Microsoft hat große Angst vor GNU/Linux. So groß, dass der frühere Firmenchef Steve Ballmer deswegen seinen Urlaub unterbrach – und mit Millionenbeträgen um sich warf. Die Verbreitung von freier Software sollte um jeden Preis verhindert werden. Was bereits fragwürdig klingt, ist nur ein Teil in einer Schmutzkampagne des Konzerns: Hauptsache Windows zusammen mit weiterer proprietärer Software des Konzerns, lautet das Ziel von Microsoft.
München will sich erstmals aus den Fesseln befreien
Einer der bis heute reichsten Bosse in der Tech-Industrie lässt im Urlaub alles stehen und liegen, um eine Dienstreise anzutreten. Wie konnte es dazu kommen? Ausgelöst hatte das Christian Ude (SPD): Ab 1993 wurde er in München zum Oberbürgermeister gewählt sowie dreimal wiedergewählt. Obwohl er nicht aus der IT stammt, machte er die Bayrische Landeshauptstadt zu einem weltweit angesehen IT-Pioneer.
2002 (bzw. erweitert 2004) stellte Microsoft die Unterstützung für Windows NT 4.0 ein. Windows-Nutzer waren gezwungen, auf den Nachfolger Windows 2000 zu wechseln. Doch dieser hatte die Hardwareanforderungen stark erhöht.1 Neben neuen Lizenzen hätte die Stadt funktionierende Computer austauschen müssen. Bei 14.000 PCs eine hohe Summe. Christian Ude ärgerte sich, vom Konzern dazu gezwungen zu werden und sah Machtmissbrauch.
Er startete 2001 ein Projekt, um Alternativen zu analysieren. GNU/Linux lag bereits damals gleich auf. Bei manchen Preisvergleichen war Microsoft günstiger. Münchens damaliger Oberbürgermeister entschied sich bewusst für ein freies statt proprietäres Betriebssystem: Ihm wurde die Abhängigkeit von einem Großkonzern bewusst. Eben so die Datensicherheit, welche bei Windows & co. bereits damals umstritten war. Damit fiel die Entscheidung: Bayerns Hauptstadt möchte die Microsoft-Abhängigkeit massiv reduzieren – quelloffene Software soll bevorzugt eingesetzt werden.2
Microsoft ist alarmiert: München stünde „vor einer katastrophalen Fehlentscheidung“
LiMux war bis dahin der größte Wechsel von proprietärer zu freier Software in der gesamten öffentlichen Verwaltung einer Stadt. Wie jeder (Ex-) Microsoft Nutzer sicher bestätigen kann, sind dem Konzern seine Kunden sehr wichtig. Na gut, es gibt schwere Sicherheitsmängel, Gängelungen, Werbung, Preiserhöhungen und so weiter. Aber das geschieht natürlich alles nur zu eurem Besten! Der gemeinnützige Konzern sah, dass München aus diesem Schutzschirm ausbrechen wollte. Das war aus Sicht des Konzerns ein Skandal.
Um seinen Kunden zu „schützen“, ließ Steve Ballmer alles stehen und liegen: Von der Ski-Piste reiste er nach München und „sprang“ in Herrn Udes Büro umher. Als guter Verkäufer betonte Ballmer, wie schön München ist. Doch er war gekommen, um die Stadt „vor einer katastrophalen Fehlentscheidung“ zu bewahren. Udes war unbeeindruckt. Steve Ballmer überbot sich mehrfach mit Beigaben sowie Rabatten in Millionenschritten. Am Ende des Gesprächs stand ein beachtlicher Rabatt von rund 35%, eine Summe im 2-Stelligen Millionenbereich.
München hält massivem Lobby-Druck statt
Auch der bekannte Microsoft-Gründer Bill Gates besuchte den Oberbürgermeister und versuchte, ihn zu überreden. Er war Fassungslos und bezeichnete den Wechsel als „widersinnig“ und „Ideologie“. Gates verstand überhaupt nicht, dass seine Kunden von ihm abhängig sind – dies sei „Unsinn“.
Trotz aller Rabattschlachten war es keine Option, bei Microsoft zu bleiben. Schließlich ist dies nicht nur eine finanzielle, sondern vor allem eine strategische Entscheidung gewesen. München zog den Wechsel durch und stellte tausende PCs um.3 Es war ein Mammutprojekt, die über Jahrzehnte historisch gewachsene Microsoft Monokultur auf GNU/Linux umzustellen. Dennoch gelang es. Jahrelang war Windows verbannt, die Unabhängigkeit schien gesichert.
