Über 1 Jahr Too Good To Go im Selbsttest: Geld sparen & Lebensmittel retten?

Über 1 Jahr Too Good To Go im Selbsttest: Geld sparen & Lebensmittel retten?

Das 2015 gegründete Too Good To Go hat Lebensmittelverschwendung den Kampf angesagt. Mit einer Handy-App soll jeder ganz einfach überschüssige Lebensmittel retten und dabei noch sparen können. Ich nutze es seit über einem Jahr und werde euch in diesem Video von meinen Erfahrungen berichten sowie das massive Problem aufzeigen, welches dem zugrunde liegt. Auf die App selbst folgt zudem ein kritischer Blick aus Benutzer- und technischer Sicht.

931 Millionen Tonnen pro Jahr für die Mülltonne

Alleine im Jahr 2020 wurden in Deutschland rund 11 Millionen Tonnen an Lebensmitteln entsorgt, ein großer Teil davon vermeidbar. Vieles wird in Privathaushalten entsorgt, weitere gründe sind eine untypische Form: Kleinere/größere Kartoffeln, Möhren mit drei Beinen und ähnliche Lebensmittel, die nicht der „Norm“ entsprechen, werden gar nicht erst geerntet. Das betrifft etwa 30 Prozent auf den Feldern. Der Großteil aller Abfälle ist also noch essbar und wäre relativ leicht vermeidbar. Die Vereinten Nationen (UN) schätzen die Lebensmittelverschwendung weltweit auf 931 Millionen Tonnen pro Jahr – eine unvorstellbar riesige Menge.

Um das greifbarer zu machen: 11 Tonnen alleine Deutschland entsprechen etwa 20,9 Tonnen Lebensmittelabfälle pro Minute. Die maximale Zuladung unter optimalen Umständen für die größten (40 Tonnen) LKW, welche auch Supermärkte beliefern, beträgt etwa 25 Tonnen. Ungefähr jede Minute wird also ein solcher voll mit Lebensmitteln beladener LKW entsorgt – 24 Stunden, 7 Tage die Woche.

Ein Hauptgrund für diese extrem hohe Menge ist unsere Überflussgesellschaft: Nahezu jeder Betrieb, der Lebensmittel verkauft, produziert mehr als benötigt. Das ist mit einberechnet, da man zum einen die exakte Nachfrage nicht kennt. Dazu erwarten einige Kunden, auch kurz vor Ladenschluss noch eine große Auswahl vorzufinden. Teilweise sind es völlig banale Gründe, die nicht einmal etwas mit dem Inhalt zu tun haben: Beispielsweise hat der Hersteller sein Logo oder sonstige Teile der Packung geändert und möchte aus Image-Gründen nur noch einheitlich die neue Packung in den Regalen sehen. Dann werden die vorherigen Designs nur wegen der Verpackung aussortiert, obwohl das Lebensmittel noch eine Weile haltbar ist.

Insgesamt wird weniger als die Hälfte der produzierten Nahrungsmittel tatsächlich gegessen, der Rest landet auf dem Weg zu uns oder bei uns in der Tonne. Der Titel Das große Wegschmeißen einer 2015 erschienenen WWF-Studie zur Lebensmittelverschwendung in Deutschland ist daher nicht übertrieben: Dort hat man die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet und kommt auf 18 Millionen Tonnen im Jahr. Mindestens rund 10 Tonnen davon wären problemlos vermeidbar. Die restlichen ca. 8 Tonnen sind Verluste durch z.B. Schneiden und Kochen. Sie lassen sich derzeit nicht ohne weiteres verhindern, möglicherweise zukünftig mithilfe neuer Technologien. Nicht einberechnet sind hier aber geschätzte 30% des Gemüses, die aufgrund von Normen und Standards schon auf dem Feld liegen bleiben.

