäule. Manchmal, nur manchmal, möchte ich dass ein Footman nach englischem Vorbild, den Herrn neben mir an der Zapfsäule, respektvoll darauf hinweist: „Verzeihen Sie! Dies ist der Tankbereich von Sir Snakesplane. Darf ich Ihnen die Zapfsäule für Bedienstete zeigen?“
    Eine schöne Utopie. Stattdessen lässt dieses – ich vermute zumindest – menschliche Wesen neben mir, krachend einen unters Hallendach fahren. Bei dem Geräusch sehe ich eine weiße Feinripp-Unterhose vor meinem geistigen Auge zerbersten. Obwohl ich an einer Tankstelle nicht gerade auf einen Lesezirkel des Feuilleton gehofft hatte, zwingt mich die widerliche und völlig ungehemmte Lautstärke der Gasabsonderung, in meiner direkten Umgebung, dazu dem Verursacher einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen.
    -> Hätte ich es doch gelassen! Bereits ein kurzer Blick in dieses … naja … nennen wir es freundlicherweise mal „Gesicht“ lässt mich erkennen, dass ich völlig falsch lag: Die von der Druckwelle in die Knie gezwungene Feinripp-Unterhose war mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr weiß.


    Ein etwa 5 Sekunden andauerndes Studium meines Gegenübers, gibt mir einen groben Überblick über seinen Lebenslauf:
    Alter – ca. 20, könnte allerdings auch schon 40 sein, Alkohol soll ja bekanntlich konservieren. Obwohl ich seine Eltern nicht kenne, lässt ein flüchtiger Blick auf das Fishbone Hoodie (ja die gibt’s tatsächlich noch) und die einstmals giftgrünen FILA Turnschuhe, auf einen Doppelnamen in Richtung Justin-Paskal oder Kevin-Gallagher (weil er zu den Klängen eines Oasis Songs gezeugt wurde) schließen. Sein größter Stolz ist der erweiterter Hauptschulabschluss, welchen er nach 11 Jahren (so schnell war noch niemand in seiner Familie) abgelegt hat. Dass er noch bei Mutti wohnt stört Ihn wenig, schließlich hat er ja sein eigenes Zimmer und seit kurzem auch einen eigenen Wohnungsschlüssel. -> Läuft!

    Kevin-Gallagher ist durch meinen Ekel keineswegs peinlich berührt. Wie zum Nachweis seiner Potenz, drückt er sich krampfhaft noch eine Darmverwindung heraus, welche allerdings weder die Qualität noch die Quantität des Vorgängers erreicht.

    „Das Dach scheint nachzugeben. Hehehe!“ – Oh mein Gott! Es spricht! Das war offensichtlich ein Versuch witzig zu sein.
    „Jaja, hier läuft so Mancher mit Dachschaden rum.“ – Warum rede ich mit dem?
    „Ja ich will ja nur schnell tanken. Muss ja noch zu meiner Freundin. Die brauchs mal wieder so richtig dirty. Weest schon ne.“ – Warum erzählt er mir das?
    „Naja für dreckig kann ich mir kaum einen kompetenteren Ansprechpartner vorstellen.“
    „Was willst n damit sagen?“ – Oh je, jetzt habe ich den Primaten in seinem Selbstbild verunsichert.
    „Damit wollte ich zum Ausdruck bringen, dass Sie zweifelsohne auf zahlreichen Gebieten bewandert sind.“ – Mein Gegenüber versucht meine Worte zu sammeln und in einer für Ihn verständlicheren Reihenfolge neu anzuordnen.
    „Ach so. Ich dachte schon du willst mich ficken, Alter.“
    „Nein, nein, dafür ist doch Ihre Freundin zuständig. Die freut sich bestimmt schon.“ – Immer gut zureden, vielleicht geht er dann irgendwann weg.

    Kelvin-Gallagher rülpst ungeniert in meine Richtung, schüttelt den Tankzapfen mit welchem er sein stolzes Gefährt (einen etwa 20 Jahre alten VW Polo) penetriert hat und begibt sich mit der Eleganz eines Mannes der schon alles gesehen hat, Richtung Tank-Shop. Nun werden mir zwei Probleme bewusst:
    1. Der Wind steht an diesem Abend denkbar ungünstig; Ein Wolkengemisch bestehend aus den verschiedenen Körperabsonderungen von Kevin-Gallagher, umgibt mich innerhalb von Sekunden.
    2. Mein Tank ist voll. Dementsprechend muss ich Kevin-Gallagher in einen geschlossenen, Raum mit vergleichsweise geringer Frischluftzufuhr folgen. Obwohl ich den Mann erst seit wenigen Momenten kenne, ist mir die unmittelbare Gefahr für meine olfaktorische Wahrnehmung sofort bewusst.

    Ich betrete den Tank-Shop in einer ähnlich lebensverachtenden Pose, wie der Antiheld eines Western in Richtung Duell schreitet. Das hier ist mein „High Noon“, mein „Appalossa“, mein „Todeszug nach Yuma“ und in meinem Kopf ist es 12:00 Uhr mittags.
    Kevin-Gallagher hat sich bewaffnet mit drei XXL Dosen Faxe Bier, zwei Packungen Chips und einem kleinen Jägermeister, am Kassentresen aufgebaut. Die junge Frau welche man hier unrühmlicher weise die Abendschicht übernehmen lässt, passt mit Ihren knallroten Haaren und einem Körperbau wie Adelle in Ihren untersetzteren Jahren, so rein gar nicht zu dem Film welcher sich da in meinem Kopf abspielt. Wo sind hilfesuchende Frauen mit der Eleganz einer Ornella Muti, oder Claudia Cardinale wenn man sie mal braucht?

    Während ich mich langsam, aber entschlossen Richtung Kasse schiebe, muss ich den erschreckenden Ausführungen von Kevin-Gallagher lauschen. Halb schreiend, halb nuschelnd (eine Kombination welche ich sonst nur von Götz George als Schimanski kenne) erkundigt er sich nach dem reichhaltigen Angebot an Präservativen:
    „Wo habt n Ihr die B Boy?“
    „Äh ich weiß nicht? B Boy? Was willste?“ - Das Mädchen tritt erstaunlich gelassen und selbstsicher auf. Vermutlich kennt Sie Typen wie Kevin-G.
    „Na B Boy. B Boy. Mensch die bunten Boys!“ – Kevin-Gallagher scheint zu glauben, durch die ständige Wiederholung einer unbrauchbaren Worthülse, doch noch den von Ihm begehrten Artikel zu erhalten.
    „Ich glaube der Herr mein Billy Boy Kondome.“ – Schalte ich mich ein, um dieses unwürdige Schauspiel abzukürzen.
    „Na genau Alter! B Boys. Du verstehst mich. Du bist off meiner Welle.“ – Ich finde Beleidigungen habe ich nicht verdient, aber ich lasse Ihn gewähren.

    Adelle zeigt Ihm die Pariser und bei einem Blick auf das Preisschild, fängt mein neugewonnener Freund an, die Summe seiner angesammelten Güter zu überschlagen.

    „Äh muss ich bei euch mit Nummer machen, oder mit Unterschrift?“
    „Kartenzahlung erfolgt bei uns nur mit Pin.“ – Meint Adelle sichtlich genervt und wirft mir einen augenrollenden Blick zu. Welchen ich schmunzelnd erwidere.
    „Scheiße, den Pin kenn ich nicht.“ – Aha! Jaja, den Pin soll man ja auch geheim halten. Wenn man Ihn selber nicht weiß, kann man sich auch nicht verplappern. Guter Mann!
    „Ja dann geht nur Barzahlung.“

    Kevin-G. kramt in seinem abgewetzten Borussia Dortmund Portemonnaie nach Geld, schaut in Richtung der Bierdosen und meint dann ernüchtert:

    „Naja, dann lasse ich die B Boys erst mal hier.“ – Ich glaube einen Hauch Scham wahrzunehmen, als sich Kevin-G. wieder an mir vorbei schiebt, aber vielleicht hat er auch nur wieder gebläht.
    „Na klar, man muss ja Prioritäten setzen.“ – Sollte ich Kevin wirklich dazu ermutigen sich zu alkoholisieren und im Gegenzug die Kondome liegen zu lassen? Wäre es nicht eher meine Pflicht, seiner unkontrollierten Fortpflanzung Einhalt zu gebieten?
    „Die wären ja eh zu klein gewesen. Ich brauch die XXL, sonst schnürt es mir mein Teil ab.“
    „Jaja, nächste Größe Feuerwehrschlauch. Ich weiß Bescheid.“ – Es ist wirklich erschreckend, wie genau ich weiß was Kevin-G. hören möchte.

