Drauf zahlen, Funktionen weg: So lassen dich große HiFi-Hersteller in die Abo-Falle laufen

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Drauf zahlen, Funktionen weg: So lassen dich große HiFi-Hersteller in die Abo-Falle laufen

Moderne AV-Receiver und Internetradios sind natürlich ebenfalls online und spielen das Radio von dort ab. Mehrere größere Hersteller haben sich jedoch für einen externen Anbieter entschieden, was zu Schiffbruch führte: Die Kunden sollen Abos abschließen, die immer teurer werden – oder können die Online-Funktionen teilweise gar nicht mehr nutzen. Eine Übersicht, was mit Sony, Denon, Marantz, vTuner passiert ist und was Yamaha besser macht, als die anderen.

Wer sind Denon und Marantz?

Denon und Marantz sind japanische Hersteller von Hi-Fi Geräten für den Heimgebrauch. Beide existieren seit Jahrzehnten, wie Grundig in Deutschland. Denon ist sogar über 100 Jahre alt. Die japanischen Unternehmen stellen AV-Receiver her. Als Verstärker sind sie das Herzstück einer Heimanlage und haben in der Regel ein integriertes Radio. Früher analog, mittlerweile sind die Geräte smart geworden: Per Internetradio lassen sich tausende Sender abspielen, die gar nicht im Empfangsbereich liegen, sogar ausländische. Das ist sehr praktisch, da es so keine Grenzen mehr gibt. Am PC existiert diese Möglichkeit schon viele Jahre. Nahezu alle größeren Sender bieten einen Livestream auf ihrer Webseite an. Wer Inspiration sucht, findet auf Seiten wie radio.de ein Verzeichnis von derzeit 60.000 Webradios – auf Wunsch sortiert nach Genres, Standort und anderen Kriterien.

Wieso wurde 2020 plötzlich der Stecker gezogen?

Mitte 2020 machten Käufer von Denon und Marantz eine böse Überraschung: Sie konnten nur noch jene Sender hören, die sie als Favorit auf ihrem Gerät gespeichert hatten. Neue wurden nicht mehr angezeigt. Wie kann das sein, bei einem nahezu unerschöpflichen Angebot von zehntausenden Sendern? Es stellte sich heraus, dass die Hersteller der Geräte die Radiosender nicht selbst integriert haben. Dies wurde an den externen Dienst vTuner ausgelagert: Das Unternehmen hat sich darauf spezialisiert, Radiosender auf diverse Vertreter der Unterhaltungselektronik zu bringen. Für die Gerätehersteller sicher bequem, da sie sich um das Radioprogramm nicht mehr kümmern müssen. Aus Kundensicht allerdings ein weiteres Risiko: Sie sind nun nicht mehr nur vom Wohlwollen des Gerätehersteller abhängig, sondern zusätzlich von einer weiteren Partei.

Und dieser externe Anbieter vTuner war es, der die Konditionen geändert hatte: Das Radioprogramm wird nicht mehr kostenfrei angeboten, sondern sollte damals 3 US-Dollar pro Jahr (derzeit ca. 2,80€) kosten. Der Käufer von Denon oder Marantz soll also einen Abo-Vertrag mit vTuner schließen, sein Gerät frei schalten lassen und dafür jedes Jahr bezahlen. VTuner selbst argumentiert, man brauche das Geld, um den eigenen Dienst anbieten zu können. Zumal man die Privatsphäre der Nutzer respektiere, in dem keine Nutzungsdaten verkauft oder für Werbezwecke genutzt werden. Dadurch bauen sie auch keine Werbeunterbrechungen in das Programm ein, wie es andere Anbieter tun.