3 Gründe, warum dieser Überfluss ein Problem ist

Wie jeder Kaufmann weiß, werden all diese Kosten in den Preis mit einberechnet: Sowohl jene für die unverkauften Lebensmittel, als auch deren Entsorgung. Das ist doppelt schlecht, da die Produktion der Produkte viele Ressourcen gekostet hat: Pflanzen müssen gegossen werden, die Ernte, Reinigung, ggf. Zubereitung und Transportwege. Teils sogar mehrfach, wenn verarbeitete Lebensmittel an verschiedenen Orten hergestellt werden. All das kostet Arbeit & Energie, die nicht nur verloren ist. Für die Entsorgung müssen zusätzliche Ressourcen aufgewendet werden. Das ist nicht nur wegen dem Klimawandel ein Problem. Selbst wir annehmen, dass es keinen Klimawandel gäbe, verbrauchen wir Ressourcen für 1,7 Planeten. Unser Konsum ist also deutlich höher, als die Ressourcen auf der Erde nachwachsen können.

Schlussendlich ist es auch eine moralische Frage: Während wir in den reicheren Ländern Millionen Tonnen an Lebensmitteln wegwerfen, haben 735 Millionen Menschen zu wenig Nahrung. Ein erheblicher Teil des Welthungers könnte also rein rechnerisch bereits mit den aktuell verfügbaren Lebensmitteln gelöst werden. Nicht die Menge ist das Problem, sondern die Verteilung.

Man muss jedoch gar nicht erst ins Ausland schauen: 2022 litten alleine in Deutschland 13,8 Millionen Menschen unter Armut. Auch hier haben wir also ein moralisches Dilemma: Während die einen kämpfen müssen um sich selbst billige Lebensmittel leisten zu können, entsorgen andere regelmäßig Millionen Tonnen davon. Dabei wäre die Vermeidung von Lebensmittelabfällen eine recht einfache Möglichkeit, um Umwelt und Gesellschaft zu helfen, während die Einschränkungen für den Einzelnen vergleichsweise klein sind.

So rettet man mit „To Good To Go“ Lebensmittel und spart dabei

Betriebe können sich bei „To Good To Go“ anmelden, um eine oder mehrere Überraschungstüten (auf Englisch Magic Bag) anzubieten. Jeder Betrieb gibt ein Zeitfenster vor. Oft Abends kurz vor Betriebsschluss, teilweise aber auch früher – beispielsweise am späteren Vormittag, wenn ein Hotel sein Buffet abbaut. Oder Nachmittags für die Reste des Tagesgerichts eines Restaurants. Die Reservierung ist oft bis kurz vor Beginn des Zeitfensters möglich, vereinzelt endet sie auch schon früher. Man bucht dort eine Überraschungstüte, manche Betriebe erlauben auch mehrere pro Kunde. Nach der Bezahlung wird bis zum Beginn des Abholungszeitfensters gewartet.

Im Geschäft öffnet man die gebuchte Tüte in der App und bewegt einen Schieberegler nach rechts – damit wird die Abholung bestätigt und man erhält seine Tüte, die der Betrieb mit übrigen Lebensmitteln gefüllt hat. „Tüte“ ist hierbei je nach Geschäft wörtlich oder symbolisch gemeint. Ihr solltet am besten ein zu den Produkten passendes Gefäß mitbringen – beim Buffet etwa Dosen, für den Bäcker Tüten. „To Good To Go“ behält vom gezahlten Preis einen Teil ein, der Rest wird an den teilnehmenden Betrieb weitergeleitet.

Welche Geschäfte ermöglichen das Retten auf TGTG & was kostet es?

Die Preise variieren je nach Geschäft und Angebot, bei mir im näheren Umkreis liegen sie im Bereich von 3 bis 6 Euro. Der Warenwert, den man dort erhält, soll ungefähr 3 Mal höher sein – also nur 1/3 bezahlt bzw. 66% gespart. Bei mir gibt es vor allem Bäcker, aber auch Tankstellen und Cafes, die dort übrige Snacks oder Kuchen verkaufen. Teilweise bietet ein Betrieb auch mehrere Überraschungstüten an: Buffets und Tankstellen beispielsweise Morgens und Abends oder Mittags und Abends – je nach Öffnungszeiten und Angebot. Oder es sind mehrere Gruppen von Lebensmitteln vorhanden: Süßes, Brot, Vegetarisches usw. Recht neu kam ein Supermarkt hinzu, der dort beispielsweise Obst/Gemüsetüten sowie eine weitere mit Produkten von der Kühltheke anbietet.

Was steckt in den Überraschungstüten?

