Spiegel Online führt Bezahlschranke ein: Wir haben das System analysiert

Spiegel Online führt Bezahlschranke ein: Wir haben das System analysiert

Die BILD-Zeitung des Axel Springer Verlages hat es vor wenigen Monaten erst vorgemacht: Wer weder aktiv zahlt noch passive Werbung erduldet, wird ausgesperrt. Dieses aggressive Vorgehen hatte großes Medienecho zur Folge. Mittlerweile ist auch Spiegel Online mitgezogen – Seitdem sind nicht mehr alle Artikel für jedermann kostenfrei verfügbar wie bisher. Im folgenden Artikel erklären wir, was sich geändert hat und wie der Spiegel seine kostenpflichtigen Inhalte schützt.

Wie sieht die neue Bezahlschranke aus?

Spiegel Plus nennt sich das neue Programm, welches einzelne Artikel aus dem wöchentlich erscheinenden Spiegel bereitstellt. In dieser Form waren sie bislang nicht erhältlich, sodass dafür das gesamte Magazin hätte erworben werden müssen. Darüber hinaus sollen zusätzliche Artikel exklusiv in Spiegel Plus angeboten werden. Ein solcher Artikel kostet 39 Cent. Bezahlt werden muss erst, nachdem ein Betrag von 5 Euro zusammen gekommen ist. Letztendlich wird hier also ein Mischkonzept zwischen kostenfreien und kostenpflichtigen Inhalten angewendet, wie es nicht unüblich ist.

Wer einen Spiegel Plus Artikel öffnet, kann ohne Bezahlung lediglich die ersten 1.000 Zeichen lesen. Anschließend wird der Text stark verschwommen dargestellt und es erscheint ein Hinweisfenster, dass zum Kauf aufruft:

Eine Auflistung der aktuellen Spiegel Plus Artikel, an denen man dies selbst testen kann, findet man hier: Spiegel Plus

Wie wurde der Schutz technisch umgesetzt? 

Insbesondere wer die Rechtsstreitigkeiten der BILD-Zeitung verfolgt hat, dürfte sich diese Frage nun stellen. Auch in Anbetracht des verschwommen dargestellten Hintergrundtextes – Dient dieser nur zur Illustration, oder befindet sich dort tatsächlich der Artikelinhalt? Schaut man sich die Spiegel Plus Artikel näher an, ist wie zu erwarten ein Overlay festzustellen (Box mit dem roten Button zum kaufen). Nun folgt der verschwommene Text. Ein Blick in den Quelltext zeigt, dass es sich hierbei tatsächlich um echten Text handelt:

Der verschwommene Text Cfj efs l÷sqfsmjdifo Voufstvdivoh fouefdlfo […] scheint tatsächlich verschlüsselt zu sein. Allerdings keineswegs mit starken Verschlüsselungen wie AES oder vergleichbares. Schon nach wenig Ausprobieren wird klar: Die Buchstaben werden lediglich um eine Stelle im Alphabet nach vorne verschoben, eine der ältesten und zugleich simpelsten Formen der Verschlüsselung. Aus Cfj wird somit Bei.

Interessanter wird es bei den Sonderzeichen. Im obigen Beispiel haben wir schon im zweiten Wort das Zeichen ÷, welches sich nach diesem Schema nicht einfach verschieben lässt. Wie kommt das zustande? Nun, man verschiebt nicht nur Buchstaben, sondern alle Zeichen (ausgenommen das Leerzeichen). Und zwar unter Verwendung der ASCII-Zeichenkodierung. Hier wird einfach der dezimale Wert des Zeichens inkrementiert, also um eins nach vorne verschoben.

Beispiel:

Der Buchstabe C hat in der ASCII-Tabelle den Wert 103. Zieht man davon eines ab, ergibt das 102 und somit den Buchstaben B.

Dies erklärt, wieso der verschlüsselte Text an einigen Stellen Sonderzeichen enthält. Nach dem z (172) folgt eine geschweifte Klammer { (173). Auch zwischen Groß- und Kleinbuchstaben sind diverse Sonderzeichen zu finden, etwa eine aufgehende eckige Klammer [ (133) nach dem großen Z (132).

