Der Raspberry Pi ist geprägt durch ARM-Prozessoren. Doch diese weisen auch Nachteile gegenüber X86 auf. Der Radxa X4 möchte das ändern: Der Einplatinencomputer setzt mit dem Intel N100-SoC auf einen X86 Prozessor und löst schon dadurch ein großes Problem der Konkurrenz. Dazu ist er auch preislich attraktiv – vor allem in Anbetracht der deutlich höheren Leistung. Werfen wir einen ersten Blick auf den kleinen, neuen PC.
Schneller als der BCM2712 des Raspberry Pi 5
In günstigen Mini-PCs ist der 2023 erschienene Intel N100 verbreitet. Sie setzen auf die Alder Lake Architektur auf, die Intel in den Desktop-Prozessoren der 12. Generation verwendet.1 Allerdings nutzt der N100 nur die E-Kerne. Sie sind auf einen geringen Stromverbrauch (Effizienz) Optimiert und bieten dafür weniger Leistung. Bei den P-Kernen (Performance) ist es genau anders herum – sie fehlen hier. Es handelt sich um die auf einen günstigen Preis optimierte Einstiegsklasse.2
Das soll aber nicht darüber hinweg täuschen, dass er mit seinen 4 Kernen 5.512 Punkte bei cpubenchmark.net erreicht.3 Die vollwertigen Ader Lake Modelle erreichen zwar deutlich mehr – selbst ein i3-12300 kommt auf über 14.600 Punkte.4 Hier geht es jedoch um ausgewachsene Prozessoren für den Desktop Bereich. Der N100 schafft daher gute 2.300 Punkte mehr, als es beim BCM2712 des Raspberry Pi 5 der Fall ist.5 Zum Surfen und einfachere Aufgaben sollte er daher noch mal ein Sprung nach Vorne sein. Wohl nicht so stark wie es der Raspberry Pi 4 zu 5 war, dennoch spürbar.
Die Vor- und Nachteile von X86 gegenüber ARM
Neben der reinen Leistung unterscheiden sich beide Prozessorarchitekturen in weiteren Aspekten. Der größte Vorteil von ARM ist die Optimierung auf einen geringen Energiebedarf. Vor allem im Leerlauf klappt das meist besser als bei Intel & co, wodurch sich diese Geräte vor allem als sparsamer Mini/Micro-Server eignen. Bei der Desktop-Nutzung dürften ein paar Watt vernachlässigbar sein. Im gelegentlichen Betrieb fällt dies kaum ins Gewicht.
Das Softwareangebot hat für ARM zwar stark zugenommen. Große Distributionen wie Debian erzeugen ihre Pakete für verschiedene Architekturen, darunter auch 32 und 64 Bit ARM. Drittanbieter wie z.B. Oracle unterstützen oft zumindest die 64 Bit ARM Edition. Wer auf kommerzielle, proprietäre Software angewiesen ist, wird mit X86 besser fahren. Es hat sich seit den frühen 1980er Jahren zur Standard-Plattform für PCs entwickelt.
Endlich Standards – statt eigener proprietärer Firmware
Wichtiger sind hingegen Standartisierung und Software-Unterstützung. Bei X86 Systemen abstrahieren BIOS/UEFI die Hardware, wodurch wir generische Betriebssystemabbilder verwenden können: Weder GNU/Linux, noch Windows müssen für jeden PC angepasst werden. Auf dem X4 lässt sich daher auf ein sehr großes Angebot an Betriebssystemen zurück greifen, die unabhängig vom Hersteller sind. Laut Doku setzt er auf UEFI.6
Bei ARM konnte sich das bislang leider nicht durchsetzen. Dies ist auch der Vielfalt an SoC und anderer Hardware geschuldet. Von Handys über diversen IoT (Internet der Dinge) Geräten bis hin zu Servern läuft ARM in verschiedenen Geräten. Auf einem Raspberry Pi beispielsweise kann man daher nicht jedes beliebige GNU/Linux-Betriebssystem installieren. Es wird ein angepasstes Abbild benötigt, was Anpassungen und damit die Unterstützung eines spezifischen Modells erfordert. Das schränkt die Auswahl unnötig ein, zudem wird Mehraufwand verursacht.