Wie man am Name und Konzept bereits erraten kann, ist das der Knackpunkt: Man weiß es nicht. Aus meiner Erfahrung heraus hängt es von mehreren Faktoren ab. Am offensichtlichsten natürlich davon, was der Betrieb übrig hat. Verkauft ein Bäcker beispielsweise heute viele Brötchen und wenig Brezeln, wird er euch wohl mehr Brezeln als Brötchen in die Tüte packen. An anderen Tagen ist möglicherweise eher süßes enthalten. Neben dem Vorrat ist auch das Personal entscheidend: Manche denken mit und packen bevorzugt frische Produkte wie z.B. belegte Brötchen ein, die in jedem Fall entsorgt werden. Andere füllen die Tüte mit einfachen, reinen Brotsorten und Brötchen, die ggf. noch anderweitig verwertet werden können.

Ein paar Beispiele vom Bäcker: Verschiedenste Brotsorten, Baguette, Hörnchen, Brötchen von einfachen Kaiserbrötchen bis hin zu Körner- und Dinkelwecken, Brezeln, Laugenwecken, Laugenstangen, Donuts, Plunder, Schnecken, Berliner, Apfeltaschen, Amerikaner, verschiedene Kuchen, Brotschnitten und Brötchen mit Käse/Mozzarella/Schinken/Salami/Schnitzel usw.

Bei den Mini-Supermärkten der Tankstellen ist das Sortiment überschaubarer, etwa: Laugenstangen, Laugen-Dreiecke mit Gurke, Butterbrezeln, verschiedene belegte Brötchen mit unterschiedlichem Belag (Hähnchen, Schinken, Käse, Salami, Lachs), Brezeln mit & ohne Butter, Geflügelstangen, Croissants mit Schinken oder Schokoladencreme gefüllt, Mettbrötchen. Vereinzelt wurden auch Produkte außerhalb der Frische-Theke hinzugefügt: Etwa Kartoffelchips oder Schokolade. Zu Ostern haben wir nicht verkaufte Marken-Ostereier bekommen. Qualitativ waren alle Produkte in Ordnung. Bei belegten Wecken kann es passieren, dass z.B. der Käse am Rand etwas hart wird, weil die Brötchen den ganzen Tag in der Auslage waren. Störend fand ich das nicht und gesundheitlich ist es ebenfalls kein Problem, da die in der Theke gekühlt werden.

Im Supermarkt gibt es verschiedene Überraschungstüten: Die Kühltüten enthielten Joghurts, Pudding, Fleischsalat, Aufbackbrötchen, Smoothies, Gnocchi, Quark, Buttermilch, fertig zubereitete Sandwitche, frische Nudeln, Brotaufstrich, Milch, Käse als Aufschnitt und zum Aufbacken im Ofen. Es ist am ehesten mit den „Schnäppchen-Ecken“ vergleichbar, in denen manche Supermärkte Lebensmittel die bald ablaufen vergünstigt anbieten.

Es kann sein, dass ihr gerade von günstigeren Produkten mal größere Mengen bekommt – etwa eine Tüte mit 6 Kaiserbrötchen. Allerdings wurde bisher immer darauf geachtet, eine Überraschungstüte nicht einseitig mit z.B. ausschließlich den gleichen Brötchen zu füllen, sodass man etwas Abwechslung hat. Manche Bedienungen fragen euch auch, ob ihr z.B. lieber süßes oder salziges möchtet oder bestimmte Produkte bevorzugt/meidet. Einen Anspruch darauf hat man jedoch nicht. Wenn ihr aber nicht fordernd auftretet sondern freundlich fragt, lassen einige mit sich reden. Meiner Erfahrung nach schmeißt kein Verkäufer und keine Verkäuferin gerne gute Lebensmittel weg – viele sind froh, dass ihr diese rettet.

Vieles hängt stark von eurem Wohnort und den teilnehmenden Betrieben ab: Derzeit bekommt man in meiner Umgebung leider kaum warme Gerichte. Den kompletten Tag lang uneingeschränkt davon zu leben, ist daher nicht möglich. Wenngleich man vieles abdecken kann, der Wocheneinkauf hat sich verringert. In Großstädten sieht es dagegen schon jetzt anders aus: Dort ist das Angebot größer und damit auch vielseitiger mit z.B. Restaurants oder Imbissbuden, sodass man dort sicherlich mit 1-2 warmen Mahlzeiten pro Tag großteils von TGTG leben kann.