Man muss kein IT-Experte sein um nun zu dem Schluss zu gelangen, dass dieser Schutz sehr primitiv ist und selbst von mittelmäßigen Softwareentwicklern leicht umgangen werden kann. In Pseudocode ausgedrückt muss die Software lediglich den ASCII-Wert jedes Buchstabens (ausgenommen von Leerzeichen) ermitteln, davon 1 abziehen und den daraus entstehenden Buchstaben zur entschlüsselten Zeichenkette hinzufügen:

Dieses Beispiel liefert uns die folgende Ausgabe:

Klartext: Bei der körperlichen Untersuchung entdecken die Ärzte nichts Auffälliges, wie sie im […]

Es ist daher kaum verwunderlich, dass bereits verschiedene Browser-Erweiterungen existieren, welche diesen Schritt automatisieren. Beispielsweise Spiegel Minus für Firefox.

Warum so simpel?

Als außenstehender lässt sich schwer nachvollziehen, wieso ein Nachrichtenmagazin mit Millionen von Lesern derart simple und einfach zu umgehende Methoden verwendet. Und wieso der vollständige Text überhaupt ausgeliefert wird. Es würde ausreichen, den fehlenden Text erst nach dem Bezahlvorgang anzuzeigen. Ähnlich wie beim Kauf eines Spieles oder einer Guthabenkarte, dort erhält man den Code auch erst nach der Bezahlung. Erklären lässt sich dies nur damit, dass Spiegel eine offensichtlich fertige Schittstelle eines externen Anbieters einsetzt, die diese Möglichkeit wohl nicht bietet.

Vielleicht schätzt man die Zielgruppe auch als wenig versiert ein und rechnet daher mit vernachlässigbar geringen Verlusten. Dies steht allerdings im Kontrast zur Adblock-Problematik, die Milliardenverluste verursachen soll. Schließlich verwenden die Nutzer von Werbeblockern auch nur eine Erweiterung, welche ihnen die Werbung entfernt. Die genauen Gründe kennt außer dem Spiegel wohl keiner.

Fazit: Qualitativ hochwertiger Journalismus ist sein Geld dennoch wert

Man sollte jedoch bei all dem nicht vergessen, dass Qualitätsjournalismus Geld kostet: Saubere Recherchen benötigen Zeit von Mitarbeitern, die monatlich bezahlt werden müssen. Und die für ihre Arbeit neben einem Büro auch weitere Arbeitsutensilien benötigen, welche ebenfalls finanziell zu Buche schlagen. Der Trend scheint jedoch sich dahingehend zu entwickeln, dass nur eine Minderheit bereit ist, für Online-Nachrichten direkt Geld auszugeben. Zeitgleich machen immer mehr von Werbeblockern gebrauch, sodass die Einnahmen stark zurück gehen.

Langfristig ist das ein Problem, weil klassische Zeitungen zunehmend von ihren digitalen Alternativen verdrängt werden. Als Folge kann die Qualität und Vielfalt in den Medien zurückgehen. Wer Kosten sparen muss, recherchiert nicht selbst sondern schreibt von anderen ab – das geht schneller und ist günstiger. Dieser Artikel soll daher rein informationell dienen und zeigt bewusst keine 1-Klick Methode, mit der jeder die Bezahlschranke umgehen kann – auch wenn dies möglich wäre.

Eine Abneigung gegen Werbung ist verständlich und nachvollziehbar. Nicht jedoch die Mentalität, Leistungen die Kosten verursachen umsonst zu erhalten. Man würde sich ja auch nicht das Recht herausnehmen, eine kostenpflichtige Zeitung am Kiosk umsonst mitzunehmen.

3 thoughts on “Spiegel Online führt Bezahlschranke ein: Wir haben das System analysiert

  1. Bubble

    Interessante „Verschlüsselung“. Da gibt es doch morgen schon ein Greasemonkey-Script, das diese Kacke aushebt.

    Ich habe viele Magazine im Abo, auch Spiegel (Studenten-Vorteile), aber manchmal finde ich solche Artikel schneller auf der Website und dann stören mich diese Bezahlschranken doch.

  2. Bubble

    https://jsfiddle.net/4Lpohutj/

    Schnell mal hingezaubert, dank deinem Pseudocode. Funktioniert ganz gut.

    $(„.laterpay-under-overlay“).next(„div“).removeClass();

    Reicht bereits, um sich den Artikel vorlesen zu lassen… Ganz groß, Spiegel.

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