Saftige Preiserhöhung nach nur 3 Jahren

Ärgerlich, aber sind ja nur knapp 3 Euro pro Jahr, also beißen wir in den sauren Apfel – wer das damals dachte, wird noch größere Augen machen: Nur gut drei Jahre später haben sich die Kosten bereits auf $6/Jahr verdoppelt. Bei dem Tempo wird die 100€ Grenze nach wenigen Jahren in Summe geknackt. Wohlgemerkt sprechen wir von einer Leistung, die beim Kauf der Geräte vorhanden war und in der Regel auch so beworben wurde. Ein Teil der Kunden hat sicherlich aufgrund dieses Merkmales eine Kaufentscheidung getroffen. Nun hat er nicht nur mehrere hundert bis tausend Euro für den AV-Receiver ausgegeben, sondern hat ungewollt ein Jahresabo am Hals, welches ständig teurer wird. Und da in der proprietären Firmware der Geräte in der Regel keine anderen Anbieter eingebaut sind, kann der HiFi-Kunde nicht wechseln – er ist unfreiwillig einem Monopol ausgeliefert: Entweder bezahlen oder die Funktionalität ist weg.

So dreist reden sich die verantwortlichen Hersteller heraus

Die Hersteller der Geräte selbst waschen ihre Hände in Unschuld: Nur vTuner habe die Konditionen verändert. Sie selbst hätten nichts gemacht und können sowieso nicht beeinflussen, was vTuner macht. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Wer hat die Entscheidung getroffen, ein externes Unternehmen einzubetten? Dies hat nicht vTuner zu verantworten, sondern dafür sind alleine die Gerätehersteller verantwortlich. Niemand hat sie gezwungen, dieses Risiko für ihr Produkt einzugehen. Sie hätten auch eine eigene Lösung entwickeln können. Oder noch besser: Eine freie Plattform gründen.

Stattdessen sind sie den einfachen, bequemen Weg gegangen und haben ihre Kunden von einem weiteren Anbieter abhängig gemacht. Nachdem das fehlgeschlagen ist, wäre das Mindeste was sie tun könnten, den selbst verschuldeten Schaden so weit es geht zu begrenzen: Dazu müssten die Hersteller nur einen Vertrag mit vTuner schließen, der die Kosten für jeweils Denon und Marantz Kunden übernimmt. Bei deren Größe zahlen sie auch bei weitem keine 3 oder 6 US-Dollar pro Kunde. Oder per Software-Update zu einem anderen Anbieter wechseln? Stattdessen wälzt man die eigenen Fehler auf den Kunde ab und tut so, als ob das ein Naturgesetz sei, an dem keiner etwas rütteln kann.

Kein Einzelfall: Sony ließ seine Kunden auch hängen

Man könnte meinen, die beiden hätten sich bei einem anderen großen Unternehmen inspiriert: Internetradios von Sony blieben seit dem 21.11.2014 stumm. Sony lieferte dazu am 25.11.2014 nur einen kurzen Hinweis: Auch hier habe vTuner seine Sendedienste für einige Sony-Geräte eingestellt. Man beschäftige sich mit der Angelegenheit und werde weiter informieren. Gegenüber Kunden habe der Kundendienst von Sony geäußert, es handle sich nicht um eine Fehlfunktion der Internetradios: Schließlich habe ja vTuner seine Dienste eingestellt. Das ist eine harte Ansage, die jedoch nicht stimmt. Andere Internetradios haben zu diesem Zeitpunkt weiterhin mit vTuner funktioniert. Ebenfalls bemerkenswert: Selbst die knappe Info-Seite war im Archiv zum 01.08.2015 bereits nicht mehr abrufbar. Ist es für Käufer eines Internetradios schon nach wenigen Monaten unwichtig zu wissen, dass es kein Internetradio mehr abspielt?

Am 05.10.2015 [sic], kündigte Sony offiziell an: Die Zusammenarbeit mit vTuner sei beendet. Fast ein Jahr lang funktionierten die Radios der Sony-Kunden nicht. Und selbst danach bot der Hersteller keine Alternative an: Wieder wird die Schuld auf vTuner geschoben. Aus Sicht von Sony hat vTuner der Stecker gezogen, ohne dass Sony das wollte oder etwas daran ändern kann. Die Stiftung Warentest fragte nach den Gründen, erhielt aber keine Antwort. Es ist naheliegend, dass es Streit zwischen den beiden Unternehmen gab. Nachdem vTuner mittlerweile Abos von den Kunden verlangt, wollte man wahrscheinlich von Sony Geld haben. Jedenfalls gibt es für Sony-Kunden kein Internetradio mehr. Und der Hersteller spielt das Problem herunter: Die Geräte hätten ja noch viele andere Funktionen und seien „voll funktionsfähig“.