Während dies beim Raspberry Pi durch seine Zuverlässigkeit und Beliebtheit noch für für relativ wenige Einschränkungen sorgt, sieht es bei der Konkurrenz schon anders aus. Dort lassen sich teils weniger als eine Hand voll Distributionen nutzen, gerne nur in veralteten Versionen oder zumindest mit einem alten Kernel. Am deutlichsten sieht man die katastrophalen Folgen bei Smartphones – teils erhalten Neugeräte schon keine Aktualisierungen mehr.7 Die EU musste einschreiten, um dieses Drama wenigstens zukünftig einigermaßen in den Griff zu bekommen.8
Der Radxa X4 hat dem Raspberry Pi noch mehr voraus
Neben der höheren Leistung und den Vorteilen der X86-Architektur gibt es weitere Verbesserungen gegenüber dem Raspberry Pi 5: So besitzt der X4 WiFi5 (4 GB Edition) bzw. den Nachfolger WiFi6 in der größten 8 GB Variante.9 Auch Bluetooth ist an den RAM gekoppelt – ab 8 GB Arbeitsspeicher bekommt man Bluetooth 5.2, darunter 5.0.
Gegen Aufpreis sind 32 GB oder 64 GB EMMC-Speicher erhältlich. Flexibler ist der M.2 Schacht, der sich direkt mit einer 2230 NVMe-SSD bestücken lässt. Sie ist mit vier PCIe 3.0 Lanes angebunden und verspricht damit deutlich höhere Datenraten, als der Raspberry Pi 5. Im Gegensatz dazu ist zudem kein extra HAT beim X4 notwendig. Dafür leidet die Flexibilität beim X4.
Wer größere Dateien über das Netzwerk übertragen möchte, wird sich über den schnellen Ethernet-Port mit 2,5 GBit/s freuen. Er ist 2,5x schneller wie der Raspberry Pi, vorausgesetzt alle Netzwerkgeräte unterstützen die höhere Geschwindigkeit. Da die Preise dafür zunehmend sinken, wird das interessanter. Für externe Geräte stehen drei USB 3.0 Anschlüsse und ein USB 2.0 Anschluss bereit10 – beim Raspberry Pi 5 ist das Verhältnis 2:2 statt 3:1.
Während die 3,5″ Klinkenbuchse beim Raspberry Pi 5 dem Rotstift zum Opfer gefallen ist, findet man sie beim X4 weiterhin. Zusammen mit zwei Micro-HDMI Anschlüssen, die Auflösungen von bis zu 4K unterstützen.
Kompatibilität zum Raspberry Pi
Auf Raspberry Pi Technologie muss man dennoch nicht verzichten: Verbaut ist der RP2040. Dabei handelt es sich um den Microcontroller des Raspberry Pi Pico.11 Er stellt den vom vollwertigen Raspberry Pi bekannten 40-Pin GPIO-Stecker zur Verfügung. Neben GPIO-Ports unterstützt er zahlreiche weitere Anschlüsse12, nämlich bis zu
- 2x SPI
- 2x UART
- 2x I²C
- 16x PWM
- 8x GPIO
Die Stromversorgung erfolgt – ähnlich wie beim Vorbild – über USB C. Im Gegensatz zu RPI scheint sich Radxa allerdings an den USB-Standard zu halten, sodass Netzteile mit Power Delivery (PD) genügen. Alternativ lässt er sich über zwei Pins mit Strom versorgen.
Kühlung
Zusammen mit der Leistung der Einplatinencomputer steigt auch ihre Abwärme: Bereits der Raspberry Pi 4 ist ohne Kühlung grenzwertig. Mindestens bei stärkerer Beanspruchung oder in wärmeren Umgebungen wird er zu heiß. Das Drosselt die Leistung und ist zudem schlecht für die Lebensdauer der Komponenten. Für den Nachfolger gibt es daher einen Kühler mit Lüfter als offiziellen Zubehör.
X86-Prozessoren haben den Ruf, noch etwas größere Hitzköpfe zu sein. Sie benötigen daher mindestens einen passiven Kühlkörper. Um so überraschender ist daher, dass der X4 selbst darauf verzichtet – obwohl der Intel N100 eine TDP (Thermal Design Power) von 6 Watt besitzt. Radxa bietet einen Kühlkörper mit Lüfter als Zubehör.13 Im Gegensatz zum RPI Kühler erinnert dieser auf den ersten Blick an ein Gehäuse, wobei er nach oben hin offen ist. Dies hängt mit der Position des Prozessors zusammen: Während der RPI ihn oben verbaut, befindet er sich beim X4 auf der Unterseite.
Was macht den X4 besonders?