CSU & SPD wettern ohne Argumente & mit Vorwand gegen GNU/Linux
2014 kam es zum Politikwechsel: Die CSU ist wieder in der Regierung. Und griff quelloffene Software scharf an – ohne Gründe zu nennen, warum die genannten Probleme angeblich durch sie verursacht worden seien.4 Es ist offensichtlich, dass es bei dieser Debatte nicht um berechtigte Kritik an FOSS ging. Die CSU wollte mit aller Gewalt Steuergelder zu einem Monopolisten fließen lassen und dabei dessen Abhängigkeit bewusst in Kauf nehmen. Dafür suchte man populistische Vorwände.
Sachfremde Einzelmeinung: „keine verhängnisvolle Rolle rückwärts“
Noch im Sommer 2014 ist keine Rolle Rückwärts zu Microsoft auch nur öffentlich im Gespräch gewesen. Im Gegenteil: SPD, Grüne und sogar die CSU schlossen damals einen Wechsel zurück sogar ausdrücklich aus. Gerüchte zu einer Rückkehr wurden als unbestätigte Theorien abgetan. Man war sich einig, dass es mit GNU/Linux & anderer freier/quelloffener Software zu Problemen kommen kann, wie mit jeder Software. Diese wolle man lösen und die Plattform verbessern. Otto Seidl (IT-Experte aus der CSU-Fraktion) kritisierte die Kritik des zweiten Bürgermeisters aus seiner Partei scharf als „sachfremde Einzelmeinung“.
Florian Roth, Fraktionsvorsitzender der Grünen, stellte fest:
Es ist leider üblich geworden, alle Mängel und Wartezeiten in der städtischen Verwaltung auf die LiMux-Umstellung zu schiebe
Die bisherige Stadtspitze unter Rot-Grün betonte, dieses „modellhafte Projekt offener Software immer vorangetrieben und unterstützt“ zu haben. Man zeigt sich besorgt über OB Reiter und sein Vize-Bürgermeister. Es wurde gehofft, dass die beiden „keine verhängnisvolle Rolle rückwärts“ planen. FDP und Piraten standen ebenfalls geschlossen hinter LiMux. Die zwei Bürgermeister stehen mit ihrer radikalen und unbegründeten Kritik an LiMux alleine da, so schien es.5
Mit CSU & SPD heimlich zurück ins teure Gefängnis
Doch solche Fakten scheinen für Geld- und Machteile Politiker überbewertet zu sein. Deren Meinung, dass GNU/Linux schuld sei, stand ja schon vorher fest. Wer einen Hammer in der Hand hält, macht selbst Schrauben zum Nagel. Die beiden Bürgermeister von CSU & SPD setzten sich, zusammen mit Microsofts Lobbyarbeit, 2017 durch: Der Stadtrat beschloss mit den Stimmen beider Parteien den Wechsel zurück zum proprietären Monopolisten. Entgegen aller Fakten. Besonders dreist: Der Wechsel wurde in nur einem Absatz versteckt. Ursprünglich ging es um eine IT-Neuorganisation.6
Zusätzliche Kosten in einem erheblichen, mindestens 2-Stelligen Millionenbereich? Irrelevant, zahlen ja die Steuerzahler. Die Preiserhöhungen in Zukunft auch. Abhängigkeit von einem Quasi-Monpolisten? Für kapitalistisch motivierte Politiker ein Bonus: Sie können nach der Politik dort um einen hochbezahlten Beraterjob Betteln. Will ja schließlich keiner mit nur ~10.000€ Diäten pro Monat verhungern. Massives unnötiges Datensammeln in Microsoft-Software, Datenschutzprobleme? Unwichtiges Detail, wenn es um Macht geht.
Technische Aspekte? Egal, wir wollen Lobbyarbeit!
Das Gutachten umfasste neben einer Bestandsanalyse auch Handlungsempfehlungen. Es riet etwa dazu, Betriebssystem und Anwendungen zu entkoppeln. Eine weise Empfehlung, die heute kein ernst zu nehmender ITler mehr anzweifelt. Dazu empfahlen sie einen Parallelbetrieb von Windows und LiMux. Auch wurde auf rund 10.000 Vorlagen sowie 130 Makros in LibreOffice hingewiesen. Am sinnvollsten wäre daher, LibreOffice unter Windows ebenfalls zu nutzen. Schließlich handelt es sich um eine plattformübergreifend nutzbare Software – im Gegensatz zu Microsoft Office.
Die Koalition wollte von diesen Empfehlungen nichts wissen: Sie will „Marktübliche Standardprodukte“. Das verbreitetste freie Office-Paket ist für sie allerdings kein Teil dieser offen klingenden Formulierung. Sondern ein Synonym für Microsoft Office.7 Bei der Planung der Rolle Rückwärts zeigten CSU und SPD noch radikaler, wie ignorant sie gegenüber technischen Aspekten bzw. generell Fakten sind. Sie wollten mit Gewalt Microsoft, um jeden Preis.