Lohnt sich das? Rettet man wirklich Lebensmittel vor dem Müll?

Diese Frage kann man von zwei Perspektiven sehen: Die Finanzielle und im Sinne der Sache, also Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Letzteres lässt sich relativ leicht beantworten. Ich habe mit verschiedenen Verkäuferinnen gesprochen: Beim Bäcker werden – unabhängig von To Good To Go – Brote vom Vortag 50% günstiger angeboten. Danach werden nur „reine Brotsorten wiederverwendet, z.B für Semmelbrösel. Damit ist Brot gemeint, dass keine weiteren Lebensmittel wie z.B. Nüsse, Karotten oder Körner enthält. Solches Brot wird – eben so wie alle anderen Produkte – entsorgt: Brezeln, Laugenstangen, Belegte Wecken, Kuchen und so weiter landen nach Ladenschluss im Müll.

Zwar landet – je nach Betrieb – nur ein Teil der Reste in To Good To Go. Beispielsweise haben die Verkäufer in einem Betrieb die Auflage, von jedem Produkt mindestens eines bis Ladenschluss vorrätig zu halten, falls dies ein Kunde wünscht. Je nach Geschäft werden die Tüten bereits flexibel an den Bedarf angepasst, d.H. mehr Tüten an Tagen mit wenig Kunden. In manchen ist das noch nicht der Fall. Auch wenn es selbst bei theoretisch 100% Auslastung von TGTG noch Lebensmittelabfälle gibt, ist man damit definitiv Teil der Lösung statt des Problems und leistet einen Beitrag, den jeder als Konsument erbringen kann.

Finanziell ist dies schwieriger zu beantworten: Ich habe zuvor z.B. 1 bis maximal 2x pro Woche Brot bei einem anderen Bäcker gekauft, teils auch nur 1/2. Dazu gelegentlich ein paar Brötchen oder Brezeln. Von der Menge des Essens habe ich mit den Tüten oft weniger ausgegeben, da ich für anfangs 4 € meist ein Brot plus noch Brötchen, Brezeln oder süße Stücke bekommen habe. Statt 10 – 15 Euro haben 8 Euro pro Woche ausgereicht und ich habe dafür mehr frische Lebensmittel bekommen. Dafür aber eben mit der Einschränkung, dass ich es mir oft nicht heraussuchen konnte. Waren Körnerbrötchen in der Tüte, habe ich halt die gegessen, auch wenn mir vielleicht manchmal etwas anderes lieber gewesen wäre. Andererseits probiert man so etwas, weil es schon da ist, das man im Laden nicht unbedingt mitgenommen hätte.

Ausbau zum Austausch mit Familie & Nachbarn

Mittlerweile sind die Ausgaben für TGTG deutlich gestiegen: Ich habe eine Gruppe für Nachbarn und Familienmitglieder in der Nähe gegründet. Regelmäßig werden neue Tüten geholt, der Inhalt in der Gruppe kommuniziert sowie verteilt. Das ist nicht nur bequem für die Mitstreiter: Manche vertragen beispielsweise keine Früchte, andere essen sie gerne. So kann man die Lebensmittel entsprechend den jeweils unterschiedlichen Präferenzen austauschen. Bleibt dennoch etwas übrig, wird es eingefroren. Mittlerweile exportieren wir das eingefrorene auch innerhalb der Familie, wenn dort etwa ein Treffen ansteht. Bisher waren alle Rückmeldungen positiv. Einige haben sich erschrocken gezeigt, dass solche Lebensmittel weggeschmissen werden, die vollkommen in Ordnung sind und in welchen Massen.

So viele TGTG-Tüten habe ich bereits gerettet

Als im Dezember der erste Betrieb vor Ort startete, wurde die erste Tüte am 29. Dezember 2021 gebucht. Bis zum 10.08.2023 haben wir insgesamt 636 To Good To Go Überraschungstüten bei verschiedenen Betrieben gerettet – Insgesamt also ein Zeitraum von grob einem Jahr und gut 8 Monaten. Da es logistisch geschickter war, sind diese auf drei Handys aufgeteilt. Und ein Ende ist nicht in Sicht, es werden alle paar Tage mehr.

