1. #1
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    Standard Kurzgeschichte: Homosexualität/ Orientierungschaos

    Wie hier gesagt, werde ich es mal versuchen, meine aktuellen Gedankengänge in einen Text zu fassen. Was ihr daraus macht ist eure Sache: Ihr könnt darüber diskutieren, eure eigenen Erfahrungen schreiben wenn ihr euch darin wiedererkennt oder es einfach mir gleich tun und sagen, was ihr denkt. Bisher habe ich nur kürzere Texte zu bestimmten Themen geschrieben. Dieser hier wird mein erster Längerer, weil es das Thema erfordert, aber leßt selbst. Zieht es aber bitte nicht ins Lächerliche, die Geschichte ist nicht erfunden sondern basiert auf Erlebnissen.

    Im ersten Text geht es um Homosexualität/Orientierungschaos.

    1. Einleitung

    Fürs Verständnis muss ich etwas ausholen: Ich hatte nach langer Zeit eine richtige Freundin. Das hat mich zunächst froh gemacht, aber es entpuppte sich als seltsame Beziehung... Sie war nett und es hat Spaß gemacht etwas mit ihr zu unternehmen. Trotzdem war es keine runde Sache. Es war keine "richtige Liebe". Viel mehr eine Freundschaft, aus der dann mehr geworden ist, aber es kam mir immer noch wie eine Freundschaft vor. Als würde ein wichtiges Puzzleteil fehlen. Schwierig dieses Verhältnis in Worte zu fassen. Zum damaligen Zeitpunkt war mir selbst unklar, was nicht stimmt.

    Eines Abends kam ich spontan auf das Thema Homosexualität und googelte danach. Fragt nicht wieso, ich weiß es selbst nicht, sondern habe es einfach in eine Suchmaschine eingegeben. Als erster Treffer kam eine News. Ein Jugendlicher, ein paar Jahre jünger als ich, sprach dort über seine sexuelle Orientierung. Und dass er auf einer Single-Seite für schwule Jugendliche angemeldet ist. Die Seite war namentlich genannt, und meine Neugierde geweckt. Aber wie man es schon von den Hetero-Singleseiten kennt, sieht man ohne Anmeldung kaum etwas. Also tat ich das, schaute mich um.

    2. Liebe auf den ersten Blick?

    Ich musste nicht lange suchen. Schon auf der Startseite wurde mir ein Junge vorgeschlagen, bei dem ich nicht so recht wusste wie mir geschieht. Wie ich heute weiß gehört er zu einer bestimmten Sorte von Männern/Jungs, die es schaffen, mir den Kopf schon mit einem Foto komplett zu verdrehen. Genau das hatte bei meiner Freundin gefehlt, das fehlende Stück im Puzzle. Sie war sympathisch, aber ein sympathisches Mädchen, kein sympathischer Junge... Damit schien auf einen Schlag alles unbegreifliche geklärt.

    Spätestens zu diesem Zeitpunkt war eigentlich klar, dass ich auf Jungs stehe. In dem Moment war mir das nicht bewusst und war mir auch egal. Ich hatte die rosarote Brille auf und war von einer Sekunde auf die andere wie umgepolt. Das Schlucken über das Geschehene sollte später noch kommen... Aber zunächst schrieb ich den Jungen an. Für mich stand fest: Den musst du kennen lernen, wenn es charakterlich/menschlich passt ist das dein Traumpartner! Erste Gemeinsame Interessen gab es schon. Es kam auch nach wenigen Stunden eine Antwort, ob ich ein Foto hätte. Klar, habe ich im ganzen Durcheinander nicht dran gedacht, also am nächsten Tag gemacht.

    Nun herrschte Funkstille. Nachrichten wurden gelesen, Antworten kamen keine mehr. Ich dachte mir erst nichts dabei, antworte schließlich selbst manchmal erst am nächsten Tag. Ich fragte dann noch mehrmals nach, versuchte es auch mit etwas Humor. Innerlich natürlich voller Ungeduld, aber trotzdem zwang ich mich zu warten, man will ja niemanden bedrängen in dem man wie eine Klette wirkt. So zog sich das über mehrere Tage hinweg. Schlussendlich sank die Hoffnung, ich schrieb noch mal direkt, warum er sich nicht mehr meldet und dass ich das schade finde. Wieder gelesen, und auch 24h später keinerlei Reaktion.