    Nach dem Bezahlvorgang (eine Tüte Chips muss auch noch zurückgelassen werden), dreht sich Kevin zu mir um und klopft mir auf die Schulter: „Du Bist in Ordnung. Endlich mal normale Leute hier.“ – Toll nun muss ich eine Wellensteyn-Jacke für 500,- € verbrennen.

    Nachdem Kevin-Gallagher den Shop verlassen hat, tritt eine geradezu melancholische Ruhe ein. Adelle kassiert mich überschwänglich freundlich ab und ich verlasse ohne ein weiteres Wort zu verlieren den Tankshop.

    In meinem Kopf aber spielte sich die Abschiedsszene wie in ‚Spiel mir das Lied vom Tod‘ ab:
    Ich: „Mach’s gut Kleines!“
    Sie: „Wenn du irgendwann zurückkommen willst, ich werde auf dich warten.“
    Ich: „Irgendjemand wartet immer.“
    Geändert von snakesplane (18.01.2016 um 14:12 Uhr)

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    American Psycho (28.11.2016), ano23 (12.07.2016)

  3. #2

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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    Inspirationsquellen für lustige Alltagsbegebenheiten kann sich der geneigte Leser z.B. bei belauscht.de verinnerlichen.

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    snakesplane (26.01.2016)

  5. #3

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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    Wasserrohrbruch und andere Kleinigkeiten

    Es gibt nichts besseres als eine heiße Tasse Kaffee am Morgen. Gut, eine Zigarette dazu ist sogar noch belebender. Wirklich hellwach ist man aber erst, wenn man mit der Zigarette in der einen und der Tasse Kaffee in der anderen Hand, nur in Socken und Bademantel gekleidet, plötzlich in etwas Nassem steht. Ein kurzer Kontrollblick verriet mir, dass ich noch nicht - oder zumindest nicht an diesem Morgen inkontinent geworden war. Vielmehr handelte es sich nach einer ersten Geruchs- und Geschmacksprüfung, um handelsübliches Leitungswasser.

    In einem kurzen Anfall von Panik, werden eilig die Dichtungen des Spülensiphon, der Mischbatterie und des Spülmaschinenabflusses geprüft. Bei dieser Gelegenheit werden zunächst der Kaffeebecher und das benachbarte Orangensaftglas umgestoßen, bevor mit der noch immer glimmenden Zigarette, ein etwa 10 Cent großer Brandfleck im Bademantel hinterlassen wird.

    Der somit angerichtete Schaden ist nicht gänzlich umsonst, schließlich konnte man schon mal drei mögliche Ursachen für die Bewässerung des Laminatbodens ausschließen. Letztendlich bringt mich meine fachkundige Beobachtungen der Situation - insbesondere des weiterhin steigenden Wassers - zu dem Schluss, einen ortsansässigen Rohrinstallateur kommen zu lassen.

    "Sanitär- und Rohrinstallation Meier. Thorsten Meier am Apparat."
    "Guten Tag. Ich benötige bitte Hilfe. In meiner Küche läuft irgendwo Wasser aus."
    "Wo läuft den das Wasser aus? Das müssen Sie schon etwas genauer sagen."
    "Wenn ich das wüsste würde ich Sie ja wahrscheinlich nicht behelligen müssen."
    "Na dann müssen wir uns das wohl mal angucken. Wann haben Sie den in der kommenden Woche Zeit."
    "Zeit? Kommende Woche? Ich brauche JETZT Hilfe. Das Wasser steigt und ich bin kein allzu guter Schwimmer."
    "Also heute wird das aber nichts mehr. Vielleicht am Freitag wenn ich ein Bisschen was schiebe."
    "Ich brauche HILFE"
    "Na gut wir kommen. Aber das ist dann ein kurzfristiger Notfalldienst, der kostet extra." - Wie unaufmerksam von mir, meinen Wasserschaden nicht längerfristig zu planen.

    Keine zwei Stunden nach meinem gemeldeten Notfall, stehen der Wasserrohrdoktor und sein treuer Gehilfe vor meiner Haustür. Zunächst werden die Dichtungen des Spülensiphon, der Mischbatterie und des Spülmaschinenabflusses geprüft. Bei dieser Gelegenheit wirft der Gehilfe des Chefarztes, den von mir gereichten Kaffee in einer ähnlich formschönen Bewegung um, wie ich das wenige Stunden zuvor schon praktiziert habe. - Offensichtlich sind meine Fähigkeiten als Klempner weiter entwickelt, als ich dachte. Bahnbrechende Erkenntnis dieses ersten Arbeitsschrittes: Hier tropft nichts.

    Als nächstes werden die Wasseranschlüsse im - auf der anderen Wandseite liegenden - Badezimmer kontrolliert. Auf welchen unerklärlichen Wegen das Wasser aus einem tropfenden oder undichten Anschluss im Badezimmer, über den Korridor, zwei Türschwellen und eine kleine Treppenstufe hinauf, seinen Weg in die Küche finden sollte, erschließt sich mir nicht. Aber die Herren sind ja Profis. Erwähnen Sie zumindest ungefragt, alle 5 Minuten. Ergebnis dieses zweiten Arbeitsschrittes: Hier tropft nichts.

    Dann wird es abenteuerlich: Der Meister geht zum Wagen und kommt mit einer Art Stethoskop zurück. "Damit kann ich hören, wo es in der Wand tropft." - In meinem Haus hört man trotz Stethoskop nichts tropfen, aber man kann die Eheleute aus der angrenzenden Doppelhaushälfte beim Geschlechtsakt hören. - Ich möchte das Gerät kaufen.

    Die Erkenntnis aus diesem Arbeitsschritt: "Das Wasser muss in der Wand vom Badezimmer austreten und läuft dann in die Küchenwand hinein, um hier (dabei zeigt der Chef auf die Pfütze auf dem Laminat) aus zutreten. Ihr Haus hat nämlich ein leichtes Gefälle."
    An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, dass der Küchenboden ca. 30cm über der Höhe des Badezimmerbodens liegt, aber noch bevor ich protestieren kann, hat Herr Meier mit seinem treuen Handlanger, schon die ersten Kacheln im Badezimmer, fachmännisch abgeschlagen. Dabei tritt blankes Entsetzen über den Pfusch der Fließenleger zu Tage: "Hier stimmt ja kein Fugenabstand. Am Besten alles neu machen. Ich kann Ihnen da einen guten Kollegen empfehlen."

    Ein Blick in die nun offen liegenden Eingeweide meines Badezimmers zeigt: Hier tropft nichts.

    Also das selbe in grün, von der Küchenseite aus. Kacheln abgeschlagen, Putz eingerissen, Kamera rein und: Hier tropft es!

    Aus einem kleinen, kaum zu erkennender Riss im Wasserrohr sprudelt das kühle Nass. Herr Meier und sein Gehilfe klatschen sich ab, als hätten Sie gerade das Finale der Fußballweltmeisterschaft gewonnen. Beim Anblick des entstandenen Schadens in meiner Doppelhaushälfte, verweigere ich jedoch die abgestrebte Siegesumarmung des Rohrinstallateurs. - "Kein Wunder wenn Kupfer so gelötet wird. Ich empfehle Ihnen, alle Kupferrohre raus und Kunststoffrohre rein."

    Nun ist eine Woche vergangen. Der von Herrn Meiers Schwager neu verlegte Laminatboden ist noch immer trocken und der Neffe von Herr Meier hat bei der neuen Verkachelung im Bad und in der Küche ganze Arbeit geleistet. Ab und zu machen die Rohre jetzt so komische knackende Geräusche in der Nacht. Wie wenn ein U-Boot unter die maximale Tauchtiefe geht. So ein Quietschen und Brummen, tief in der Wand. Aber Herr Meier hat mir versichert, dass das bald wieder weg geht.

