Dieses Linux nutzt Google für über 100.000 Mitarbeiter

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Dieses Linux nutzt Google für über 100.000 Mitarbeiter

Welches Betriebssystem nutzt Google? Windows ist es nicht und war es nie. Der Konzern spricht wenig darüber, doch seit Jahrzehnten arbeiten Angestellte bei Google primär mit GNU/Linux. Und das in riesigen Dimensionen: Über 100.000 Mitarbeiter verwenden dort inzwischen das freie Betriebssystem. Wir schauen uns in diesem Beitrag die mittlerweile über 20 Jahre alte Geschichte von freien Betriebssystemen bei einem der größten Konzerne der Welt an. Dieser hat über die Jahrzehnte mit Goobuntu und gLinux zwei eigene Distributionen entwickelt.

Goobuntu und Red Hat: Googles früher Einstieg in GNU/Linux

Die ersten Belege für den Einsatz von GNU/Linux auf dem Desktop bei Google stammen aus dem Februar 2006: Der Begründer von Ubuntu, Mark Shuttleworth, reagiert mit einem Blogeintrag auf Gerüchte. Damals wurde vermutet, Google würde ein auf Ubuntu aufbauendes Google OS als Betriebssystem veröffentlichen. Im Ubuntu-Forum hat jemand ein Bildschirmfoto veröffentlicht, welches angeblich Google OS zeigen sollte.1 Dies ließ sich nicht bestätigen und wurde von einigen als Scherz abgetan. Dennoch griffen größere Medien derartige Vermutungen auf.2

Der Ubuntu-Gründer erteilte diesen Spekulationen eine klare Absage. In der Begründung wird eher beiläufig bestätigt, dass Google intern stark auf GNU/Linux setzt. Sie haben eigene Versionen der großen Distributionen wie RHEL, Suse, Debian und Ubuntu. Dabei soll es sich um für Google modifizierte Versionen handeln. Das auf Ubuntu aufbauende Betriebssystem wird Goobuntu genannt.3 Shuttleworth lobt den Internetkonzern dafür, Patche zu liefern, die über Ubuntu auch in Debian (darauf basiert Ubuntu) Einzug finden. Eine andere Quelle von 2007 zeigt einen Bildschirm mit „Goobuntu“ Logo, welches dem von Google nachempfunden ist.4 Auch hier lässt sich die Echtheit nicht bestätigen.

Fakt ist jedoch: Zumindest Goobuntu existiert und war bereits 2006 bei Google im Einsatz, zusammen mit anderen Distributionen. Auf Servern setzt das Unternehmen von Anfang an auf GNU/Linux. Ein Artikel aus dem Jahr 2000 bestätigt, dass Googles Suchmaschine zu dieser Zeit bereits auf über 4.000 RHEL-Servern lief.5 Welches OS im Desktop-Bereich zu dieser Zeit genutzt wurde, ist leider nicht dokumentiert. Da die Gründung erst zwei Jahre zuvor (1998) erfolgte, hat es entweder schon immer auf GNU/Linux gesetzt. Oder nach wenigen Jahren von Microsoft Windows migriert. In jedem Falle gehört der Konzern damit zu einem der ersten Unternehmen, die freie Software in großem Stil kommerziell einsetzen.

Belegt ist, dass 2009 rund 10.000 Google-Mitarbeiter die auf Ubuntu aufbauende Goobuntu-Distribution verwendeten. Dies entspricht knapp der Hälfte der damaligen Belegschaft von 20.000 Angestellten. Unklar ist jedoch, welches Betriebssystem vom Rest verwendet wurde.6 Nachdem Mark Shuttleworth von einer Reihe an GNU/Linux-Distributionen sprach, verteilten sich diese wohl darauf. Ein Teil muss auch Microsoft Windows verwendet haben: 2010 ermöglichten schwere Sicherheitsmängel im Microsoft Internet Explorer einen Angriff auf u.a. Google.7 Nachdem Google die Schwachstelle entdeckt hatte, sind dies möglicherweise Sicherheitsforscher oder Tester.

Wie passt das mit dem Rest zusammen?

