Debian 12 „Bookworm“ ist da: Das ist neu – Was passiert mit dem Raspberry Pi OS?

Als Video ansehen
Bereitgestellt über YouTube

Debian 12 „Bookworm“ ist da: Das ist neu – Was passiert mit dem Raspberry Pi OS?

Bereits seit Monaten wird am Nachfolger für Debian 11 alias Bullseye gearbeitet. Am 10. Juli 2023 wurde die finale Version 12 von den Entwicklern freigegeben. Sie hört auf Bookworm (Bücherwurm) enthält neben aktualisierten Paketen auch einige weitere erwähnenswerte Veränderungen, die folgender Artikel aufzeigt. Debian ist nicht nur eine der verbreitetsten GNU/Linux-Distribution für Desktops und Server, sondern bildet auch die Basis für das offizielle Raspberry Pi Betriebssystem namens Raspberry Pi OS, auf das wir hier zwischendrin ebenfalls einen Blick werfen werden.

Ergänzung: Mittlerweile wurde das Raspberry Pi OS 12 im Oktober 2023 veröffentlicht und ich habe die Änderungen in diesem Beitrag zusammengefasst.

Debian fügt unfreie Firmware in offiziellen Installationsmedien ein

Lange Zeit war Debian dafür bekannt, recht strikt auf freie Software (im Sinne von Freiheit) zu setzen: Die Abbilder enthielten ausschließlich freie Software. Als Kompromiss gab es inoffizielle Abbilder für jene, deren Hardware mit freien Treibern nicht funktioniert. Oft betrifft das einzelne Funktionalitäten wie beispielsweise WLAN oder Bluetooth. Dies änderte sich 2022, als man sich im Rahmen einer Abstimmung aus mehreren Varianten für die fünfte Entschied. Debian 12 setzt das Ergebnis erstmals um.

Variante 5 besagt: Die offiziellen Abbilder erhalten unfreie Software. Der Installations-Assistent prüft, ob die Hardware nur über proprietäre Treiber unterstützt wird und lädt diese bei Bedarf. Wer das nicht möchte, kann diese Einstellung deaktivieren, sodass ausschließlich freie Software zum Einsatz kommt. Hierfür wurde in den Paketquellen ein neuer Archivbereich non-free-firmware eingeführt. Bis dahin gab es non-free für problematische, unfreie Programme, welche die Anforderungen der Debian Free Software Guidelines (DFSG) nicht erfüllt. Wer damit einverstanden war, musste sie selbst aktivieren. Durch die Aufteilung soll sonstige proprietäre Software besser von Firmware wie etwa Treibern getrennt werden.

Für Endnutzer bedeutet dieser Schritt letztendlich, dass mehr Hardware automatisch unterstützt wird. Und zwar ohne manuelle Schritte. Bisher mussten Nutzer bei Bedarf entweder proprietäre Treiber selbst installieren, oder auf die inoffiziellen Abbilder zurückgreifen. Vor allem neuere Hardware funktioniert teilweise (leider) noch nicht anders, da quelloffene Treiber diese (noch) nicht oder unzureichend unterstützen. Die Hersteller halten ihre Treiber geschlossen, sodass sie nicht in die quelloffenen einfließen können.

Sichtbare Veränderungen gibt es darüber hinaus übrigens keine. Der Installations-Assistent ist unverändert, was sicher diskutabel ist: Zwar erfüllt er seinen Zweck nach wie vor. Doch nicht jeder dürfte sich von der Oberfläche abgeholt fühlen, die optisch aus der Jahrtausendwende stammen könnte. Das auf Debian aufbauende Ubuntu arbeitet bereits seit 2021 an einer Ablösung des bisherigen Assistenten, um den derzeitigen, 2006 eingeführten abzulösen. In Version 23.04 wurde der neue zum Standard.

Über 64.000 Pakete in Debian 12

Im Vergleich mit dem Vorgänger konnte die Menge an verfügbarer Software erneut gesteigert werden: Mehr als 11.000 Pakete sind neu hinzugekommen, insgesamt stehen damit über 64.000 Software-Pakete zur Verfügung. Rund 6.000 Pakete mussten entfernt werden, meist weil sie obsolet sind. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass ein Programm nicht mehr vorhanden ist. Es kann beispielsweise eine vom Hersteller der Software nicht mehr unterstützte Version entfernt worden sein, wogegen eine neuere, unterstützte Version dazu gekommen ist. Mit über 43.000 Paketen hat die Mehrheit von 67 % eine Aktualisierung erhalten und ist damit weiterhin vorhanden.