    Nebenbei: Kommt eigentlich bald mal das warme Wasser wieder?
    Geändert von snakesplane (25.01.2016 um 14:31 Uhr)

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    Fritz (15.02.2016)

  7. #4

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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    Eine Zugfahrt die ist lustig …

    Vorgestern musste ich mit der Deutschen Bahn fahren. Ich mag das Zugfahren nicht sonderlich.
    Ehrlich: Wenn sich irgendetwas schneller bewegt, als ich laufen kann, dann möchte ich entweder selber am Steuer sitzen, oder es aus weiter Entfernung beobachten.

    Wie dem auch sei, die zurückzulegende Strecke sollte von Köln nach Berlin führen. Eigentlich sollte es in unserer Zeit kein Problem sein von Köln nach Berlin zu kommen oder? Nun, für geübte Bahnfahrer stellt dies zweifelsohne kein größeres Problem dar, für mich allerdings begann der Abstieg in die innersten Kreise der Hölle bereits beim Fahrkartenkauf:

    Man kauft seine Karten ja nicht mehr am Schalter. Wie ich mich belehren lassen musste, kauft man seine Bahntickets heutzutage mit dem Handy, um dann dem Kartenkontrolleur (heißt der heute überhaupt noch so, oder nennt er sich inzwischen „Journey Controlling Director“?) einen Strichcode auf dem Handy vorzuhalten. Wie durch Zauberhand erkennt der Strichcodeleseapparat (dafür gibt es bestimmt auch einen coolen Namen, früher hieß das Ding „Locher“ oder „Entwerter“) des Kontrolleurs, dass der Handybesitzer über ein gültiges, wenn auch nur aus Nullen und Einsen bestehendes Ticket verfügt. – Meiner Erfahrung nach besteht die Deutsche Bahn ja hauptsächlich aus Nullen, von daher passt das.

    Nachdem meine technischen Fähigkeiten bereits mit einer telefonischen Pizzabestellung ausgereizt sind, entschloss ich mich mir ein altmodisches, auf Papier gedrucktes Ticket zu besorgen. Dies kann ja eigentlich kein allzu großes Problem darstellen, schließlich findet man heutzutage in jedem größeren Bahnhof, mehr Ticketautomaten als Bahnmitarbeiter.
    Einer dieser Ticketautomaten begrüßte mich auch direkt beim betreten des Bahnhofs in der Haupthalle. Zunächst hielt ich es für sehr kundenfreundlich, dass das Gerät so auffällig platziert wurde, dass jeder Bahnreisende es beim betreten des Bahnhofs sehen musste, inzwischen weiß ich dass es lediglich der Belustigung der Handyticketbesitzer dient, diesen Apparat so zentral zu platzieren. Die können dann ganz entspannt auf Ihren Zug warten und technische Laien wie mich dabei beobachten, wie wir bei der Bedienung des Ticketautomaten nach und nach den Verstand verlieren.

    Schon die Auswahl einer für mich verständlichen Sprache geriet zum Spießrutenlauf:
    Ein besonders boshafter Mensch hatte zuvor das Gerät auf Türkisch gestellt und war anschließend in irgendein Untermenü gegangen, von dem aus ich auch unter drücken aller angezeigten Symbole nicht mehr selbstständig ins Hauptmenü (wo ich die Sprachwahl vermutete) gelangen konnte. Glücklicherweise ist unsere Jugend noch nicht so verkommen, wie es uns die Medien gerne glauben machen wollen und eine nette Schülerin wies mich - nachdem Sie meinen beginnenden Nervenzusammenbruch bemerkt hatte - auf das kleine Symbol in den Farben schwarz-rot-gold, in der oberen Ecke des Bildschirms hin.
    Das Gerät welches nun erfreulicherweise in meiner Muttersprache mit mir zu kommunizieren bereit war, zeigte mir kurze Zeit später eine reichhaltige Auswahl an Routen und Umsteigemöglichkeiten an:

    Als erste angezeigt Strecke wurde mir eine erstaunlich schnelle Reise im modernen ICE, ohne Umsteigen angepriesen. Ein Blick auf den Fahrtpreis von 117,-€ (ohne Rückfahrt) lies mich jedoch heftig schlucken.

    Die zweite offerierte Reiseroute in einem IC (also besserer Tiertransport) war mit 75,-€, zwar in einem preislichen Segment, bei dem ich nicht sofort kurzatmig wurde, wies dafür aber das Abenteuer von nicht weniger als 4 (!!!!) Umsteigestationen aus.
    Wenn mich meine bisherigen Erfahrungen mit der Deutschen Bahn eines gelehrt haben, dann das man auf Zugwechsel in der Pampa so Weit nur irgend möglich verzichten sollte. Derartige Aktionen hätten mich während meiner Studienzeit einmal fast auf die Speisekarte eines Kannibalenstamms in einer ländlichen Gegend in Niedersachsen gebracht.

    Die dritte ausgeschriebene Route war eine Mischung aus den beiden zuvor aufgeführten Möglichkeiten: Preis 89,-€, ein Mal Umsteigen, ein Teilstück ICE, ein Teilstück IC. Was mich jedoch völlig verwirrte, war das der angebotene Sparpreis plötzlich mit 99,-€ (also 10,-€ mehr als beim Normalpreis) ausgewiesen war.

    In der Sorge, ich müsste bei dieser letzten Variante plötzlich auf dem Zugdach Platz nehmen, weil ich ja für die Frischluftzufuhr extra gezahlt hatte, entschloss ich mich doch lieber einem richtigen Menschen (oder was bei der Bahn dafür ausgegeben wird) mein Reiseanliegen zu unterbreiten.

    In der fälschlichen Annahme Hilfe zu erhalten, bewegte ich mich also auf den so genannten „Info-Point“ zu, um mit dem so genannten „Service-Mitarbeiter“ der Bahn meine Reiseroute zu planen. Man sollte meinen, dass dieser untersetzte, kurz vor dem Wegnicken befindliche Mensch über ein wenig Abwechslung in seinem traurigen Alltag dankbar gewesen wäre. Weit gefehlt: Als Begrüßung schlug mir ein verbindliches „Ja, was is?“ entgegen.

    Ich erklärte Ihm das wie ich vermutete, im Jahr 2016 durchaus lösbare Unterfangen, von Köln nach Berlin zu reisen.

    „Ja wann wolln se den nach Berlin?“
    „Heute, bitte.“
    „Heute?“ – das klang fast wie ein Vorwurf.
    „Ja, sofern den heute noch Züge fahren sollten.“ – es war 08:00 Uhr morgens.
    „Wo genau wolln se den hin?“
    „Also ich weiß zwar nicht was das damit zu tun hat, aber ich habe ein Meeting im InterCity Hotel, Konferenzraum Nr. 103.“
    „NEIN, NEIN, NEIN, zu welchem Bahnhof?“
    „Nun zu dem Bahnhof der dem Hotel am nächsten ist. Er sollte vorzugsweise in Berlin liegen.“

    Augenrollen und ein verächtliches „Ohh“ zeigten mir, dass diese Zielbeschreibung wohl nicht genügte. Vermutlich rettete mich nur der geistesgegenwärtige Blick auf meine Einladung wo stand „InterCityHotel Berlin Hauptbahnhof“, vor einer Endstation in Potsdam Südwest.

    „Also Berliner Hauptbahnhof ja?“
    „Nein, nach reiflicher Überlegung, ziehe ich den Hauptbahnhof Leipzig vor.“
    „Hä?“
    „JA, JA, JA! Berliner Hauptbahnhof! Um Himmels Willen!“
    „Sie müssen nicht so schreien. Ich will Ihnen ja nur helfen!“
    „Entschuldigung, ja bitte Berliner Hauptbahnhof.“
    „Mit Rückfahrt?“
    „Nein ich werde wohl ein paar Tage in Berlin bleiben und möchte meine Rückfahrt gerne spontan wählen.“
    „Na gut, Ihre Entscheidung.“ – das klang nun wieder wie eine Drohung.
    „Also ich bitte Sie: Ich benötige ein Zugfahrtticket der Deutschen Bahn, zum Berliner Hauptbahnhof. Abfahrt Heute. Ankunft Heute, vor 15:00 Uhr. Zeitnahe Abfahrt. Ohne Umsteigen. Bitte auf einem Sitzplatz der sich nicht auf dem Dach des Zuges befindet.“
    „Natürlich nicht auf dem Dach. Wofür halten Sie uns eigentlich?“
    „Das möchte ich lieber nicht aussprechen.“
    „Das macht dann 117,-€, genießen Sie die Fahrt!“

    Auch wenn dieser Preis mir erneut Atemnot bescherte (war es doch genau der Wucher, welcher mir schon am Automaten in die Magengrube schlug) willigte ich dankbar ein.
    Die Fahrt verlief erstaunlich reibungslos. Tatsächlich kam ich sogar pünktlich … nein halt ich möchte das etwas besser hervorheben … ich kam PÜNKTLICH in Berlin an.
    Morgen werde ich wieder abreisen. Ich habe natürlich noch kein Ticket. Von meinem Hotelzimmer aus kann ich den Hauptbahnhof sehen. Meine Hände werden feucht. Ich habe Angst.