Was mir an To Good To Go nicht gefällt

Organisatorische Probleme

Kurzzeitig gab es offensichtlich Probleme mit der Verständigung zwischen TGTG und dem Betrieb: Hintergrund war, dass dieser während der Pandemie mehrere Male die Öffnungszeiten geändert hatte, zeitweise war der Laden am Sonntag ganz geschlossen. Diese Änderungen sind jedoch leider nicht immer angekommen. Ich hatte das zeitig bemerkt, weil ich morgens auf dem Weg zur Arbeit am Geschäft vorbei gelaufen bin. Dort waren die verkürzten Öffnungszeiten ausgeschildert. Nachdem ich diese an den Support von TGTG gesendet hatte, wurde dies zwar zeitnah aktualisiert. Auf mich wirkte das Chaotisch, zumal jeder auf den anderen zeigte: TGTG könne die Öffnungszeiten nur ändern, wenn das Geschäft es mitteilte. Die Mitarbeiterinnen dort wiederum behaupten, sie hätten es mehrmals gemeldet, aber TGTG würde es nicht anpassen. Mittlerweile ist es verschwunden, allerdings ändern sich die Öffnungszeiten des Betriebes auch nicht mehr. Wo das Problem letztendlich lag, kann ich nicht beurteilen. Ich selbst stand seit Ende 2021 nur ein einziges Mal in einem Betrieb vor verschlossenen Türen.

Fehlende Flexibilität für die Reste der Reste

Für die Reste der Reste würde ich mir mehr Flexibilität wünschen: Manche Shops bieten nur 3 oder 5 Tüten an. Durch die Gruppe kann ich auch problemlos mehrere holen, möchte aber nicht anderen alle wegschnappen. Daher buche ich oft nur 1 oder 2. Ich hatte schon die Situation, dass ich diese kurz vor Ladenschluss abholen wollte. Im Gespräch mit der Verkäuferin sagte diese, dass sie noch X weitere Tüten vorbereitet hat, bisher niemand kam und sie nun den Laden schließt. Ich hätte sie mitgenommen, aber leider endet der Buchungszeitraum XX Minuten vor Ladenschluss. Barzahlungen können sie buchungstechnisch nicht verarbeiten, da die Abrechnung über TGTG läuft. Somit sind diese Tüten doch im Müll gelandet. Dies ist sicher ein Sonderfall, jedoch finde ich Flexibilität bei dem Thema generell wichtig. Das liegt nicht nur an TGTG, sondern teils auch an den Betrieben. Mehrmals schon war ich der letzte, der die schon fertig gepackten Tüten abholte und die Regale sahen noch so aus:

Die Theke geht links weiter, hier hätte man locker noch mal mindestens 2-3 Tüten machen können. Das traurigste Bild sah jedoch noch deutlich schockierender aus:

Aufgenommen um 19:38 Uhr, 22 Minuten vor Ladenschluss (20 Uhr). Und hier waren die TGTG-Tüten bereits vorbereitet, d.H. bis auf die vielleicht 1-2 letzten Kunden kurz vor Schluss ist nahezu alles in den Müll gewandert. Das bietet einen Eindruck, von welchen Mengen an „Lebensmittelabfällen“ wir hier sprechen. Wohlgemerkt in nur einer einzigen Filiale. Zig tausende Geschäfte entsorgen täglich Lebensmittel, die irgendwo zwischen der Mengen der beiden Bilder liegen. Es geht mir daher keineswegs darum, diesen einen Bäcker in irgend einer Form an den Pranger zu stellen. Im Gegenteil: Der ist noch gut dabei, weil viele an überhaupt nichts in der Richtung teilnehmen. Hier landet also nur ein Teil im Müll, woanders sind es 100%. Wir sind hier auf dem richtigen Weg, der aus meiner Sicht ausgebaut werden kann und sollte.

Wenn es sich in Richtung Ladenschluss abzeichnet, dass vieles nicht verkauft werden kann, sollte die Filiale auf TGTG die Nutzer darüber informieren können, dass heute statt 5 eben 10 Tüten zur Verfügung stehen. Hierfür wird auf TGTG die technische Funktionalität benötigt, die an die Betriebe kommuniziert und von diesen entsprechend genutzt werden müsste, damit das noch besser funktioniert.