    3. Die Kriese

    Das hat mich aus der Bahn geworfen, ich war am Boden zerstört wie noch nie zuvor. Heute muss ich mich wundern, wie ich die naive Einstellung haben konnte, der Erstbeste würde mir um den Hals springen. Sicher bin ich nicht der hässlichste Mensch auf Erden. Aber zu den Frauen/Männer-Magneten gehöre ich definitiv auch nicht. Es war schon bei den Mädchen schwierig. Meine Erwartung war also fernab der Realität. Aber wahrscheinlich ist genau das der Punkt, der das Thema Liebe so kompliziert macht: Durch die rosarote Brille betrachtet ist die Erde eine Scheibe und Gegenstände fallen nach oben statt unten.

    Wie auch immer, das Ergebnis war, dass ich mehrere Tage lang ein Wrack war. Ich saß nur zuhause, Drogen bis zum abwinken, habe die Wohnung nicht verlassen. Ich habe nur weiter nach Jungs geschaut, was sich als schwierig herausstellte. Die Art von Jungs auf die ich stehe scheint selten zu sein. Daher konnte ich das Thema auch gut vor mir selbst verbergen, solche Typen laufen einem im Alltag nicht täglich dutzendfach über den Weg. In der Zeit wurde mir dann auch langsam klar, was eigentlich in den letzten Tagen passiert ist - die rosarote Brille löste sich langsam und schaffte klare Blicke auf die Tatsachen.

    Das deprimierte mich noch mehr: Ich musste mich nicht nur damit abfinden schwul zu sein, sondern auch damit, dass von denen die ich attraktiv finde mich offenbar keiner attraktiv findet. Das Fazit dieses Kapitels ist: Ich habe mir nicht unerheblich weit selbst etwas vorgemacht, weil ich Unsicher war und die Zeichen nicht wahr haben wollte. Im Nachhinein finde ich das bedenklich. Normal ist das nicht meine Art. Ich entscheide eher pragmatisch und logisch. Mir fällt kein anderes Thema ein, bei dem ich mich so dermaßen selbst an der Nase herum geführt habe wie hier. Wie soll ich ehrlich zu anderen sein, wenn ich mich selbst belüge?

    Aber es ist passiert, zwar nur 1x aber trotzdem geschehen. Denn ich lege Wert auf Ehrlichkeit und habe das bisher auch gelebt, ausgenommen hier. Ein sehr unangenehmer Gedanke. Ich hoffe daher, dass es ein Einzelfall bleibt...

    4. Von Wolke 7 zurück auf die Erde

    Die Geschehnisse der letzten Tage wirkten wie ein Katalysator für meinen bedauernswerten Zustand. Aber selbst total zugedröhnt musste ich einsehen, dass ich so nicht weiter komme. Im Gegenteil, durch die mittlerweile angesammelten "Krankheitstage" wurde auch die Schule langsam misstrauisch. Ich hatte einiges verpasst. Wobei mir die Schule in dem Moment wirklich total egal war. Mir war wirklich alles egal, wie noch nie zuvor. Wäre jemand mit Waffe zu mir gekommen, ich hätte ihn angefeuert endlich abzudrücken. Über Selbstmord hatte ich zwar etliche Jahre zuvor mal nachgedacht (Mobbing). Wirklich in Frage kam das aber nie, weil es mir missfiel Leben sinnlos zu zerstören, dadurch Verwandten/Freunden massive Schmerzen zuzufügen und vor Problemen davon zu laufen statt eine Lösung zu finden.

    Ich konnte mich nur mit einem Argument selbst motivieren: Ein klarer Kopf, um weiter zu suchen. 100% war ich davon nicht überzeugt, aber mein Gefühl war es, also tat ich es: Der Drogenkonsum wurde von einem Tag auf den anderen beendet. Der Alltag kehrte langsam wieder ein, aber ich war wie ferngesteuert. Körperlich anwesend, aber richtig konzentrieren konnte ich mich auf nichts. Stattdessen hinterfragte ich alles, was ich tat. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich bis auf weiteres keinen Finger mehr krumm gerührt, als nach einem Jungen zu suchen der mich fesselt. Es schien mir bedeutungslos, mich um Schulaufgaben oder meine Bewerbungen zu kümmern.