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    Fritz (15.02.2016), UnReal (11.11.2017)

  9. #5

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    Einkaufen am Samstag

    Gibt es das Fegefeuer wirklich? Und wenn ja, warum muss es gerade im örtlichen Einkaufszentrum liegen?
    Die Werbung hatte mir doch versprochen, dass ich hier die „Liebe zu Lebensmitteln“ finden würde. Dass ich „Einkaufen, Erleben und Genießen“ könnte. Dass der Warenhändler meines Vertrauens „jeden Tag ein Bisschen besser“ werden würde.

    Nun die Liebe konnte ich bereits auf dem Parkplatz spüren, als der nette ältere Herr neben mir, beim Beladen seines Opel Agila, die Kontrolle über seinen Einkaufswagen verlor. Er sah aufgrund der Aussichtslosigkeit seiner Situation davon ab, den ins Rollen geratenen Einkaufsbegleiter, über den abschüssigen Parkplatz, zu verfolgen. Dessen Fahrt endete schließlich, wie nicht anders zu erwarten war, abrupt an der Heckpartie eines gegenüber parkenden Porsche Cayenne. Bei dem krachenden Geräusch, welches von der Zusammenkunft zwischen Einkaufwagen und lackierter Stoßstange zeugte, zuckten Opa und ich, gleichermaßen zusammen.
    Nun standen wir beide da. Ich unschlüssig ob ich mein Beileid zu diesem Missgeschick bekunden sollte, Opa offensichtlich unschlüssig ob er seinem Wagen nachlaufen und sich den Schaden aus der Nähe betrachten sollte. Letztendlich obsiegte seine Kaltschnäuzigkeit und er entschied, dass die noch im Wagen befindlichen fünf Müller-Jogurts und zwei Haftcremetuben, eine solche Belastung seiner privaten Haftpflichtversicherung nicht rechtfertigen würden. Mit den Worten „was parkt der da auch so blöd“ schwang sich der rüstige Schweinehund in seinen Mini-mini-Van und düste ungeahntem Tempo vom Parkplatz. Zuletzt habe ich einen Rentner so schnell in ein Auto springen sehen, als Franz Beckenbauer Fragen zur WM 2006 beantworten sollte.

    Sichtlich von dem Schock dieses Parkplatzdramas gezeichnet, betrat ich die Einkaufshalle.

    Wobei: Einkaufshalle ist vielleicht ein falscher Ausdruck dafür. Ich glaube bei der militärischen Aufklärung nennt man diese wilde Anhäufung unterschiedlicher Religionen und Nationalitäten, quer durch alle kulturellen, sozialen und demografischen Schichten, einen potenziellen Krisenherd der Stufe 4. Es hätte mich wirklich nicht überrascht, wäre ich auf Höhe der Frischetheke auf einen bewaffneten Blauhelm gestoßen. Ich kann lediglich vermuten, dass ein fehlendes UNO-Mandat Schuld daran war, dass ich meinen Weg durch die Kühlwarenabteilung, ohne unterstützende Friedenstruppen zurücklegen musste.

    Nach – wie ich finde – recht beeindruckenden 35 Minuten, hatte ich alle Abteilungen hinter mich gebracht und stand mit meinem gut gefüllten Einkaufswagen an einer der insgesamt drei geöffneten Kassen an. Drei Kassen. Drei verschissene Kassen. An einem Samstag Vormittag nur drei Kassen zu öffnen ist ungefähr so, als stellt man im Championsleague Finale gegen den FC Barcelona, nur 9 Feldspieler, ohne Torwart auf. Dadurch verdeutlicht man als verantwortlicher Marktleiter, dass man gar nicht wirklich will, dass es einem egal ist. Der Kunde ist doch auf Lebensmittel angewiesen. Er könnte ja auch in den Wald gehen und sich ein Wildschwein jagen. Mit einem Taschenmessen aus dem Heimwerkerbedarf in Gang drei, zum Sparpreis von 9,99 € - bitteschön.

    Je länger ich in der unbeweglichen Kassenschlange, auf eine baldige Erlösung hoffte, desto sicherer war ich mir, dass die bereits verstrichene Zeit auch durchaus zum Erlegen einer Katze, oder einer Taube auf dem Parkplatz gereicht hätte.

    Ja, nach fünfundzwanzig Minuten ohne erkennbare Bewegung meiner Vorderleute, war ich davon überzeugt, mit meinem Wagenheber und einem aus den Sitzschonbezügen meines Wagens hergestellten Lasso, auf der benachbarten Rinderweide, durchaus Aussicht auf ein beachtliches Huftsteak zu haben.

    Und nach 35 Minuten, in welchen mir bewusst wurde, dass …
    1. Der Herr vor mir heute Morgen nicht zum Duschen gekommen war.
    2. Die Dame hinter mir eindeutig zu viel und vor Allem zu laut redete.
    und
    3. Die Kassiererin bei der Geschwindigkeit Ihrer heutigen Arbeit, am Ende des Tages eine abgeschlossene Tai Chi Ausbildung auf dem Niveau einer Sifu erreicht hat.

    Als ich dann nach einer gefühlten Ewigkeit, selbst dem Bezahlvorgang frönen durfte, erkannte ich das leuchtende Ziel dieses Martyriums. Der für die Personalplanung verantwortliche Marktleiter war nicht etwa faul, oder ein Menschenhasser, nein, er wollte uns zum Innehalten ermahnen. Und es funktionierte: Noch nie in meinem Leben hatte ich den Moment so intensiv erlebt, wie in dieser Schlange. Noch nie war mir meine eigene Vergänglichkeit dermaßen bewusst gewesen, wie beim Warten auf meinen Kassiervorgang. Alle Eile wich plötzlich von mir. Ich wurde ganz ruhig. Eine merkwürdige Melancholie erfasste mich, als ich auf die Gesichter hinter mir blickte: Ungeduldig, wütend, einige sogar ängstlich.

    So erhob ich meine Stimme und sprach:
    „Ihr müsst noch viel lernen, junge Kaufwütige. Eure Eile wird euch in den Wahnsinn treiben, wenn ihr zwischen Schokoriegeln und Bierkästen keinen Weg der Entspannung findet. Ich möchte euch helfen. Wer den Weg zur inneren Glückseligkeit mit mir begehen möchte, solle mir zur Hygieneabteilung folgen. Ich werde euch zur Erlösung führen.“

    Zusammenfassend muss ich sagen, dass unsere heutige Gesellschaft nur noch wenig für den Ausgleich zwischen Körper und Geist tut. Des Weiteren trägt unsere Medienlandschaft zu einer Kultur der Verrohung bei, welche inzwischen selbst betagten Großmüttern Schimpfworte in den Mund legt, für die man früher ausgepeitscht worden wäre. Und zu guter Letzt kann ich berichten, dass Küchenrollen der Firma „Saug und Weg“ hervorragend zum Anlegen eines provisorischen Kopfverbandes bei akuten Platzwunden geeignet sind.

