Spätestens für die Vorstellung der eigenen Projektarbeit stellt sich die Frage nach der Zielgruppe – und das aus mehreren Gründen. Manche schlagen hier die Zielgruppe Prüfungsausschuss vor, die durchaus umstritten ist. In diesem Beitrag gehe ich auf deren Vor- und Nachteile ein, schlage aber auch bessere Alternativen vor und erkläre, warum die Zielgruppe für eine gelungene Präsentation wichtig ist. Bei mir in der Umgebung (BaWü) steht die Präsentation sowie mündliche Prüfung für Fachinformatiker-Azubis bevor: Ab Mitte/Ende Juni 2023 beginnen die Terminblöcke für die Sommerprüfung.
Warum eine Zielgruppe?
Manche IHKs verlangen von Auszubildenden, dass er sich für eine Zielgruppe entscheidet und diese zu Beginn seiner Präsentation nennt. Dazu zählt etwa die IHK Reutlingen (BaWü). Auch die IHK für die Region Stuttgart schreibt auf ihrer Übersichtsseite, dass zu Beginn ein Adressat genannt werden muss. Andere stellen dies frei oder fordern es zumindest nicht ausdrücklich. Eure erste Anlaufstelle sollte daher sein, euch auf der Webseite der zuständigen IHK über die Anforderungen zu informieren. Dies ist grundsätzlich sehr wichtig, da sich die Anforderungen generell lokal voneinander unterscheiden können – nicht nur bezüglich der Zielgruppe, sondern für die gesamte Prüfung. Beispielsweise kann sich die Bewertungsgrundlage/Gewichtung unterscheiden.
Selbst wenn eure IHK das nicht verlangt, ist eine Zielgruppe essenziell für jede erfolgreiche Präsentation: Wie könnt ihr sonst entscheiden, welche Inhalte ihr konkret präsentiert und in welche Ausführlichkeit? Einem Entwickler müssen technische Details beispielsweise anders oder ggf. gar nicht erläutert werden – BWL wird ihn dagegen höchstens beiläufig interessieren. Jemand aus der kaufmännischen Ecke wird sich von eurem Vortrag nicht abgeholt fühlen, wenn dieser in Kern technische Details behandelt. Oder auf die Spitze getrieben: Euren technisch weniger versierten Eltern/Großeltern muss ein IT-Problem ganz anders erklärt werden, als dem erfahrenen Kollegen.
Vor einem guten Vortrag ist der erste Gedanke daher: Für wen präsentiere ich? Abhängig davon kann man entscheiden, was überhaupt gezeigt/erklärt wird und in welcher Form. Das ist insbesondere in einer Prüfung wichtig, bei der nur ein enger Zeitrahmen von ca. 15 Minuten für die Präsentation zur Verfügung steht. Sonst läuft man Gefahr, dass weniger wichtiges zu ausführlich angesprochen wird, während wichtige Aspekte entweder zu wenig Raum finden oder sogar komplett gestrichen werden müssen.
Was möchte die IHK?
Und genau das ist einer der Aspekte, die Prüfer von der IHK bei der Präsentation bewerten. Im Kern geht es nämlich um zwei Dinge: Zum einen soll die fachliche Kompetenz aus der Projektarbeit geprüft werden. Aber der Azubi soll auch zeigen, dass er Probleme sowie die erarbeiteten Lösungen für eine bestimmte Zielgruppe darstellen kann – also genau der zuvor genannte Punkt. Abgerundet wird es durch das Fachgespräch, in dem die Prüfer nachhaken können und auch die Möglichkeit haben, auf mehr oder weniger umliegende Themen einzugehen.
So lange die gewählte Zielgruppe nicht den IHK-Richtlinien widerspricht, findet keine Wertung darüber statt, welche ihr gewählt habt – sondern, ob eure Präsentation an das Publikum angepasst ist. Oder anders ausgedrückt: Es geht um die Vorgehensweise, weniger um das Ergebnis. Die IHK Reutlingen definiert zur Bewertung die Zielgruppengerechte Darstellung als einen von insgesamt drei Kriterien:
Die anderen beziehen sich auf die Methodik (z.B. Struktur, Vorgehensweise) und wie ihr präsentiert: Passt der Satzbau, drückt ihr euch angemessen aus, werden Fachbegriffe sinnvoll verwendet oder müssen sie umschrieben werden, usw. Hier ist es natürlich von Vorteil, wenn man generell in der Lage ist, sich gut zu artikulieren.
Ist die Zielgruppe „Prüfungsausschuss“ dann nicht perfekt für den Prüfungsausschuss?