    Stattdessen dachte ich darüber nach, was eigentlich geschehen war. Wie bei einem Hagelschauer prallte alles auf mich herab, und ich musste mir eingestehen, mich selbst belogen zu haben. Es gab bereits davor Anzeichen dafür. Habe mich ertappt, wie ich Jungs gesehen habe und mir dachte 'Der ist aber süß'. Das kam aber nicht so oft vor. Und im Nachhinein muss ich zugeben, dass ich es auch nicht wahr haben wollte. Weil es nicht oft vor kam, legte ich mir das dann zurecht. Mit dem Gedanke: Du bist doch nicht gleich schwul, nur weil du mal einen Jungen attraktiv findest.

    Schließlich ist von den Mädels doch auch mal zu hören, wie schön ein anderes Mädchen ist. Zwar meist wenn sie unter sich sind, aber lesbisch sind sie deswegen ja auch nicht gleich. Kurz gesagt, ich bin dem Thema aus dem Weg gegangen und habe mir gedacht: Du bist hetero, aber hast einfach noch nicht die Richtige gefunden. Weil ich verunsichert war habe ich jedoch auch nicht aktiv gesucht...

    Ich hoffe, dass so etwas nicht mehr vorkommt. Ich lege Wert auf Ehrlichkeit. Aber wie soll ich ehrlich zu jemand anderem sein, wenn ich mich schon selbst belüge? Das geht nicht und darf nicht sein. Diese Erfahrung hat mich daher gelehrt, niemals mehr die Augen vor der Realität zu verschließen, sondern sich den Tatsachen zu stellen. Es bringt ja im Endeffekt doch nichts, wenn ich mir die Erde als Teller vorstelle, aber sie in Wirklichkeit eine Kugel ist. Nur weil mein Kopf das anders sieht, wird sie ihre Form nicht verändern. Wenn das Schicksal mich dazu bestimmt hat auf Jungs zu stehen, werde ich mich dem schlecht widersetzen können.

    Und es stellt sich ja auch die Frage, warum dies ein unbehagliches Gefühl weckte:
    Ist es das unangenehme Gefühl, zu einer Minderheit zu gehören, die nicht der gesellschaftlichen Norm entspricht?
    Schiefe Blicke von Freunden und vielleicht konservativen Familienmitgliedern, die bei dieser Einstellung sich die Hand an den Kopf fassen müssen?
    Oder schlicht und einfach nur die Angst vor etwas neuem, unbekanntem?

    5. Wieder in der Realität angekommen

    Es dauerte etwas, bis ich mich mit der Realität anfreunden konnte. Sie hat mir überhaupt nicht gepasst und tut es auch heute nicht. Aber das ist mit anderen Dingen im Leben nicht anders. Was bleibt einem übrig als dies zu akzeptieren? Mittlerweile habe ich etlichen Stunden auf diversen Singlebörsen verbracht. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sehr schwer ist jemanden zu finden, der nicht gerade 600km weg wohnt, optisch und von den Interessen sowie Charakter her zumindest grob zu einem passt. Und vor allem, dass der das dann genau so sieht.

    Viele antworten gar nicht erst. Andere brechen den Kontakt mitten in den ersten Gesprächen ab, ohne dass man es verstehen kann warum. Das habe ich nicht erwartet, obwohl meine Erwartungen mittlerweile realistisch sind. Schwule sind gesellschaftlich heute noch in einer schwierigen Position und dürften sich mit Ausgrenzung/Abweisung bestens auskennen. Warum verhält man sich dann so abweisend? Selbst wenn ich sehe das ist überhaupt nicht mein Typ kann ich doch das in ein paar Wörtern schreiben, dann weiß jeder woran er dran ist. In der Realität würde man doch auch nicht ohne eine Rührung an jemandem vorbei laufen, der einen anspricht.