    Nachdem ich mein Bewusstsein wiedererlangt hatte und die erwähnte Blutung gestoppt war, begab ich mich frohen Mutes zu meinem Fahrzeug. Der Halter des Porsche Cayenne hatte sich inzwischen bei seinem Fahrzeug eingefunden, war aber aufgrund eines scheinbar sehr wichtigen Telefonates, bei dem es um die letzte Episode von „Berlin Tag und Nacht“ ging, noch nicht auf den Schaden an seiner Heckschürze aufmerksam geworden.
    Um mein Gewissen, ob meiner Untätigkeit bei der Entstehung der vorangegangenen Fahrerflucht zu erleichtern, versuchte ich den Fahrzeughalter auf mich aufmerksam zu machen: „Entschuldigen Sie bitte.“
    Der Porschefahrer Marke - Muckibude XXL, mit hauchdünnem Oberlippen-Schnurbärtchen und nach hinten gegelten Haaren – richtete seinen Blick auf mich, lies das Telefon sinken und fragte mit engelsgleicher Stimme:
    „Haste eh Problem oder was? Was willste du Arsch?“
    „Ach … nichts eigentlich … schon wieder vergessen … war nicht so wichtig.“
    Als ich meinen Kofferraum belud und hinter mir, in der Entfernung die Worte vernahm „Was soll den die Scheiße? Was issn dat? Welcher Arsch war das?“ war mein Gewissen schon etwas erleichtert.

  10. #6

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    Ruf mich an!

    Mein Telefon funktioniert nicht mehr.
    Also mit dem Telefon wird vermutlich alles in Ordnung sein: Das Display zeigt mir immer noch eine Verbindung zur Mutterstation (kleines Haus), einen fast vollen Akku (vier von fünf kleinen Balken in der oberen linken Ecke) und einen einsatzbereiten Anrufbeantworter an (kleine Audio-Kassette neben den Akku Balken). Lediglich die Anzeige der Netzverbindung (sich nach oben verjüngender halber Weihnachtsbaum, in der oberen rechten Ecke) fehlt.

    Nachdem ich alle Kabel überprüft, das Gerät ein und wieder aus geschaltet und eine Neueinrichtung meiner Mutterstation vorgenommen habe, ohne das sich eine Verbesserung der Situation des verdorrten Nadelbaums eingestellt hat, tippe ich nur noch lustlos auf den Tasten des Mobilteils herum.

    Keine Panik, schließlich hält mein Telefonanbieter hält extra für solche Notfälle eine Hotline bereit. Die hatte ich mal auf seiner Homepage gesehen. Laptop angeworfen und … nichts. Auch bei meinem tragbaren Büro fehlt die Anzeige eines funktionierenden Netzes. Genauer: Der kleine Teslaspulenkopf, hat keine Strahlen mehr über sich. Dank meiner weitreichenden technischen Fachkenntnisse erkenne ich sofort, dass zwar mein Router noch gefunden wird, jedoch keine Verbindung mehr zum Internet hergestellt werden kann. In meiner Verzweiflung überlege ich kurzfristig, wie viele 0800er Telefonnummern es wohl gibt und wie lange ich unterschiedliche Kombinationen versuchen müsste, bis ich mit einem Vertreter meines Telefonanbieters sprechen könnte. Glücklicherweise fällt mir gerade noch ein, dass jeder Telefonrechnung, auch ein kleines Infoblättchen beiliegt, auf welchem eine unverschämt gutaussehende Frau mir offeriert, Sie stehe mir 24 Stunden am Tag zur Verfügung.
    Derartige Versprechungen kenne ich sonst nur von nach 0:00 Uhr laufenden Werbespotts im Fernsehen, in welchen mich eine in Lack und Leder gekleidete Frau anschreit ich solle Sie anrufen. Nun die Dame auf meinem Infoblättchen sah deutlich umgänglicher aus und meine Situation lies ohnehin wenig Spielraum für Zweifel.
    Nummer gewählt und …

    „Herzlich willkommen bei Blablablub … Wenn Sie eine Frage zu Ihrer Telefonrechnung haben, drücken Sie bitte die eins …“

    Oh mein Gott! Eine Bandansage! Mit vorgefertigtem Auswahlsystem! Das Ziel eines solchen Systems ist es nicht etwa, den Anrufenden möglichst schnell mit einem kompetenten Fachmann zu verbinden, sondern vielmehr auf ein zeitnahes Ableben des Hilfesuchenden zu spekulieren.

    „… wenn Sie eine Frage zu unseren Tarifen haben drücken Sie bitte die zwei … wenn Sie eine Frage zu Ihrem Leistungsvertrag haben, drücken Sie bitte die drei … wenn Sie eine Störung melden möchten drücken Sie bitte die vier …“
    Ich drücke die vier.
    „Sie haben eine Störung. (danke, ich wäre nicht selbst darauf gekommen) … wenn Sie eine Störung mit Ihrer Telefonanlage melden möchten, drücken Sie bitte die eins … wenn Sie eine Störung mit Ihrer Internetverbindung melden möchten drücken Sie bitte die zwei … wenn beide Leistungsmerkmale betroffen sind, drücken sie bitte die drei … wenn …“
    Ich drücke die drei.
    „Die Störung betrifft Ihren Telefonanschluss und Ihre Internetverbindung. … tritt die Störung an dem Apparat auf, von welchem Sie gerade anrufen, drücken Sie bitte die eins … tritt die Störung an einem anderen Anschluss auf drücken Sie bitte die zwei …“
    ICH DRÜCKE DIE ZWEI!
    „Die Störung betrifft Ihren Telefonanschluss und Ihre Internetverbindung unter einer anderen Rufnummer. Bitte nennen Sie jetzt die Rufnummer inklusive Vorwahl.“
    „0221 …“ – „Leider nicht erkannt. Bitte wiederholen Sie die Rufnummer auf welcher das Problem auftritt!“ (Ah, verdammt!)
    „0221 …“ – „Leider nicht erkannt. Bitte wiederholen Sie die Rufnummer auf welcher das Problem auftritt!“ (Nuschel ich etwa?)
    „0221 …“ – „Leider nicht erkannt. Bitte wiederholen Sie die Rufnummer auf welcher das Problem auftritt! Alternativ können Sie die Nummer auch über die Tastatur Ihres Telefons eingeben.“ (Warum nicht gleich so?)
    „Ihre Rufnummer lautet 0221 … bitte nennen Sie die Art der Störung … wenn Sie nicht telefonieren können drücken Sie bitte die eins … wenn Sie nicht angerufen werden können, drücken Sie bitte die zwei … wenn …“

    Etwa 45 Minuten und zwei Wutanfälle später, hatte die Bandansage meine Situation sehr genau eingegrenzt:
    „Sie haben eine Störung mit Ihrer Telefonanlage und Ihrem Internetanschluss. Sie können keine Anrufe tätigen und keine externen Anrufe empfangen. Sie verfügen über einen digitalen Telefonanschluss dessen Vertrag seit zwei bis fünf Jahren besteht. Sie greifen per W-Lan auf das Internet zu. Sie sind zwischen 35 und 45 Jahren alt, unverheiratet, keine Kinder, Akademiker, Linkshänder, heterosexuell und Fan des 1. FC Köln. Ihre Lieblingsfarbe ist blau und Ihre Unschuld verloren Sie während eines Schulwanderausfluges im Schwarzwald in der 12. Klasse, an Janina Reiland. Sind diese Angaben korrekt?“

    Zu diesem Zeitpunkt bin ich bei der Bedienung der Bandansage so geübt, dass ich mein Glück nicht mehr mit der automatischen Spracherkennung strapaziere. Seit etwa 20 Minuten habe ich erkannt, dass die Betätigung der Raute-Taste auf meiner Handytastatur, vom System als „Ja“ und die Sterntaste als „Nein“ gewertet wird.

    Nachdem ich meinen Lebenslauf bestätigt habe, tritt kurz eine inzwischen ungewohnte Stille in der Leitung auf. Keine weiteren Fragen nach meiner Blutgruppe oder der Wohnfläche meines Hauses werden gestellt. Kein Freizeichen ertönt. Stille.
    „Hallo was ham se für eh Problem?“
    „Äh ja, guten Tag. Sind Sie ein richtiger Mensch?“
    „Wolln Se mich verarschen?“
    „Nein, nein, ich bin nur so glücklich. Ein richtiger Mensch. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben.“
    „Was isn dat Problem?“
    „Wissen Sie das nicht?“
    „Woher soll ich n dat wissen, Kerl?“
    „Na ich habe dem Band doch alles schon gesagt. Alle meine Probleme. Ich habe sogar ein paar sehr persönliche Erlebnisse aus meiner Kindheit neu aufgewühlt. Mir sind Dinge klar geworden über die Beziehung zu meinem Vater … Wir haben so lange nicht miteinander gesprochen …“ – Die Tränen unterdrückten meinen Redefluss.