Bei einigen Paketen stecken größere Verbesserungen/Neuerungen in Debian 12: Die Desktop-Umgebung KDE ist in Version 5.27 enthalten und bietet unter anderem eine bessere Suche sowie vollständige Unterstützung für mehrere Bildschirme. Debian 11 hängt mit 5.20 ganze sieben Versionen hinterher.

Gnome wurde von Version 3.38 auf 3.43 aktualisiert. Damit erhält man die derzeit zweit aktuellste Version, da bereits Gnome 44 verfügbar ist. Hier hat sich beispielsweise die Leistung verbessert, was unter anderem zu einer geschmeidigeren Bedienung führt. Dies sind nur ausgewählte Beispiele, es gibt neben neuen Grafikkarten-Treibern, Office-Software und Serverdiensten noch zahlreiche weitere bekanntere aktualisierte Anwendungen. Mehr Informationen finden sich in den Release-Notes (Links siehe Ende des Artikels).

Neuer Kernel: Linux 6.1 (und das Raspberry Pi OS)

Der Linux-Kernel hat ebenfalls ein Upgrade von 5.10 auf 6.1 erhalten. Das Raspberry Pi OS wurde bereits im Mai 2023 in einer eigens ausgerollten Aktualisierung auf 6.1 angehoben. Hier zeigt sich ein elementarer Unterschied zwischen den beiden Distributionen: Das Raspberry Pi OS aktualisiert den Kernel in mitten einer Hauptversion (11). Und zwar nicht zum ersten Mal: Bereits am 20.08.2020 wurde Linux 4.19 durch 5.4.51 ersetzt. Unter Debian sind derart umfangreiche Änderungen von Hauptversionen ausgeschlossen: Ein Sprung von Kernel-Version 5 auf 6 geschieht dort ausschließlich über eine neue Debian-Version. Innerhalb einer Hauptversion erhalten Pakete nur Sicherheitsaktualisierungen und im Ausnahmefall schwerwiegende Korrekturen. Daher hat der Raspberry Pi den neuen 6.1 Kernel auch bereits im Mai und damit vor der stabilen Veröffentlichung von Debian 12 erhalten.

Einzige Ausnahme: Backports

Erwähnenswert sind an dieser Stelle die Debian Backports. Da Debian die Software für eine Version einfriert, sind innerhalb einer Debian-Version keine größeren Aktualisierungen verfügbar. Dies sorgt für Stabilität, allerdings einige Zeit danach auch für veraltete Programme. Debian 11 ist etwa vom August 2021. Seit dem wurde einige Software aktualisiert und hat dadurch etwa neue Funktionen bekommen. Zumindest bei APT-Paketen muss man dafür bei dieser Distribution auf eine neue Version warten – unter Umständen recht lange.

In Backports sind Pakete aus dem Testing-Zweig enthalten und vereinzelt auch Unstable. Sie wurden für die Bibliotheken in der vorherigen Version kompiliert. Oder anders ausgedrückt: Man kann neue Software der nächsten Debian-Version in der vorherigen nutzen. Und zwar ohne ein komplettes Upgrade auf instabile Pakete. Backports müssen ausdrücklich installiert werden, sie beziehen sich immer nur auf ein Paket (z.B. Gimp, Firefox, usw). Man kann allerdings bereits erahnen: Dies ist nichts für Einsteiger. Möglich sind zudem Probleme beim später durchgeführten Upgrade. Der durchschnittliche Nutzer ist daher vermutlich besser beraten, die Paketquellen für seine Distribution zu verwenden.

Alternativen zu (veralteten) Paketen und Backports

Wer aktuelle Pakete benötigt, hat weitere Alternativen, die allerdings nicht offiziell unterstützt sind: Gerade für Dienste eignet sich Docker hervorragend. Durch die Containerisierung entfällt die Bindung zur Host-Distribution. Es können daher völlig unterschiedliche Bibliotheken von mehreren Anwendungen parallel benutzt werden, ohne Konflikte zu verursachen.

Ansonsten sind auch Flatpack, Snap und AppImage einen Blick wert: Die alternativen Formate sind unabhängig von den globalen Paketquellen. AppImage ist mit portablen, ausführbaren Dateien (exe) von Windows vergleichbar. Sie erfordern keine Installation, sondern starten direkt das gewünschte Programm.

