Künstliche Intelligenz sortiert Bewerbungen aus – Rationalisierung oder Diskriminierung durch blackbox Algorithmen? Wie wirkt sich das auf uns aus?

Künstliche Intelligenz sortiert Bewerbungen aus – Rationalisierung oder Diskriminierung durch blackbox Algorithmen? Wie wirkt sich das auf uns aus?

Eine künstliche Intelligenz lehnt deine Bewerbung ab? Was in den USA längst Realität geworden ist, kommt zunehmend auch nach Deutschland: Anfang 2021 gaben 70-80% der Unternehmen hierzulande an, Bewerbermanagement-Systeme zu nutzen.

Was macht ein Bewerbermanagement-System?

Sie prüfen eingehende Bewerbungen auf die vom Unternehmen gewünschten Qualifikationen. Ist das was in der Stellenanzeige gefordert wird nicht enthalten, wird der Bewerber aussortiert. In der Regel sind dies Schlüsselbegriffe, wie etwa eine gewünschte Berufsausbildung, ein Studium, ein Schulabschluss, gewisse Erfahrungen etc. Beispielsweise sucht ein Unternehmen nach einem Projektleiter mit mindestens 5 Jahren Berufserfahrung. Das System würde dann in der Bewerbung bzw. dem Lebenslauf nach entsprechenden Angaben suchen.

Die Suche nach geeigneten Bewerbern soll damit zumindest in Teilen automatisiert werden. Vor allem Großkonzerne sparen sich dadurch viel Zeit und damit Geld ein: Sie erhalten zehntausende bis hunderttausende Bewerbungen pro Jahr. Ein Bewerbermanagement-System, welches weniger und ungeeignete Kandidaten automatisch aussortiert, reduziert diese Zahl vorab deutlich – bevor sich ein vergleichsweise teuer bezahlter Mensch damit beschäftigen muss.

Künstliche Intelligent/Maschinelles lernen entscheiden über Zu- oder Absage

Doch das reine Anwenden von Algorithmen und grundlegender Automatisierung sind erst der Anfang. Einige Systeme gehen zunehmend darüber hinaus und wenden künstliche Intelligenz/maschinelles lernen an. Das Startup 8vance lässt beispielsweise 39 Algorithmen auf den Lebenslauf los: Welche Fähigkeiten/Qualifikationen hat der Bewerber in welcher Ausprägung? Welche sind für die Stelle wichtiger als andere? 80 Millionen Bewerberprofile haben das System trainiert. Am Ende entscheidet ein Algorithmus, wer geeignet ist und wer nicht. Viele Schöpfer solcher Algorithmen möchten diesen geheim halten. Manche fürchten auch rechtlich belangt zu werden, sollte der Algorithmus eine diskriminierende Entscheidung treffen. Wird deine Bewerbung abgelehnt, kann dir das Unternehmen also vielleicht selbst gar nicht mehr sagen warum – weil sie es nicht selbst entschieden haben, sondern ein intransparenter Algorithmus.

Bei künstlicher Intelligenz besteht das Ziel ja darin, eine Intelligenz zu entwickeln, die immer besser wird. Das heißt: Dieses System wird trainiert, welche Bewerber das jeweilige Unternehmen möchte. Teilt das Unternehmen dem System also mit, dass ein bestimmter Bewerber der angenommen wurde doch nicht so gut war oder sogar entlassen werden musste, wird dies in zukünftige Entscheidungen mit einbezogen.

Was bedeutet Künstliche Intelligenz im Bewerbungsablauf für mich als Bewerber?

Bisher galt: Ein guter Bewerber hebt sich mit seinen Bewerbungsunterlagen ab, vor allem dem Anschreiben. Es soll den Leser fesseln und überzeugen – gähnt der Personaler beim Lesen der 0815 Floskeln, landet die Bewerbung oft ohne komplett gelesen zu werden im Müll, dem Bewerber wird abgesagt. Es galt also, sich in den Unterlagen zu verkaufen, um eine Einladung zum Gespräch zu bekommen.

Für eine automatische Analyse mit KI & co. ist genau das aber sehr schwierig und fehleranfällig. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Unterlagen vom Analysesystem falsch oder gar nicht verstanden werden. Gerade in Großunternehmen schaut sich die letzteren Fälle oft kein echter Mensch an – eine Absage kann die Folge sein, obwohl Qualifikation und Unterlagen objektiv betrachtet gut sind. Wenn das vom System aber nicht erkannt wird, steckt der Bewerber in einer Sackgasse. Dies muss sich nicht einmal auf den Inhalt beziehen. Bereits einzigartige Designs oder spezielle Farben können die Erkennung behindern.