Datenschutz & Sicherheit

Bezogen auf die App selbst finde ich ein großes Manko, dass kaum wirklich datenschutzfreundliche Bezahlmethoden zur Auswahl stehen: Kreditkarte ist hier noch die am wenigsten schlechte Alternative – wenngleich nach wie vor nicht die Beste. Zumal diese in Deutschland wenig verbreitet sind, die von den Banken angebotenen kosten in der Regel eine jährliche Gebühr. Google Pay macht es noch schlimmer, dort muss eine Kreditkarte oder ein PayPal-Konto hinterlegt werden. In beiden Fällen haben wir also Google als (unnötigen) Mittelsmann dazwischen.

Und PayPal ist in der Hinsicht seit geraumer Zeit der wohl fragwürdigste aller Kandidaten: An etwa 600 (!!!) fremde Unternehmen werden eure persönlichen Daten & Zahlungsinformationen bei jeder Transaktion weitergegeben, worüber ihr schlussendlich keinerlei mehr Kontrolle habt, was die alle mit euren Informationen treiben. Hier wünsche ich mir zumindest eine unbedenkliche Alternative, bei der ich nicht die Hosen vor anderen Unternehmen herunter lassen muss.

Leider setzt sich dieses Bild bei der restlichen App fort: Exodus Privacy findet in der Version 23.7.12 vom 27.07.2023 insgesamt 19 Berechtigungen. Während GPS während der Verwendung noch zur abschaltbaren Positionsbestimmung nachvollziehbar ist, sieht es bei der Kamera schon anders aus. Oder der biometrischen Hardware, wozu braucht die Zugriff auf den Fingerabdruck-Sensor? Nachdem ich in der App nicht mal eine Funktionalität für diese sensiblen Berechtigungen gefunden habe, ist das sicherheitstechnisch kritisch. Möglicherweise hat man zusätzliche Funktionen für Betriebe eingebaut, die für mich als Kunde nicht sichtbar sind, um eine zweite App zu sparen, womit es sich sauber und transparent trennen ließe.

Bei den Trackern war TGTG mehr als Großzügig zu sich selbst: Satte 6 Stück stecken in der App. Neben den üblichen verdächtigen wie Facebook zum Anmelden/Teilen nutzt man die Datenkrake Google für Fehlerberichte (CrashLytics). Aber damit nicht genug: Satte drei Dienste (!) sind nur dafür da, um den Nutzer in der App zu verfolgen oder Profile über sein Verhalten zu erstellen. Google Firebase Analytics und Amplitude stammen aus den USA, dank AppsFlyer weiß auch ein israelisches Unternehmen bestens, wie ihr die App verwendet. Den zahlenden Kunden einen solcher externer Datensammler einzubauen, ist schon fragwürdig. Aber gleich drei auf einmal finde ich schon extrem dreist. Selbst Datenschleudern wie TikTok, die in der Hinsicht nicht erst seit gestern einen schlechten Ruf haben, begnügen sich mit „nur“ zwei.

Warum sehe ich ständig ausverkaufte Überraschungstüten?

In der „Stöbern“ Ansicht sieht man alle Tüten in einer Liste, wahlweise auch als Punkte auf einer Karte. In beiden Fällen gibt es oben mehrere Schnellfilter: Sie zeigen per Knopfdruck z.B. nur Mahlzeiten, Backwaren oder vegetarische Gerichte an. Ein erweitertes Menü ermöglicht noch detailliertere Einschränkungen auf weitere Typen, den Abholungszeitpunkt usw. In Großstädten sicher nützlich, hier in der Umgebung sind derzeit nur 18 Angebote gelistet. Ein Teil davon wird nicht ständig angeboten bzw. ist schnell ausverkauft, weil manche nur 1 bis 3 Tüten einstellen. Am praktischsten ist daher für mich der erste Schnellfilter Ausverkauft verbergen.