Einige werden sich darüber sicherlich wundern: Laut aktuellen Zahlen von statcounter haben Betriebssysteme auf Basis von Linux 4,05% Marktanteil im Desktop-Bereich. Microsoft Windows beherrscht das unangefochtene Monopol mit 72,52%.8 Die historischen Daten dieser Seite reichen bis 2009 zurück. Dort hatte Windows eine nahezu absolute Monopolstellung mit satten 95% Marktanteil, wogegen Linux lediglich 0,64% erreichte.9

Zur damaligen Zeit war GNU/Linux zwar für Computerspiele nicht geeignet und hatte schwächen bei gängiger proprietärer Software wie etwa Videoschnitt. Anders sieht es in der IT aus: Alleine das Web ist auf offene Standards und Software gebaut, sodass es hier sogar besser geeignet sein kann. Bei der Stackoverflow Entwickler-Umfrage aus dem Jahre 2013 gaben bereits rund 20% der befragten an, am meisten ein auf GNU/Linux basiertes Betriebssystem zu nutzen.10

In den folgenden Jahren nahm dieser Anteil deutlich zu: 2022 nutzten ~40% ein Betriebssystem mit dem Pinguin, während selbst im professionellen Umfeld nur 8,8% mehr auf Microsoft Windows setzten.11 Für diesen Trend gibt es einige Gründe: Zum einen ist GNU/Linux nach wie vor Standard im Server-Umfeld und schon alleine deswegen interessant für Entwickler. Gefestigt wurde dies durch die in den letzten Jahren zunehmend beliebten Container, allen voran Docker. Das ist Linux-Technik, die Windows mangels entsprechender Kernel-Funktionen bis heute nicht in der Form liefern kann – Docker für Windows & co. funktionieren lediglich über eine VM mit GNU/Linux im Hintergrund. Auch das darauf aufbauende Kubernetes ist für GNU/Linux entwickelt worden. Dazu hat Microsoft sein Ökosystem über Jahrzehnte vernachlässigt und ließ lange Funktionen vermissen, die verschiedene Distributionen bereits seit zig Jahren an Board haben. Außerdem fällt der Konzern negativ durch massive Überwachung, Datensammlung und Gängelung seiner Nutzer auf.

Die Liste könnte man noch länger führen: Aus technischer Sicht ist es keine Überraschung, dass GNU/Linux als Betriebssystem für Nutzer aus der IT wesentlich attraktiver ist. Hier scheint eher verwunderlich, warum trotzdem noch relativ viele auf Windows und MacOS setzen – das ist allerdings ein anderes Thema.

Nach Goobuntu kommt gLinux für über 100.000 Geräte

Mehr als 15 Jahre lang war das der Standard bei Google, bis 2018 die Entwicklung von gLinux begann.12 Statt Ubuntu LTS bildet nun Debian die Basis. Allerdings nicht der stabile Zweig, wie ihn viele kennen, sondern Debian Testing – damit einher geht ein Wechsel von klassischen Hauptversionen für größere Änderung hin zu Rolling Releases, bei denen die Softwarepakete laufend aktualisiert werden. Für diese Entscheidung gibt es mehrere Gründe: Die ursprünglich rund 10.000 Geräte von 2009 sind über die Jahre stark gestiegen. Durch diese riesige Menge benötigt der Konzern trotz Automatisierung etwa ein Jahr von der Vorbereitung bis hin zum vollständigen Upgrade aller Geräte. Bei 2-Jahres Zyklen blieb somit nur ein Jahr Zeit, bis der nächste ansteht. Dazu verursachte die LTS-Version Probleme: Zwar wurde sie länger gepflegt. Doch entdeckte Bugs sind möglicherweise bereits in der nächsten Hauptversion korrigiert, die LTS-Nutzer erst mit der nächsten LTS-Version erhalten. Generell wartet man in diesem Zweig auch länger auf neue Funktionen.

Mit Rolling Releases konnte Google dies deutlich verbessern: Statt eines großen Upgrades gibt es nun öfter kleinere Aktualisierungen, man hat sich intern für wöchentlich entschieden. Dies passe zum grundsätzlichen Wechsel zu CI/CD, bei dem ebenfalls kleinere Änderungen häufiger veröffentlicht werden – statt wie früher wenige große Releases. Neuere Software kommt dadurch mit wenig Verzögerung bei den Nutzern an. Diese wird zuerst mit Akzeptanztests geprüft und danach auf 1% der Geräte ausgerollt. Gibt es in den nächsten Tagen keine Probleme, weitet man die Updates auf die restlichen 99% aus.

Ebenfalls spannend ist das Buildsystem. Es werden nicht die binären Pakete übernommen, sondern Google baut sämtliche Pakete selbst auf Basis des Quellcodes. Das verbessert die Sicherheit, weil sie im Falle eines 0 Day Exploits intern schnell einen temporären Fix ausrollen können, noch bevor das offizielle Update von Debian folgt. Zum Ausschluss von Manipulationen kommen reproduzierbare Builds zum Einsatz. Damit lässt sich nachweisen, dass eine Binärdatei wirklich aus dem Quellcode entstammt und nicht verändert wurde. Außerdem sind sie damit nicht von der XZ Hintertür betroffen gewesen – diese war nur in den Binärdateien integriert.13

Wie Upgraded man über 100.000 Geräte?