Der X4 ist zwar nicht der erste Einplatinencomputer mit einer X86-CPU.14 Allerdings sind die wenigen verfügbaren deutlich teurer, sodass Mini-PCs die bessere Alternative darstellen. Dagegen befindet sich der X4 auch preislich in Konkurrenz zum RPI5 mit ca. 68€ (4 GB RAM) bzw. 89€ (8 GB RAM). Je nach Shop schwanken diese etwas. Die GPIO-Stiftleiste ist in der X86-Welt ebenfalls selten. All dies zusammen ist derzeit einzigartig – andere bieten dies nur mit Kompromissen.
Das kompakte Format erkauft man sich leider mit einem entscheidenden Nachteil. Abgesehen vom SSD-Speicher ist der X4 genau so wenig erweiterbar, wie andere Einplatinencomputer. Modularität und Flexibilität sind große Vorteile von X86-Hardware, die man damit aufgibt. Je nach Einsatzzweck mag das vernachlässigbar sein. Insbesondere als Desktop möchte man das Gerät ungern in ggf. ein paar Jahren komplett austauschen müssen, nur weil der Arbeitsspeicher knapp geworden ist.
Zumindest derzeit kommt beim X4 noch ein weiterer Dämpfer dazu: Er ist seit Tagen in sämtlichen Shops und Varianten ausverkauft. Und das, obwohl er derzeit in Deutschland nicht verkauft wird. Mindestens 10€ Versandkosten kommen daher für den relativ teuren Auslandsversand hinzu.15 Das wird sich wahrscheinlich bald legen. Bis dahin sind Raspberry Pi, Mini-PCs oder X86 ATX-Systeme kurzfristiger lieferbar.
Fazit: Spannende RPI-Alternative mit X86-Prozessor
Wer einen Einplatinencomputer benötigt, weil er z.B. auf die GPIO-Ports angewiesen ist, kann sich endlich von den Nachteilen der ARM-Architektur lösen: Mangels Standards müssen alle Betriebssystemabbilder vom Hersteller angepasst werden – das ist zäh und klappt oft mehr schlecht als recht. Dieser gibt damit die Lebensdauer vor und man sitzt möglicherweise irgendwann auf einwandfreier Hardware, deren Software aber nicht mehr gepflegt wird. Der X4 verspricht den Start von generischen Betriebssystemabbildern.
Für diese Nische bietet Radxa eine interessante Alternative. Viele Einplatinencomputer setzen auf ARM und deren Hersteller machen es sich mit eigener, meist proprietärer Firmware einfach – Standards wie BIOS/UEFI werden ignoriert. Hoffentlich nehmen sich die ARM-Vertreter das endlich als mahnendes Vorbild.
Quellen
- https://www.intel.de/content/www/de/de/products/docs/processors/core/12th-gen-processors.html ↩︎
- https://www.notebookcheck.com/Intel-Processor-N100-CPU-Benchmarks-und-Specs.678950.0.html ↩︎
- https://www.cpubenchmark.net/cpu.php?cpu=Intel+N100&id=5157 ↩︎
- https://www.cpubenchmark.net/cpu.php?cpu=Intel+Core+i3-12300&id=4746 ↩︎
- https://www.cpubenchmark.net/cpu.php?cpu=BCM2712&id=6054 ↩︎
- https://docs.radxa.com/en/x/x4/bios/update-bios ↩︎
- https://t3n.de/news/android-warum-smartphone-hersteller-sich-bald-keine-kurzen-updatezeitraeume-mehr-erlauben-koennen-1607537/ ↩︎
- https://www.notebookcheck.com/Strenge-EU-Regeln-Kuenftig-5-Jahre-Software-Updates-und-7-Jahre-Ersatzteile-fuer-Smartphones-und-Tablets.670677.0.html ↩︎
- https://shop.allnetchina.cn/products/radxa-x4 ↩︎
- https://radxa.com/products/x/x4/ ↩︎
- https://www.notebookcheck.com/Raspberry-Pi-Der-RP2040-ist-fuer-rund-einen-Euro-erhaeltlich.542342.0.html ↩︎
- https://www.notebookcheck.com/Radxa-X4-Diese-Alternative-zum-Raspberry-Pi-5-bietet-einige-Vorteile-und-Windows-Support-und-einen-Raspberry-Pi-Chip.865203.0.html ↩︎
- https://radxa.com/products/accessories/heatsink-for-x4/ ↩︎
- https://www.heise.de/news/Radxa-X4-Einplatinen-Computer-im-Raspi-5-Format-mit-Intel-Prozessor-N100-9808977.html ↩︎
- https://www.notebookcheck.com/Radxa-X4-Raspberry-Pi-Alternative-startet-fuer-unter-60-Euro-ist-zu-Windows-und-M-2-SSDs-kompatibel.867747.0.html ↩︎