Technisch mag das stimmen, die Kunden werden das aus nachvollziehbaren Gründen anders sehen. Ein damaliger Kunde hat sich eine kleine Sony-Anlage für 400€ gekauft, um damit Internetradio zu hören. Das funktionierte mit dem damals knapp drei Jahren Gerät plötzlich nicht mehr. Eine Rücknahme schließt Sony ebenfalls aus: Die Geräte hätten ja noch viele weitere Funktionen, als „nur“ das Internet. Es gehe außerdem um sehr viele Geräte, „Die können wir nicht einfach alle zurück­nehmen“ heißt es. Die Produktion laufe ebenfalls weiter und lagernde Geräte werden uneingeschränkt weiterverkauft.

Ist das in Deutschland legal?

Laut der rechtlichen Einschätzung von Stiftung Warentest werden viele Kunden auch vom Gesetzgeber im Stich gelassen: Die Sachmängelhaftung greife nur, wenn schon beim Kauf kein Internetradio abgespielt wurde. Also eben nicht für Bestandskunden, die ein Gerät besitzen, welches plötzlich nicht mehr funktioniert. Und das dürfte die Mehrheit gewesen sein. Hier hilft auch die freiwillige Herstellergarantie nicht. Es bleibe nur, auf Schadensersatz zu Klagen. Hier sind wir natürlich bei einem weitaus höheren Aufwand, der ggf. unverhältnismäßig ist. In den meisten Fällen haben die Hersteller also mit ihrem fragwürdigen Verhalten Erfolg und wälzen den Schaden einfach auf den Kunde ab.

Yamaha zeigt, wie es besser geht

Auch Yamaha war mit einigen Produkten betroffen. Als einziger mir bekannter größerer Hersteller hat er die Verantwortung für seine Entscheidung übernommen und stellte 2019 ein Firmware-Update bereit. Dadurch wird das Internetradio vom alternativen Anbieter Airable bezogen, statt vTuner. Die Seite listet auch eine ganze Reihe von inkompatiblen Geräten. Hier müsste man im Detail prüfen, wie viele Geräte davon keine eingebaute Internetradio-Funktionalität besitzen und daher dort gelistet sind. Bei meiner Stichprobe scheint das etwa bei HTR-7065 der Fall zu sein.

Und welche vom Problem betroffen sind, aber aufgrund des Alters von Yamaha nicht mehr versorgt werden. Danach sieht es etwa beim RX-V777 aus, der dieses Risiko besteht natürlich generell, dass die Versorgung mit Aktualisierungen nach einigen Jahren eingestellt werden, was bei Geräten mit derart langem Lebenszyklus ein Problem sein kann. Dennoch muss man Yamaha zu gute halten, zumindest für einen Teil der Kunden eine vernünftige Lösung gefunden zu haben – das ist schon weitaus mehr, als die Konkurrenz.

Fazit: Dreist gewinnt – Wer nicht aufpasst, trägt den Schaden

Dass vTuner Geld für den Betrieb ihrer Dienste benötigt, ist grundsätzlich verständlich. Unklar bleibt, wieso das erst Jahre später auffällt. Hat man sich zuvor keine Gedanken über das Geschäftsmodell gemacht? Fragwürdig ist zudem der IIS, der mindestens auf auf marantz.vtuner.com und vtuner.com unter einem Windows Server 2016 System läuft. Warum subventioniert man Microsoft mit Lizenzen für ihre proprietäre Software, wenn das Geld knapp sein soll? Kein Wunder verdoppeln sich die Abo-Kosten… Da sehe ich Fragezeichen in der Glaubwürdigkeit.