    „Hör ma, die Ansage is doch nur da, damit wir ein bisserl aussortieren. Hier rufen se doch alle an. Wer zu mir durch will, der muss dat schon echd wolln, verstehsde?“
    „Ja, ja ich verstehe. Man muss sich im Leben auch mal durchbeißen. Das ist mir jetzt klar. Mein Telefon funktioniert nicht. Mein Internet auch nicht. Und ich möchte unbedingt Janina wiedersehen!“
    „Stecken och alle Kabel rischtsch drin? Is der Akku vom Mobilteil voll? Un so weider?“
    „Ja, ja und ich glaube auch ja. Das habe ich alles überprüft. Ich habe auch die Mutterstation neu eingerichtet und zur Kontrolle noch ein altes Telefon, dass ich noch rumliegen hatte angeschlossen.“
    „Ja dann kann ich och nischt mehr machen. Da muss der Kundendiensd raus un sich den Verdeilerkasden angucken. Ich leg dich jetzt ma wieder in die Schleife un du tippst dich zum Menüpunkdt ‚Kundendiensd‘ durch. Alles klar?“
    „Halt! Moment! Bitte stellen Sie mich nicht zurück in die Bandansage. Das stehe ich kein zweites Mal durch.“ – Zu spät …

    „Herzlich willkommen bei Blablablub … Wenn Sie eine Frage zu Ihrer Telefonrechnung haben, drücken Sie bitte die eins …“

    Weitere 45 Minuten später habe ich tatsächlich einen Termin mit einem Techniker machen können. Nun muss ich kommende Woche, nur noch Montag bis Donnerstag, von 8:00 – 19:00 Uhr das Haus besetzt halten, weil der Techniker vielleicht auch hier ins Haus rein muss. Vielleicht auch nicht.
    Die Kundenterminkoordinatorin erklärte mir, dass das ist bei so einer Telefonanlage und meiner komplizierten Geschichte mit Janina Reiland schwer zu sagen ist.
    Geändert von snakesplane (25.02.2016 um 13:25 Uhr)

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    Fritz (27.03.2016)

  12. #7
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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    Hier könnt ihr das Tagebuch eines Guantanamo Häftlings lesen/hören. Das Tagebuch ist nur in Englischer Sprache verfügbar.

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    DotNet (10.03.2016)

  14. #8

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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    Samstag Abend

    Nachbarn sind eine tolle Erfindung. Wenn abends nichts im Fernsehen läuft, das gute Buch welches man sich für die ruhigen Stunden zurecht gelegt hat, seine letzten Geheimnisse preisgegeben hat und selbst ein Blick in das World Wide Web, keine neuen Erkenntnisse zu Kati Perrys Oberweite mehr offenbart, bin ich froh, dass ich Nachbarn habe.
    In der Doppelhaussiedlung welche ich mein Ghetto nennen darf, leben beinahe ausnahmslos ältere Herrschaften. Gut situiert, gebildet, konservativ. Das Leben könnte so langweilig sein. Wenn da nicht das Haus gegenüber wäre, welches vor Kurzem – durch den Tod eines entfernten Verwandten bedingt – in die Hände einer jungen Familie (von der Nachbarschaft liebevoll Flodders genannt) geraten ist.

    Da hätten wir den Vater: ca. 50 Jahre alt, glatzköpfig, 50-60 kg Übergewicht, Bierflasche an der rechten Hand angewachsen.
    Die Mutter: Blond-graue, zur Dauerwelle geformte Haare, der Hintern wird in eine nicht mehr dem Alter oder der Figur der Trägerin angepasste Leggins gequetscht.
    Die Kinder: ein Mädchen (etwa 18) und drei Jungs im Alter von 12-23, sehr laut, sehr ungehobelt, den beiden ältesten Jungs wurde die angewachsene Bierflasche durch den Vater vererbt.

    An diesem schönen Abend erreichte der Lautstärkepegel im Haus der Flodders, zum wiederholten Male einen recht beunruhigenden Zustand. Neben dem üblichen Geschrei der jüngeren Kinder und dem auf volle Pulle laufenden Fernseher des Vaters (er hat eine Schwäche für alte Kriegsfilme und möchte sich dank 5.1 System mittendrin fühlen), sorgte vor Allem der älteste Sohn für Zündstoff.
    Nun kann man sagen, dass es ein durchaus löbliches Vorhaben ist, kleinere Arbeiten am ersten eigenen Wagen selbst vorzunehmen. Dies zeugt von Schaffensdrang und Selbstständigkeit. Ob man diesen Arbeiten an einem Samstagabend um 22:30 Uhr, in der Hauseigenen Auffahrt nachgehen muss, sei allerdings dahingestellt. Auch ist die Zuhilfenahme von Werkstattscheinwerfern und Krautrock aus dem Autoradio, in einer sonst eher ruhigen Wohngegend, zu solchen Zeiten kein schöner Zug. Was die umliegenden Anwohner dann allerdings komplett in Rage versetzte, war zweifelsohne die unsachgemäße Entsorgung der bei dieser Arbeit anfallenden Zigarettenkippen, welche sich schon bald in den umliegenden Gärten wiederfanden.

    Also schnappte ich mir ein kühles Blondes, eine Schachtel West Red und machte es mir alsbald am Fenster bequem, um dem folgenden Schauspiel auch das gebührende Publikum zu geben.

    Innerhalb von ca. 15 Minuten nach Beginn der Arbeit am treuen Gefährt, gingen zunächst in dieser Reihenfolge die Lichter in den Häusern der Nachbarschaft an:
    1. Die Nörgler: verheiratetes Ehepaar, Rentner, Rasen wird mit der Nagelschere gestutzt
    2. Die Angstvolle: nette ältere Witwe, welche nie etwas sagt, sondern nur verängstigt auf Ihrer Türschwelle steht und was von Polizei faselt
    3. Der Kämpfer: Bundeswehr Major a.D., Haarschnitt nach dem man die Uhr stellen kann, erzählt zu gern von seiner Zeit, als er am Arsch der Welt im Dreck lag

    Als erstes traten die Eheleute Nörgler auf den Plan. Von der Musik aufgeschreckt und durch die Scheinwerfer geblendet, standen Sie auf Ihrem Rasen und begutachteten den von den Zigarettenkippen angerichteten Schaden. Es ist in diesem Zusammenhang unklar, ob die auf seinem Grundstück entsorgten Kippen, oder das unaufhörliche Gemecker seiner Ehefrau, den Nörgler dazu hinrissen, beherzten Schrittes auf den Halbstarken zuzugehen. Wild gestikulierend und mit ordentlich Schaum vorm Mund, redete der Rentner im Folgenden auf den Rotzer ein und drohte schlussendlich damit, „Ihm schon Manieren beizubringen“.
    Dies wurde von Flodder Jr. mit einem dämlichen Grinsen und dem Öffnen eines weiteren Bieres quittiert. Der Nörgler welcher inzwischen offensichtlich erkannt hatte, dass seine körperliche Unterlegenheit eine Eskalation sinnlos machte, suchte nun bei den umliegenden Parteien Verstärkung. Als erstes richtete er seinen Blick auf mein Haus, wo ich Ihm von meinem Fenster aus, mit einem diabolischen Lächeln und übertriebenen Schulterzucken signalisierte, dass er sich wohl Jemand anderen zum Krieg spielen suchen müsste. Als nächstes versuchte er die Angstvolle, welche das Treiben inzwischen im Nachthemd stehend, von Ihrer Türschwelle aus verfolgte, in einen Dialog zu verstricken:
    „Das geht doch so nicht. Nun sagen Sie doch auch mal was!“
    „Da müssen wir die Polizei rufen. Die sind doch für sowas da.“
    „Die kommen doch bei sowas nicht. Die kümmern sich ja nie. Hier müssen wir als Nachbarn mal dazwischen gehen und eine Grenze ziehen.“
    „Jaja, die Polizei muss kommen. Soll ich die rufen?“
    Von der Sinnlosigkeit dieses Gesprächs überzeugt und durch die Erwähnung der Polizei in seiner Ehre gekränkt, lies der Nörgler seinen Blick ein weiteres Mal schweifen. In diesem Augenblick, wurde die Geräuschkulisse aus Krautrock und der keifenden Nörglerin die Ihren Mann anschrie er solle etwas unternehmen, durch den kraftvollen Ruf eines ganzen Kerls zerschnitten:
    „Ist hier bald mal Ruhe? Was soll denn dieses Theater. Wir sind hier nicht in einem Gefecht auf dem Balkan. Hier gibt es Regeln.“ – Dieses liebliche Stimmchen gehörte dem Major a.D.
    Freude, ja sogar Erleichterung fand Einzug auf dem Gesicht des Nörglers. Da war einer, der die Situation genauso sah wie er. Keiner der sich am Fenster lustig machte, oder nach der Staatsgewalt rief, sondern einer mit dem man in den Krieg gegen die Ungerechtigkeit ziehen konnte.