Schließlich hält man die Präsentation ja vor dem Prüfungsausschuss und erstellt sie letztendlich nur für ihn. Das stimmt und klingt auf den ersten Blick auch logisch, hat aber seine Tücken: Mein ehemaliger BWL-Lehrer sagte, in dem Fall würde er zur tiefsten Theorie seines BWL-Masterstudiums zurück greifen, um Fragen zu stellen. Das ist sicher ein Extrembeispiel, zeigt aber sehr gut das grundlegende Problem: Ihr kennt den Großteil des Ausschusses nicht! Somit ist er eine schwer zu definierende Zielgruppe, mit der ihr euch im Zweifel selbst eine Falle stellt. Daher aus meiner Sicht keine gute Wahl. Manche IHKs schließen dies sogar explizit aus und fordern eine reale Zielgruppe. Hier hätte man sich also nicht nur eine potenzielle Falle gestellt, sondern für einen garantierten Abzug gesorgt.
Selbst wenn sie bei euch erlaubt ist: Warum solltet ihr euch selbst unnötige Überraschungen bereiten? Es ist sinnvoller, die Chance für eine Zielgruppe zu nutzen, die a) möglichst sauber definierbar ist und b) zu euren Stärken passt.
Die Präsentation legt den Weg für das Fachgespräch
Schließlich folgt im Anschluss an die Präsentation noch das Fachgespräch. Darauf werden sich üblicherweise die meisten Fragen mehr oder weniger direkt beziehen, wenngleich grundsätzlich alle Ausbildungsinhalte abgefragt werden könnten. Letzteres ist vor allem dann der Fall, wenn die Präsentation kaum Spielraum für Fragen offen lässt. Über die Wahl der Zielgruppe habt ihr somit indirekt Einfluss darauf, in welche Richtung die Fragen wahrscheinlich gehen werden.
Welche Zielgruppe ist besser geeignet?
Ich selbst habe mich für meine mit 100/100 Punkten bewertete Präsentation für die Zielgruppe Leiter der IT-Entwicklungsabteilung entschieden. Man kann hier ein entsprechendes solides Grundwissen voraussetzen. Inhaltlich ist sie vielfältig: Eine Übersicht über das komplette Projekt ist möglich, wobei mit dem Schwerpunkt IT auch begründbar ist, warum kaufmännische Themen wie die Kosten/Nutzen-Analyse vergleichsweise wenig Raum einnehmen. Interessant sind sie aus dieser Perspektive dennoch und sollten daher enthalten sein.
Es gibt allerdings zahlreiche weitere Möglichkeiten: Beispielsweise Administratoren oder Entwickler, denen man das Projekt zur Übersicht für eine Übergabe vorstellen möchte. Eben so könnte man sich für die Geschäftsleitung entscheiden, wodurch der technische Teil aber nicht mehr im Fokus steht. Das dürfte in den IT-Berufen eher weniger im Interesse der meisten Azubis liegen.
Ich würde darauf achten, dass ihr euch mit der Zielgruppe nicht zu sehr verrenken müsst. Beispiel: Ihr wählt einen Kollegen und erwähnt in der Präsentation eine gemeinsame Besprechung. Sowohl für euch als auch die Prüfer eine seltsame Situation, weil jeder weiß, dass die Prüfer von diesem gemeinsamen Termin eben nichts wissen. Das sollte aufeinander abgestimmt sein – entweder, in dem die Zielgruppe solche Situationen gar nicht erst erfordert. Oder eben mit einer passenden Erwähnung in der Präsentation.
Fazit: Die Zielgruppe ist eine wichtige Chance – Nutze sie!
Die Zielgruppe ist der entscheidende Wegweiser für die inhaltliche Ausrichtung eurer Präsentation und hat damit auch wesentlichen Einfluss auf die Befragung. Sie sollte passend zu euren Interessen und Stärken gewählt werden, damit ihr euch optimal verkaufen könnt – auch dann, wenn die IHK keine explizite Angabe verlangt. Für eine hohe Punktzahl ist die Wahl nicht direkt entscheidend, sondern es kommt darauf an, wie optimal eure Präsentation an die Zielgruppe angepasst ist. Den Prüfungsausschuss als Zielgruppe anzugeben, ist unspezifisch und wird teilweise von den IHKs sogar verboten. Fachinformatiker-Azubis sind daher gut beraten, im Rahmen dieser Freiheit eine für sie optimale Entscheidung zu treffen. Das bildet die Grundlage für eine hervorragende Abschlussprüfung.