Aus Sicht eines Bewerbers macht das den Prozess also in erster Linie komplizierter und damit aufwändiger: Man wird zunehmend erst Maschinen und dann später Menschen überzeugen müssen, um angestellt zu werden.

Wie erhöht man als Bewerber seine Chancen bei KI-gestützten Systemen?

Der Bewerber muss stark umdenken und seine Bewerbung für Maschinen optimieren, statt für Menschen. Das heißt: Möglichst einfach geschrieben in langweiligem Design. Keine langen, verschachtelten Sätze, auch wenn sie gut klingen. Sondern eher kurz und knackig beschreibend. Fremdwörter vermeiden, außer sie passen zur den in der Stellenbeschreibung geforderten Fähigkeiten. Auf die Stellenausschreibung sollte man unbedingt eingehen, vor allem auf deren Schlüsselbegriffe. Wird dort beispielsweise X Jahre Erfahrung mit Software Y gefordert, ist es für die Erkennung positiv, wenn dies in der Bewerbung oder dem Lebenslauf enthalten ist. Fehlt diese Angabe oder ist so geschrieben, dass sie fehlerhaft oder gar nicht von der KI erkannt wird, stuft das System den Bewerber wahrscheinlich als ungeeignet ein. Was man bisher als Suchmaschinenoptimierung fürs Internet kennt, wandert damit in die Bewerbungsunterlagen.

Wie man sich denken kann führt dies aber zumindest teilweise dazu, dass die Unterlagen deutlich weniger ansprechend auf Menschen wirken. Ein auf maschinelle Erkennung optimierter Lebenslauf klingt dadurch schnell wie ein kitschiges Marketingdokument mit einem gewissen Unterton von primitiver Sprache. Es kann daher sinnvoll sein, einen zweiten Lebenslauf zu erstellen. Dieser folgt eher den bisherigen Kriterien und wird für Menschen optimiert. Denn schließlich stellen automatisierte Systeme noch keine Menschen ein, sie filtern nur die Vorauswahl. Den für Menschen optimierten Lebenslauf kann man beispielsweise einzeln verschicken oder zu einem Vorstellungsgespräch mitbringen.

In den USA gibt es zudem bereits Dienste wie Jobscan. Bewerber die der Seite vertrauen, können ihre Unterlagen dort hochladen. Dafür erhalten sie eine Rückmeldung, um ihre Bewerbung besser für automatische Analysen zu optimieren. Eine Art Testlauf also, bei der man bisher den Lebenslauf an Freunde oder Familienangehörige gegeben hätte, damit sie ihn anschauen und Rückmeldung geben.

Nächste Stufe: Tests und Vorstellungsgespräche mit einer künstlichen Intelligenz

Mit Bewerbungsunterlagen alleine ist noch längst nicht das Ende erreicht. Es wird stetig versucht, auch nachgelagerte Prozesse zu automatisieren. Beispielsweise in Form von Persönlichkeitstests. Wer in der ersten Runde durch seine Bewerbungsunterlagen nicht aussortiert wurde, soll nun genauer analysiert werden. Verglichen mit dem automatischen Auswerten der Unterlagen ist dies noch in einer sehr frühen Phase. Dennoch setzen es bereits manche Unternehmen ein, zumindest außerhalb des europäischen Raumes wie etwa in den USA oder China. Selbst das trainieren von Vorstellungsgesprächen mit einer KI gibt es bereits. Diese erstellt nach dem Gespräch ein Persönlichkeitsprofil des Bewerbers, in dem auch Einschätzungen über den Charakter enthalten sind.

Gerade in diesen Ländern ist man ja bekannter weise nicht nur technisch weiter, sondern handelt nach dem Grundsatz Digital first, Bedenken second. Gerade in diesem Bereich ist das teils mit Vorteilen, aber eben auch mit einigen Risiken verbunden.

KI im Bewerbungsprozess – Fluch oder Segen?

Wie bei vielen technischen Dingen ist diese Frage nicht einfach mit einem ja oder nein zu beantworten. Im folgenden Listen wir daher die Vor- und Nachteile dieser Technologie auf.