Seit einer Aktualisierung wird dieser jedoch nicht mehr gespeichert: Schon das navigieren auf eine andere Seite (z.B. Stöbern oder Favoriten) reicht aus, um ihn zu entfernen. Auch nach dem Schließen der App ist er zurückgesetzt. Es ist interessant, gelegentlich mal zu sehen, welche Angebote es gab, die man verpasst hat oder die heute gar nichts vorrätig haben. Aber nicht ständig. Wenn ich die App öffne, möchte ich in der Regel eine Tüte buchen und bin daher an den verfügbaren interessiert. In den meisten Fällen ist also das erste was ich nach dem starten drücke, dieser Knopf. Wozu? Manchen Bewertungen nach bin ich nicht der Einzige, der dies als Verschlimmbesserung empfindet.

Smartphone only

Man kann TGTG ausschließlich am Handy über die App nutzen – eine mit jedem Webbrowser erreichbare Webanwendung gibt es offiziell nicht. Solche Einschränkungen der Freiheit finde ich als Benutzer prinzipiell schon mal nicht gut, vor allem wenn die App mit Spyware vollgestopft ist. Gerade wenn man tagsüber am PC arbeitet, ist es schlichtweg unpraktisch: Welche Tüten gibt es heute? Hat Betrieb X welche, der nur unregelmäßig & wenige einstellt? Es gibt ja nicht mal eine vernünftige Benachrichtigungsmöglichkeit am Handy: Man kann nur zufällig von TGTG definierte aktivieren. Immer wieder muss man also das Handy zücken, entsperren, die App öffnen, darf meistens die Filter wie eben beschrieben von Hand setzen und auf dem kleinen Bildschirm durch die Liste scrollen.

Das hätte ich viel lieber in einem Browsertab, wo ich kurz mit 2 Klicks sehe, was Sache ist. Außerdem könnte ich mir mit wenigen Zeilen z.B. ein Greasemonkey-Skript schreiben, dass alle paar Minuten prüft und mir eine Desktop-Benachrichtigung sendet, falls etwa eine bestimmte Tüte verfügbar ist. Damit wäre das schon deutlich besser. Ich kann natürlich verstehen: Die primären Nutzungsszenarien wie das Bestätigen beim Abholen finden unterwegs statt – folglich fokussiert man sich auf mobile Endgeräte, da kaum jemand seinen Laptop zum Bäcker trägt. Das macht für dieses Szenario auch Sinn, schließt aber nicht automatisch alle anderen Geräte aus. Viele Dienste wie WhatsApp, Telegram, diverse Webshops & co machen es vor: Da habe ich als Nutzer die Wahl, ob ich z.B. auf dem Handy unterwegs die Nachrichten tippe, den Artikel kaufe usw – oder vielleicht zuhause doch lieber den größeren Laptop/PC.

Alternativen zu „To Good To Go“

Ich beobachte diesen Bereich schon länger und kenne auch TGTG schon einige Jahre länger. Erst ab Dezember 2021 konnte ich es jedoch im Alltag sinnvoll nutzen. Zuvor waren die verfügbaren Betriebe zu weit weg. Unabhängig davon haben sich in letzter Zeit weitere Möglichkeiten entwickelt, mit denen man Lebensmittelabfälle retten kann. Dies nicht zuletzt deswegen, weil das Bewusstsein für (fehlende) Nachhaltigkeit bei den Verbrauchern steigt. Bei vielen kommt es nicht so gut an, wenn Unternehmen essbare Lebensmittel bewusst entsorgen. Ein paar möchte ich im folgenden als Alternative oder Ergänzung zu TGTG kurz erwähnen:

Schnäppchenregale im Supermarkt

Supermärkte merken zunehmend, dass sie Lebensmittelabfälle doppelt Geld kosten: Der Einkaufspreis ist vernichtet und man zahlt oft extra für die Entsorgung. Daher werden zunehmend Produkte, die bald ablaufen und entsorgt werden, vergünstigst angeboten. Einige haben dafür Schnäppchenregale oder auch Schnäppchenecken in einem Regal (z.B. am Ende der Kühltheke). Bei Kaufland gibt es sogar mehrere: Hier etwa eines in der Gemüse-Abteilung, ein zweites am Ende der Kühlabteilung und zwei weitere in der Nähe der Kassen für alle anderen Produkte (Schokolade, Gewürze, Dosen usw), die keine Kühlung benötigen.