    Beide Brüder im Geiste trafen sich vor dem Haus der Flodders. Ein kurzes Händeschütteln, ein paar Mut machende Worte und noch einmal die Hose zurechtgerückt, dann ging es in den Kampf. Der junge Flodder wurde nun mit einer Hasstriade von gestandenen Kerlen bedacht. Unschöne Formulierungen wie „Nächtliche Ruhestörung“, „Konsequenzen auf ganz hoher Ebene“ und „Schande für die ganze Siedlung“ wurden ohne erkennbaren Erfolg ausgesprochen. Als der heranwachsende Ruhestörer dann allerdings eine halb aufgerauchte Kippe, auf den Pullover des Majors schnipste, kochte die Stimmung über:
    Die beiden Verfechter der Anwohnerordnung griffen sich den Halbstarken am Kragen, was sofort auch den mittleren Sohn aus dem Hause Flodder auf den Plan rief. Dem darauf folgenden kurzen, aber heftigen Handgemenge fielen ein Seniorenhandy, ein marineblauer Pullover und eine noch halbvolle Bierflaschen zum Opfer, welche der stürzende Major mit sich in die Tiefe riss. Der einzig nennenswerte Personenschaden welcher an diesem Abend entstand, wurde jedoch nicht durch die Rangelei, sondern durch eine rutschige Treppenstufe hervorgerufen, welche Mr. Flodder Sr. wohl etwas zu sportlich nehmen wollte, um seinen missratenen Söhnen zur Hilfe zu eilen. Er rutschte aus und knallte mit einem nicht druckreifen Schrei auf den Lippen, steißmäßig auf den Hintern. Rückblickend hat wohl dieser Unfall dafür gesorgt, dass die beiden selbsternannten Rächer der Nachbarschaft noch mal ohne größere Blessuren davon gekommen sind.
    Ob die Beule in der Fahrertür des alten Golfs, tatsächlich vom Nörgler - durch einen sein Ziel verfehlenden Karatetritt - hervorgerufen wurde, kann ich nicht mit Sicherheit bestätigen. Allerdings nahm die wenig später eintreffende Polizei den Schaden so auf und der Nörgler wiedersprach dieser Version (wohl um seiner Frau zu zeigen, dass er es noch drauf hat, wenn’s drauf ankommt) auch nicht.

    Seitdem ist es ruhig. Verdammt ruhig. Flodder Sr. befindet sich Gerüchten zu Folge im Krankenhaus, um sich von seinem Steißbeinbruch zu erholen. Die beiden ältesten Söhne werden von Mutti im Haus gehalten, um eine weitere Dezimierung der Familie zu verhindern. Der jüngste Sohn hat, soweit es die Beobachtungen von Frau Nörgler betrifft, gerade das Grasrauchen für sich entdeckt und ist dementsprechend relativ entspannt und ruhig.
    Lediglich die Flodder Tochter sorgt ab und zu für Unruhe, wenn Sie mal wieder in diesen viel zu kurzen Klamotten, wie eine Nutte angemalt aus dem Haus geht. - Wurde mir zumindest so vom Nörgler berichtet. Der behält die Familie jetzt nämlich genau im Auge, um notfalls wieder einzuschreiten.
    Geändert von snakesplane (07.03.2016 um 23:07 Uhr)

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    Fritz (27.03.2016), UnReal (11.11.2017)

  16. #9

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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    B12

    Da stehe ich nun, im ersten Kreis der Hölle, bereit weiter hinabzusteigen. Mit nichts bewaffnet als den Kleidern die ich am Leib trage und einem kleinen gelben Papierschnipsel.

    Mein Personalausweis ist abgelaufen. Wie konnte das nur geschehen? Wie konnte das Schicksal es nur so schlecht mit mir meinen? Warum quält mich dieser Staat mit einem Ausweisdokument, welches im Laufe der Jahre seine Gültigkeit verliert? Und warum ist das Bürgeramt an einem Mittwochvormittag besser besucht, als die meisten Heimspiele von Hannover 96?

    96 – das erinnert mich an etwas: Ich sollte vielleicht mal den Papierschnipsel kontrollieren, welchen der umfunktionierte Wahlautomat aus DDR-Restbeständen mir bei meiner Ankunft an diesem menschenunfreundlichen Ort zugeteilt hat:
    „B12“ - steht da drauf. Ich frage mich in solchen Momenten immer, ob dem Menschen welcher diese Papierschnipsel bedruckt hat bewusst war, welche Macht von dieser Paarung aus Buchstaben und Zahlen ausgeht. Hast du eine niedrige Kombination, stehen die Chancen gut, dass du spätestens an der Einschulung des gerade neugeborenen Enkelkindes, teilnehmen kannst. Hast du eine hohe Kombination werden dir nach einigen Tagen im Warteraum, Decken und Suppe von Rot-Kreuz Mitarbeitern gereicht. Dann musst du unangenehme Fragen über dich ergehen lassen wie:

    „Gibt es nähere Angehörige, die wir informieren sollen?“ – Während ein Pfarrer deine zitternde Hand hält und vor sich hinspricht: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal …“

    Nun „B12“ klingt erst mal nicht so schlecht. Eigentlich sogar richtig gut. Das ist eine Gewinnernummer. Maximal 11 Leute werden vor mir drankommen! Ich könnte zum Abendessen zu Hause sein! Ich fasse Hoffnung und Mut, doch ein flüchtiger Blick auf die rot leuchtende Aufrufanzeige über dem Schnipsel-Automaten lässt mich schlagartig verstummen.

    „A73“ - steht da. A (!!!!) 73 … – In meinem Kopf beginnen die Grauen Zellen widerwillig ihre Arbeit aufzunehmen.

    Davon ausgehend dass die Papierschnipsel jeweils von 01 bis 99 durchnummeriert sind und nach dem Buchstaben A, auch hier im Bürgeramt mit B fortgefahren wird (was bei deutschen Ämtern ja keine Selbstverständlichkeit ist), kommen aus der A Reihe noch 26 und aus der B Reihe noch 11 Personen vor mir dran. Das macht 37 verzweifelte Seelen, mit 37 verzweifelten Anliegen.
    Gehen wir von einer durchschnittliche Bearbeitungszeit von 15 Minuten pro Antrag und vier bis fünf, bis in die Haarspitzen motivierten Beamten aus, bin ich spätestens Weihnachten zu Hause. Also das Weihnachtsfest 2017 meine ich.

    Ich möchte schreien, doch die Furcht vor den unbestreitbar giftigen Dämpfen, die von dem 70er-Jahre Linoleumboden ausgehen, verbietet es mir zu tief Luft zu holen. Für ein paar Minuten stehe ich einfach da und betrachte die unbewegliche, rot leuchtende Anzeigetafel. Tränen befeuchten meine Wange, wobei ich nicht mit Sicherheit sagen kann ob es meine sind, oder ob Sie von dem Straßenarbeiter neben mir stammen der gerade „B13“ gezogen hat.

    „38 Leute vor mir, vier offene Schalter …“ – höre ich den Leidensgenossen neben mir murmeln.

    „2 Stunden, 22 Minuten und 50 Sekunden. Also statistisch gesehen. Bei 5 besetzten Plätzen, sind es aber nur noch 1 Stunde und 54 Minuten.“ – erkläre ich Ihm.
    „Bist du dir sicher? Hast du dich auch nicht verrechnet?“

    „Würde es einen Unterschied machen, wenn ich mich um ein paar Minuten vertan hätte?“

    Mein neugewonnener Freund blickt kurz auf seine Armbanduhr: „Nein, ist eh für’n Arsch. Ich hab nur eine Stunde Mittagspause.“

    Er macht auf dem Absatz kehrt und drückt einer nach Ihm eingetroffenen Mutter mit Kind welche bereits die „B18“ gezogen hatte, seinen Schnipsel in die Hand. Die Frau welche auf diese Weise mal eben 5 (in Worten: FÜNF) Plätze in der Nahrungskette deutscher Ämter nach oben gerutscht ist, dankt Ihm tiefempfunden, ehrlich und überschwänglich.
    Anerkennende Blicke (wenn auch einige neidvolle) begleiten den Bauarbeiter nach draußen. Für mich ist in diesem Moment mal wieder klar geworden: NICHT ALLE HELDEN TRAGEN EINEN UMHANG.