Die Zukunft
Mit den Wahlen im Frühjahr 2020 schied die CSU aus der Landesregierung aus. Stattdessen bilden SPD und Grüne eine Koalition. Durch den Wegfall des Quertreibers war es wieder möglich, sich in der Regierung für quelloffene Software einzusetzen: Im Koalitionsvertrag einigte man sich darauf, das wo immer möglich zu tun. Mit Stipendien für Entwickler soll das Ökosystem unterstützt werden.8
Der damalige Wechsel weg von GNU/Linux wird bedauert. Man möchte sich allerdings nicht derart radikal für freie Software einsetzen, wie es die ehemaligen Bürgermeister für proprietäre Microsoft-Produkte getan haben. Ein weiterer Wechsel des Betriebssystems in einem Jahrzehnt sei den Mitarbeitern nicht zuzumuten, so die IT-Referentin von den Grünen.9
Fazit
LiMux war ein Vorzeigeprojekt, für das Deutschland international beneidet wurde.1011 Die Koalition aus CSU und SPD hat es zerstört. Bei einem derartigen Mangel an sachlichen Gründen und dem Ignorieren von Fakten muss von einer bewussten Böswilligkeit ausgegangen werden. Das hat nicht nur der Stadt München geschadet, sondern dem ganzen Land. Wie weit & unabhängig könnten wir heute sein, wenn LiMux geblieben wäre? Und nur einen Teil der ca. 89.000.000 Euro investiert worden wäre, die für den Wechsel zurück zu Microsoft verbrannt wurden?12
Es ist eine Schande, dass sich bis heute Politiker für derartige Konzerne einsetzen. Die skrupellos ihre Kunden auf alle erdenklichen Wege gängeln, Überwachen und ihnen das Geld aus der Tasche ziehen. So etwas sollten wir uns nicht bieten lassen. Insbesondere nicht mit Steuergeldern – die bezahlen wir schließlich am Ende alle! Genau deswegen muss Software in der öffentlichen Verwaltung souverän und transparent zugänglich sein. Außer die persönliche Gier nach Macht & Geld für einzelne Politiker gibt es keinen sachlichen Grund, uns stattdessen von derartigen Konzernen abhängig zu machen.
Die Heimlichtuerei ist ebenfalls völlig inakzeptabel. Wie kann es sein, dass der Stadtrat eine derart umstrittene Entscheidung in einem Satz unterbringt. Und anschließend auch noch die massiven Kosten geheim hält?13 Hier geht es um weit mehr, als ein paar zehntausend Euro für neue Schilder. Transparenz und öffentliche Diskussionen sind wichtige Grundwerte unserer Demokratie. Sie werden von derartigen Vertuschungsversuchen mit Füßen getreten.
Quellen
- https://www.winhistory.de/more/win2000.htm#set ↩︎
- https://www.linux-magazin.de/ausgaben/2019/10/interview-2/ ↩︎
- https://www.spiegel.de/netzwelt/web/20-jahre-linux-wie-der-pinguin-nach-muenchen-kam-a-781680.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/Muenchner-Buergermeister-sieht-deutliche-Schwaechen-bei-LiMux-2391735.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/Linux-in-Muenchen-Stadtrat-verteidigt-LiMux-gegen-Buergermeister-2262506.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/Aus-fuer-LiMux-Muenchner-Stadtrat-sagt-zum-Pinguin-leise-Servus-3626623.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/LiMux-Aus-in-Muenchen-Opposition-wettert-gegen-katastrophale-Fehlentscheidung-3622848.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/Erneuter-Kurswechsel-Muenchen-will-moeglichst-breit-auf-Open-Source-setzen-4716098.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/Neue-IT-Referentin-in-Muenchen-Kein-zurueck-zu-LiMux-aber-Open-Source-staerken-7191854.html ↩︎
- https://interoperable-europe.ec.europa.eu/collection/open-source-observatory-osor/document/limux-it-evolution-open-source-success-story-never ↩︎
- https://www.ieyenews.com/how-munich-rejected-steve-ballmer-and-kicked-microsoft-out-of-the-city/ ↩︎
- https://vergabeblog.de/2017-12-12/muenchen-limux-aus-endgueltig-besiegelt/ ↩︎
- https://www.heise.de/news/LiMux-Ex-OB-Christian-Ude-glaubt-an-Linux-Revival-in-Muenchens-Verwaltung-4583916.html ↩︎