Vorteile

  • Kostenersparnis für Unternehmen, die Mitarbeiter suchen
  • Theoretisch kann durch Algorithmen Neutralität und damit Gerechtigkeit erreicht werden, die ohne KI nicht flächendeckend vorhanden war

Nachteile

  • Der Bewerbungsprozess wird für den Bewerber komplexer
  • Quereinsteiger und andere die von der Norm abweichen, haben bei einer KI schlechtere Chancen
  • In der Praxis wahrscheinlich weniger Kontrolle für Bewerber, was mit den Daten passiert – vor allem wenn die Technologie aus dem Ausland stammt
  • Die verwendeten Algorithmen sind oft geheim, Entscheidungen für Bewerber damit nicht nachvollziehbar

Auf den ersten Blick überwiegen die Nachteile, zumindest aus Sicht des Bewerbers. Aber hier lohnt sich eine differenziertere Betrachtung. Die letzten beiden Punkte werden maßgeblich von den Unternehmen beeinflusst. Theoretisch könnte man beispielsweise Transparenz schaffen. Allerdings ist zu befürchten, dass wir es in der Praxis mit proprietärer Software zutun haben, die an Unternehmen verkauft oder sogar nur vermietet wird. Die Firmen selbst haben daran wenig Interesse, so lange ihre Ergebnisse dabei stimmen.

Ein wichtiger Aspekt ist jedoch die Gerechtigkeit. Blicken wir auf den von Menschen verwalteten Jobmarkt, ist dieser nämlich alles andere als fair. Personalmitarbeiter bevorzugen die einen und benachteiligen andere, sowohl bewusst als auch unbewusst: Männer werden eher eingestellt als Frauen, Namen die türkisch klingen senken die Wahrscheinlichkeit einer Einladung zum Vorstellungsgespräch eben so wie ein unsympathisches Bewerbungsfoto und so weiter. Derartige Vorurteile könnten mit moderner Technik sogar aufgedeckt werden: Stellt ein Personaler z.B. viele Männer ein, könnte eine KI auf Frauen hinweisen, die eine ähnliche Qualifikation besitzen. Voraussetzung dafür ist aber eine gewisse Transparenz und Offenheit für dieses Thema. Richtig eingesetzt, könnte es dazu führen, dass mehr Menschen aufgrund ihrer Fähigkeit eingestellt werden.

Und die Positionen bei der Suche kann man letztendlich auch umkehren: Das Berliner Unternehmen Truffls bietet eine Art Tinder, um Bewerber mit Unternehmen zusammen zu bringen. Wie bei der Dating-Platform muss sowohl der Bewerber ein „Gefällt mir“ für das Unternehmen abgeben, sowie das Unternehmen für den Bewerber, damit beide zueinander finden. Die Ergebnisse sollen sich mit der Zeit verbessern, weil das System lernt, wer am besten zu wem passt. Denkbar wäre also beispielsweise für einen Bewerber, ein Unternehmen zu finden, dessen Chef ähnlich gut zu ihm passt wie der bisherige – oder eben besser, je nach Ausgangslage.

Fazit: Trotz Risiken spannend

Automatisierung und künstliche Intelligenz bei Stellenausschreibungen bieten viele Risiken – aber auf der anderen Seite auch Chancen. Was davon überwiegt, hängt stark davon ab, wie wir diese Systeme einsetzen. Im europäischen Raum ist das Thema noch relativ neu. Richtig eingesetzt ist Potenzial sowohl für Unternehmen als auch für Bewerber vorhanden. In Ländern wie China können wir jedoch bereits jetzt sehen, welche fragwürdigen Auswirkungen auf uns als Gesellschaft solche Systeme haben, wenn sie nicht verantwortungsbewusst eingesetzt werden. Die Zeit wird also zeigen, in welche Richtung es sich entwickelt.

Quellen und weiterführende Informationen

https://www.heise.de/hintergrund/Bewerbervorauswahl-per-Algorithmus-Wie-man-eine-KI-von-sich-ueberzeugt-6159470.html
https://www.spiegel.de/start/kuenstliche-intelligenz-bei-der-bewerbung-wie-tinder-fuer-jobs-a-3f314053-ecad-45ff-bbb7-5b23701d7ccf
https://t3n.de/news/bewerbung-kuenstliche-intelligenz-software-tipps-1394867/

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