    Wenn man angeschrieben wird sind es meist Leute, die Sex-Bekanntschaften suchen und vom Alter her mein Vater oder sogar Großvater sein könnten ("Rekord": 56 war der Älteste bisher). Aber naja, wie schon oben gesagt: So dreht sich die Welt offenbar, daran lässt sich wenig ändern. Mittlerweile habe ich das genau so akzeptiert wie meine Orientierung und bin weiter auf der Suche nach passenden Partnern, um in dem Bereich Erfahrungen sammeln zu können.

    Ließt man von anderen die seit bald 10 Jahren erfolglos suchen, kann das demotivieren ja. Aber mir ist weder in der Kindheit noch danach je etwas in den Schoß gefallen, ich musste vieles auf die harte Tour lernen und bin es daher gewohnt, dass ich für meine Ziele kämpfen muss und es 3x so lange dauert wie bei anderen, weil ich erst 2x falsch abbiege bis ich weiß wie der Hase richtig läuft.

    Ich verstehe es daher nicht, wieso mich die Geschichte so sehr aus der Bahn geworfen hat. Auf Anhieb klappt bei mir normal gar nichts. Kann ich mir nicht erklären, ich habe schon schwierigere Probleme gelöst bei denen etliche Probleme nötig waren. Hier war es anders. Es wird wohl eine Eigenheit der Liebe sein, dass sie sich nicht an logisches und gewohntes hält, sondern dazu neigt alles über den Kopf zu werfen. Also werde ich dran bleiben und hoffen, eines Tages mein Glück zu finden. Schließlich hat niemand gesagt, dass das Leben einfach werden wird...

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  3. #2
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    Standard AW: Kurzgeschichte: Homosexualität/ Orientierungschaos

    Ey jetzt ernsthaft. Als ich es gelesen hab, konnte ich schon fast denken, dass ich diesen Text verfasst habe.
    Davor in Knuddels war es genau so.
    Schlecht sehe ich nicht aus, war da 19 und nun 21. (Sehe immernoch gleich jung aus und eine würde mich auf 16 schätzen.)
    In Knuddels wartete ich auch, bis ich angeschrieben wurde. Von paar wurde ich, aber traute mich nicht in echt zu treffen und die lebten sowieso zu weit.
    Es hat mal ohne Grund einfach spontan der Kontakt aufgehört und wurde nicht mehr angeschrieben.
    Bei manchen kamen es auch keine Antworten.
    Mich schrieben dann auch nurnoch solche im selben Alter an, wie bei dir.

    Immer die, auf die ich stehe, klappt es nicht so gut und auf die ich nicht stehe, habe ich keine Lust etwas anzufangen.
    Bin aber Bisexuell.
    Geändert von BitNet (30.11.2016 um 00:13 Uhr)

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  5. #3
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    Standard AW: Kurzgeschichte: Homosexualität/ Orientierungschaos

    Interessante Geschichte. Ich denke, im Internet spielt die (vermeintliche) Anonymität eine wichtige Rolle. Das sieht man auch sehr schön an Kommentaren auf Facebook, Youtube und anderen Plattformen. Die Hemmschwelle, sich asozial zu verhalten, scheint dort bei einigen niedriger zu sein. Weil einfach die persönliche Konfrontation fehlt, und sich der Gegenüber dadurch auch nicht wehren kann. Ignoriere ich eine Person in der Realität, kann sie mir hinterher laufen und mich für mein Verhalten zur Rechenschaft ziehen. Aber online? Was will der Gegenüber machen? Wenn nicht mal persönlicher Kontakt vorhanden ist, stehen die Chancen hoch, die Person nie wieder zu sehen.

    Aus dem Grund gibt es wohl auch nicht wenige Menschen, die über Messenger eine Beziehung beenden. Man erspart sich die Reaktion des Gegenüber beim Überbringen dieser zunächst negativen Botschaft. Auch das Rechtfertigen kann man umgehen, in dem man auf die Nachrichten einfach nicht antwortet.

    Auch wenn ich das Internet mag und es uns viele Vorteile bringt, ist das kein Aspekt den ich gut finde. Doch es ist nun mal so, alles hat 2 Seiten. Also müssen wir wohl damit leben, dass hier auch eine Veränderung zum Negativen eingetreten ist.

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