    Wo man sich über den Schatten ärgert, sollte man auch das Licht erwähnen: Sitzplätze sind genug vorhanden. Das hindert zwei rotzfreche Halbstarke natürlich nicht daran, sich auf dem Fensterbrett zu räkeln und die Tatsache dass die Trulla mir gegenüber, Ihrer Handtasche einen eigenen Sitzplatz zugesteht, lässt mir auch bei ausreichend freien Stühlen die Galle hochkommen.
    Kurzfristig überlege ich, ob ich den traumatisiert aussehenden jungen Mann, welcher neben der vertrockneten Grünpflanze auf dem Boden hockt, fragen sollte ob er den Sitzplatz neben mir nehmen möchte. Gerade noch rechtzeitig erkenne ich den Antrag auf Wohngeld in seiner Hand. Der arme Kerl ist gekommen, um Mietzuschuss zu beantragen. Ein bürokratischer Härtefall also. Vermutlich war er noch schulpflichtig, als er dieses Unterfangen begonnen hat. Ich wünschte ich hätte eine aktuelle Tageszeitung für Ihn dabei, damit er sich ein wenig über die Veränderungen in der Welt informieren kann. Nur Gott weiß, ob er schon von der Abschaffung der Wehrpflicht oder dem deutsch-deutschen Wembley-Finale 2013 gehört hat …

    In den folgenden Stunden, werden mir noch viele Gedanken wie dieser durch den Kopf gehen. Ich werde eine Reise an die Grenzen meiner Belastbarkeit, ja sogar an die Grenzen meines eigenen Verstandes machen:
    Innerhalb der ersten Stunde brennt sich das Weinen, das Schniefen und das geistesabwesende Murmeln so tief in dein Bewusstsein ein, dass es mit dem Brummen der Leuchtstoffröhrenstarter verschwimmt. Es wird zum Geräusch deiner Umgebung und du kannst dir bald nicht mehr vorstellen, dass es eine Welt gibt, in der dieses Hintergrundgeräusch fehlt.
    Du beginnst die orangenen Blumen auf dem gelben Linoleum Belag zu zählen und stellst erst wenn du im dreistelligen Bereich angekommen bist fest, dass die Blumen plötzlich verschwunden sind. Du beginnst an dir zu zweifeln, ob das Blumenmuster vielleicht nie da war, oder ob der Bodenbelag von dir unbemerkt, ausgetauscht wurde. Während du dich in eben diesem Zimmer befunden hast! Und das Schlimmste ist, dass du nicht weißt welche Version dir mehr Angst bereiten sollte.
    Du beobachtest die Menschen die nach dir den Raum betreten: Ihre Gesichter haben Farbe, Ihre Kleidung wirkt futuristisch, Sie zeigen noch Gefühle und Regungen. Wut, Trauer, Verzweiflung – all diese Emotionen hast du vor langer Zeit abgelegt. Du existierst nur noch. Die reinste und unverfälschteste Form der Existenz. Die Existenz aus Ihrem Selbstgrund heraus.

    Als auf der Tafel „B10“ aufleuchtet, sitze ich schon lange bei Richard neben der vertrockneten Topfpflanze, auf dem Boden. Ich kann mich noch dunkel erinnern, dass mir Richard merkwürdig vorkam, als ich den Warteraum betrat. Ich konnte einfach nicht verstehen, wieso er auf dem Fußboden sitzt und sich an dieser toten Pflanze festhielt. Rückblickend kann ich nicht mehr nachvollziehen, wie ich jemals auf dem Stuhl sitzen konnte. Ich hatte ja gar keine Ahnung!
    Wir haben die Pflanze „Harry“ getauft. Harry war einer der Wartenden die vor uns dran kamen. Er ging hinein und kam nie wieder aus dem Bearbeitungsbüro heraus. Das passiert manchmal. Also nicht sehr häufig. Die Meisten kommen wieder raus. Einige lächeln dann sogar und verabschieden sich süffisant, wenn Sie das Bürgerbüro wieder verlassen können.

    Ich für meinen Teil bin mir inzwischen nicht mehr sicher, ob ich mich in dieser Welt außerhalb der mir bekannten Mauern, noch zurechtfinden würde. Ich glaube diese Welt ist nicht mehr die richtige Umgebung für mich. Hier drinnen bin ich Jemand. Ich kenne den Weg zum Klo, habe den Kaffeeautomaten im zweiten Stock entdeckt und weiß genau, aus welchem Snackautomaten man etwas essen kann und um welchen man besser einen großen Bogen macht. Kurzum hier drinnen gehöre ich zu den Gelehrten.
    Richard kann Sachen besorgen. Also nichts großes natürlich, nur so kleine Alltagsgegenstände, die einem das Leben im Wartesaal des Bürgerbüros ein Bisschen angenehmer machen. Seife, oder Zigaretten zum Beispiel. Richard hat mir versprochen, er werde mir zu meinem Geburtstag was Nettes schenken. Ich hoffe ja auf ein Pin-Up-Poster von Scarlett Johansson. Das könnten wir an die Wand gegenüber hängen. Dort neben den alten Papierschnipsel-Automaten...

    da wo jetzt „B13“ aufleuchtet.
    Geändert von snakesplane (17.03.2016 um 11:05 Uhr)

  17. #10
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    Standard AW: Der lustige Tagebucheintrag

    "... aber ich bin vor dir dran!"

    ich befuhr eine zweispurige Straße auf dem rechten Fahrstreifen. Zweispurige Straßen sind für Autofahrer eine angenehme Sache, da sie entspannt überholen können. Allerdings haben diese Straßen einen Nachteil, sie werden Einspurig. Dieses ist die Stelle, die für alle Verkehrsteilnehmer zur Herausforderung wird. Jeder versucht sein Fahrzeug möglichst unbeschädigt und als erster durch diese eng Stelle zu bringen. Jeder Verkehrsteilnehmer versucht den anderen klar zu machen, dass sie sich hinter ihm einordnen sollen. Denn nur so ist man selbst vor den anderen. Manche haben etwas mit Rissverschlussverfahren in Erinnerung. Nur, wie war das noch mal? Müssen die von der rechten Spur sich auf die linke einordnen, oder die von der linken Spur auf die rechte? Viele offene Fragen, obwohl die Straßenverkehrsordnung keinen Raum für Auslegung bietet. An einer solchen Stelle im Straßenverkehr hat man keine Zeit um über Regeln zu nachzudenken, hier muss man sich durch kämpfen! Um vor den anderen diese Stelle zu passieren.

    An einer solchen Stelle im Straßenverkehr angekommen, war irgendwann ein Fahrzeug links in der Mitte von dem meinen. Es erschien mir am sinnvollsten vor dem Fahrzeug von links
    die Eng stelle im Straßenverkehr zu passieren. Das sah der Automobillist zu meiner linken gerade anders herum. Er wollte die Eng stelle zuerst durchfahren, dabei sollte ich stehen bleiben.
    Da ich weiter vorn war, erschien es mir unlogisch dass ich warten solle. So fuhren wir Stück für Stück auf die Eng stelle zu.

    An der Stelle, wo wir uns nun blockierten, stieg der Autofahrer, der links neben mir stand, aus und rief: "...aber ich bin vor dir dran!" Das gerufene, stieß bei mir auf Unverständnis, eine solche Verkehrsregel war mir unbekannt. Während ich in diesem Verkehrsgeschen so über das gehörte und gesehene nachdachte, zeigte mir der Autofahrer links von mir was er meinte.
    Er zwängte sein Auto vor das meine.

    Als ich das sah, grinste ich, denn ich wurde plötzlich vom Grübeln erlöst. Ja! Die neue Verkehrsregel: Ich bin vor dir dran!

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    snakesplane (29.03.2016)

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