Die Gerätehersteller verhalten sich aus meiner Sicht extrem kundenfeindlich: Sie begeben sich in externe Abhängigkeit und als dieses Risiko zu Konsequenzen führt, wälzen sie es auf den Kunde ab – der davon im Zweifel gar nichts weiß, bis es knallt. Noch dreister ist die unehrliche Kommunikation, in der sie die Schuld auf das externe Unternehmen abwälzen. Obwohl sie selbst diese Entscheidung getroffen haben und zudem verschiedene Möglichkeiten hätten, dieses Risiko gar nicht erst entstehen zu lassen, oder zumindest den Schaden zu lindern. Aber warum Geld ausgeben, wenn man den Schaden auch solidarisieren kann? So lange das funktioniert und die Kunden weiterhin kaufen, wurde aus BWL-Sicht alles richtig gemacht. Dass man seine Kunden auch deutlich besser behandeln kann, hat Yamaha bewiesen – als Einziger von insgesamt vier großen Unternehmen.

Hier zeigt sich sehr deutlich, welche Risiken man als Käufer eingeht: Neben der Abhängigkeit vom Gerätehersteller lauern weitere, die auf den ersten Blick gar nicht bewusst sind. 3/4 Hersteller lassen den Kunde im Zweifel im Regen stehen. Man sollte sich daher vor dem Kauf genau über die Abhängigkeiten informieren. Auf der sichersten Seite ist man im Zweifel mit unabhängigen Wiedergabegeräten, die einen AV-Receiver oder andere Geräte lediglich als Ausgabegerät verwenden. Das gilt natürlich eben so wie andere smarte Geräte wie Smart-TVs.

Quellen und weitere Informationen

  • Denon & Marantz: Internetradio nur noch gegen 3 US-Dollar Jahresabo
    https://www.test.de/Denon-und-Marantz-Internetradio-nur-noch-gegen-Geld-5627618-0/
  • Denon Support-Seite zum neuen vTuner
    https://support-de.denon.com/app/answers/detail/a_id/7096/~/internetradio-service-vtuner
  • Erste umfangreiche Beschwerden von Sony Internetradio Kunden
    https://www.test.de/Internetradios-von-Sony-Aus-dem-Netz-nur-noch-Funkstille-4801065-0/
  • Sonys Ankündigung zum vTuner Ausfall (Archiv-Version vom 11.02.2015)
    http://web.archive.org/web/20150211151921/http://www.sony.de/support/de/content/cnt-hn/prd-tvhc/internet-radio-stations
  • In der Archiv-Version vom 01.08.2015 ist Sony’s Ankündigung bereits nicht mehr abrufbar und zeigt nur noch eine Fehlerseite: http://web.archive.org/web/20150801055918/http://www.sony.de/support/de/content/cnt-hn/prd-tvhc/internet-radio-stations
  • Sony erklärt das Ende für Internetradios bei HiFi-Anlagen/AV-Receivern
    https://www.test.de/Sony-Aus-fuer-Internetradio-4931010-0/
  • VTuner Info/Freischaltungsseite (ASP.NET, IIS 10)
    https://marantz.vtuner.com/setupapp/marantz/asp/AuthLogin/DetectDevice.asp?noreg=y&lngy=eng
  • Yamaha Firmware-Update von vTuner zu airable.radio
    https://de.yamaha.com/de/news_events/2019/0305_av_update_on_internet_radio_station_access.html
  • Produktseite HTR-7065: Dieses Gerät wird nicht mit eingebautem Internetradio beworben, sondern explizit nur in Verbindung mit einem angeschlossenen PC
    https://www.yamaha.com/cchtr7065/?keyword%5Cu003dCCHTR7065%5Cu0026type%5Cu003dcustom%5Cu0026ref%5Cu003d#features
  • Produktseite RX-A3020 ohne Internetradio, nur analoges wird beworben
    https://de.yamaha.com/de/products/audio_visual/av_receivers_amps/rx-a3020/index.html#product-tabs
  • Produktseite RX-V777 wird mit Internetradio beworben, aber nicht mehr hergestellt
    https://de.yamaha.com/de/products/audio_visual/av_receivers_amps/rx-v777/features.html#product-tabs

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