Bei Lidl und Penny habe ich ein anderes Vorgehen gesehen: Sie haben (zumindest hier vor Ort) keine getrennten Bereiche. Stattdessen zeichnen sie Produkte im Sortiment mit den Rabatt-Klebern aus. Hier ist es also etwas aufwändiger, da man die Regale durchschauen muss. Teilweise kann es auch passieren, dass z.B. mehrere Kartons Joghurts übereinander liegen und weiter unten welche enthalten sind, die bald ablaufen und daher vergünstigt angeboten werden.

Das ist ein sinnvoller Ansatz und ich habe davon auch schon öfter Gebrauch gemacht. Allerdings ist gezieltes Retten damit schwierig: Nicht alles wird dort angeboten, man weiß nie, ob überhaupt etwas verfügbar ist. Oft kommt man umsonst in den Laden. Das ist eher praktikabel, wenn ohnehin ein Einkauf geplant ist und man dann flexibel mitnimmt, was vorhanden ist. Ein direkter Vergleich zu TGTG, wo ich zumindest sehe, ob Überraschungstüten verfügbar sind, ist es daher aus meiner Sicht nicht. Ich würde es eher als Ergänzung betrachten.

Foodsharing

Hier geht es vor allem darum, den Betrieben größere Mengen an überschüssigen Lebensmitteln möglichst unkompliziert abzunehmen: Ehrenamtliche von Foodsharing holen diese ab und verteilen sie kostenlos – beispielsweise an offene Regale, Kühlschränke und andere öffentliche Orte zum Teilen. Im Gegensatz zu TGTG kümmert sich also die Community um die Verteilung. Wer Lebensmittel retten möchte, sucht nach lokalen Verteilerstellen bzw. baut Kontakt zu entsprechenden Aktivisten auf. Dies funktioniert direkter, es steckt kein Unternehmen dahinter, sondern ein Verein. Man erhält die Lebensmittel kostenlos. Wer das System unterstützen möchte, kann sich in die Abholung einarbeiten und ehrenamtlich mitwirken.

Foodsharing-Cafes und ähnliche Läden

Relativ neu ist die Idee von Cafes oder Läden, die nicht zum Geld verdienen gegründet wurden, sondern um Lebensmittel zu retten: The Good Food beispielsweise betreibt mehrere Geschäfte in Köln, die Nahrungsmittel verkaufen, die ansonsten im Müll landen würden. Kunden können bezahlen, was sie möchten und für richtig erachten.

Ein weiteres Beispiel ist die „Raupe Immersatt“ in Stuttgart. Jeder kann dort kostenlos Lebensmittel entnehmen. Getränke werden ebenfalls angeboten, zu einem selbst bestimmten Preis – darüber finanziert sich der Betrieb. Ergänzend finden kulturelle Angebote wie z.B. Konzerte statt.

Dies sind nur zwei Beispiele, es gibt noch weitere in Deutschland. Bei Interesse könnt ihr ja mal schauen, was für vergleichbare Einrichtungen in der Nähe eures Wohnortes angeboten werden.

Mein Fazit zum Lebensmittel Retten mit TGTG

Ich hatte mich zuvor schon mit dem Thema beschäftigt, allerdings mit wenig Bezug durch abstrakte Zahlen und zudem wenig Möglichkeiten: Mit bewusster Einkaufen sowie regelmäßig schauen, was bald verdirbt, war das Limit schnell ausgeschöpft. Mit To Good To Go kann man einfach & zielgerichtet überschüssige Lebensmittel finden. Das Angebot super, sowohl für einzelne Personen, als auch Verteilung in der Gruppe. Dafür bezahlt man, womit man allerdings den Betrieben erst den Anreiz gibt, die direkte Verteilung an Privatpersonen zu übernehmen.

Die technische Umsetzung der App ist leider enttäuschender: Nützliche Detailfunktionen fehlen, auf Sicherheit & Datenschutz für den Nutzer wird wenig Wert gelegt. Das ist sehr schade, weil ich das Konzept überzeugend finde und die App durch diese Mängel daher nur eingeschränkt mit Vorsicht empfehlen kann. Bleibt zu hoffen, dass der Anbieter nachbessert. Dann könnte TGTG eine gute, massentaugliche Lösung für ein Problem darstellen, welches seit mittlerweile Jahrzehnten immer größer wird – und angesichts der stetig steigenden Umweltprobleme nicht länger ignoriert werden sollte. In diesem Bereich liegt noch viel ungenutztes Potenzial.

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