Wie geht es weiter? Was passiert mit dem Raspberry Pi OS

Unabhängig davon, wo und wie ihr Debian verwendet, muss niemand sofort ein Upgrade durchführen: Debian veröffentlicht alle zwei Jahre eine neue Hauptversion, die wiederum für drei Jahre uneingeschränkt unterstützt wird. Zusätzlich erhält sie zwei weitere Jahre LTS-Support durch die Community, sodass jede Version theoretisch bis zu 5 Jahre lang Pflege erhält. Selbst wenn man nicht in den LTS-Status fallen möchte, bleiben noch mehr als ein Jahr Zeit – Debian 11 Bullseye erschien Mitte August 2021, sodass der erste Zyklus erst Mitte 2024 endet.

Üblicherweise dauert es nach der Veröffentlichung einer neuen Debian-Version einige Monate, bis das Raspberry Pi OS die eigenen Anpassungen darauf abgestimmt hat. Dies ist nötig, da zwar Debian als Basis verwendet wird. Aber es gibt einige Anpassungen, teils tiefer gehende, etwa für die Hardware. Bei der aktuellen Debian 11 Version erschien das Raspberry Pi OS 11 Pendant Ende Oktober 2021, also etwa 2,5 Monate später. Als ungefähre Einschätzung kann das Raspberry Pi OS 12 also etwa zum Anfang des Herbst erwartet werden. Eine offizielle Ankündigung gibt es bislang nicht.

Doch auch wenn das Raspberry Pi OS 12 auf Basis von Bookworm erscheint, bleibt noch genügend Zeit, um eure Pis zu aktualisieren: Die Raspberry Pi Organisation hat 2021 den Lebenszyklus mit dem Raspberry Pi OS Legacy erweitert. Bis dahin wurde die vorherige Version nicht mehr Unterstützt, sobald eine neue Version erschienen war. Dies war einigen zu kurz, gerade wenn umfangreichere Anpassungen für z.B. anschließbare Hardware nötig waren. Seit dem wird die aktuelle und vorherige Version mit Aktualisierungen versorgt. Konkret heißt das: Derzeit werden Raspberry Pi OS 10 und 11 unterstützt. Und das bleibt auch so, bis Raspberry Pi OS 12 erscheint. Dann wird Version 10 nicht mehr gepflegt, aber dafür Version 11 und 12, bis in ferner Zukunft die Version 13 in den Startlöchern stehen wird.

Fazit

Debian hat sich für proprietäre Firmware geöffnet – das ist wohl die größte Veränderung. Dies hat Vor- und Nachteile. Für den durchschnittlichen Nutzer ist das wohl positiv, da den Meisten ein automatisch möglichst weitgehend funktionierendes System wohl wichtiger sein dürfte, als ausschließlich freie Software im moralischen Sinne einzusetzen.

Ansonsten bringt Debian nach zwei Jahren seine Pakete wieder wie üblich auf recht aktuelle Versionen, die einige Neuerungen und Verbesserungen enthalten. Die Distribution ist nicht für aktuellste Pakete bekannt, dafür jedoch für ihre Stabilität sowie vielfältige Unterstützung von zahlreichen Architekturen. Wer nicht die aktuellste Software braucht, ist auch 2023 noch gut mit Debian beraten. Um einzelne Programme in aktuelleren Versionen zu nutzen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Möchte man dagegen generell neue Software-Updates zeitnah erhalten, eignen sich Distributionen wie Arch Linux besser. Ein Kompromiss kann hierbei auch Manjaro sein, bei dem die instabilen Arch Pakete gründlicher geprüft werden. Die Verzögerung liegt im Bereich von wenigen Wochen und ist daher deutlich aktueller, als Debian. Außerdem erspart man sich die händische Installation ohne Assistenten.

Ich habe nicht sämtliche Veränderungen aufgelistet, da sie teils eher in Nischen wichtig sind. Ein Beispiel ist, dass der which Befehl veraltet ist. Er durchsucht $PATH nach ausführbaren Dateien und liefert im Erfolgsfall den Pfad zurück. Stattdessen soll type bzw. type -a verwendet werden. Wer sich für sämtliche Details interessiert, kann einen Blick in den What’s new Artikel von Debian werfen.

Weitere Informationen

Leave a Reply