Bei Windows ist es in Unternehmen üblich, dass die Geräte bei einem Betriebssystemupgrade (z.B. das bald anstehende von Windows 10 auf 11) ausgemustert und ausgetauscht werden. Dafür muss jeder Mitarbeiter bei der IT ein neues Gerät abholen – inklusive Einrichtung sowie möglicher Probleme. So etwas ist aufwändig und teuer – insbesondere, wenn wir nicht von nur ein paar hundert oder tausend Geräten sprechen, sondern im Falle von Google über 100.000 mit Goobuntu – weltweit verteilt. Da Ubuntu auf Debian aufbaut, gibt es einen viel besseren Weg: Ein In-Place Upgrade. Das laufende System wird von Ubuntu zu Debian umgestellt. Anfang 2019 wurden die letzten Goobuntu-Systeme migriert, alle laufen seit dem auf gLinux.

Ist gLinux ein Erfolg?

Der Wartungsaufwand konnte mit gLinux erheblich reduziert werden: Mehrstufige Testphasen mit diversen Alpha- Beta und GA-Versionen sind entfallen. Eine Person reicht für die wöchentlichen Aktualisierungen aus, der Stress ist zusammen mit dem Arbeitspensum stark gesunken. Parallel haben verbesserte Tests, mehr Automatisierung und der neuere Kernel von Debian Testing gegenüber Ubuntu LTS zu stabileren Systemen geführt.

Darüber hinaus plant Google für die Zukunft, noch enger mit Debian zusammen zu arbeiten. Konkret heißt das: Findet man bei den eigenen Tests einen Fehler und entwickelt einen Fix dafür, sollen mehr dieser Korrekturen nicht nur intern im eigenen Unternehmen eingesetzt werden. Sondern man möchte sie zunehmend an Debian übermitteln, um das Ökosystem der Distribution zu stärken.

Übrigens läuft gLinux nicht nur auf physischen PCs und Notebooks: 1/4 der Google-Mitarbeiter nutzt intern gehostete virtuelle Desktops. Windows-Nutzer kennen das von Microsofts Terminalserver und/oder Citrix. Auch hier setzt der Konzern jedoch nicht auf proprietäre Produkte, sondern nutzt quelloffene Software.14

Fazit: Linux im Konzern geht doch

Während u.a. hierzulande oft behauptet wird, größere Umgebungen wären ohne Windows GPOs, Active Directory und Office nicht verwaltbar, hat es Google seit Jahrzehnten einfach gemacht. Die Taten sagen mehr als Worte: Es ist offensichtlich möglich, mit über 100.000 Mitarbeitern GNU/Linux zu fahren – unter 104.000 Vollzeit-Angestellten im ersten Quartal 2019.15 So konnte der Konzern auf Platz 5 der wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Welt mit derzeit 282,5 Milliarden Euro Umsatz werden, wovon 67,9 Milliarden Euro Gewinn entstehen.16 Spannend ist hierbei, dass Google sogar auf eine fortlaufend aktualisierte Distribution setzt.

Sicherlich gilt dies nicht ausnahmslos für jeden. Zumindest in der IT ist es offensichtlich selbst in diesen Dimensionen möglich. Neben Lizenzkosten/Abozwang17 und den Gefahren durch Datenabfluss18 sowie der Abhängigkeit19 (alleine Microsoft Office sammelt 25.000 Ereignisse20) spart man sich hierbei zudem weitere Gängelungen, denen man bei proprietären Betriebssystemen ausgesetzt wäre.21 Leider ist gLinux nicht öffentlich verfügbar. Lobenswert finde ich dagegen, dass Google ihre Upstream-Distribution unterstützen und dies ausbauen möchten. Davon brauchen wir mehr.

Quellen

  1. https://ubuntuforums.org/showthread.php?t=123924&page=6 ↩︎
  2. https://www.theregister.com/2006/01/31/google_goes_desktop_linux/ ↩︎
  3. https://archive.li/BFkt ↩︎
  4. https://ubuntudaily.wordpress.com/2007/10/17/goobuntu-googles-modified-ubuntu/ ↩︎
  5. https://www.redhat.com/en/about/press-releases/press-google ↩︎
  6. https://archive.li/86yE ↩︎
  7. https://www.spiegel.de/netzwelt/web/sicherheitsleck-google-hack-lief-ueber-luecke-beim-internet-explorer-a-672103.html ↩︎
  8. https://gs.statcounter.com/os-market-share/desktop/worldwide ↩︎
  9. https://gs.statcounter.com/os-market-share/desktop/worldwide/2009 ↩︎
  10. https://survey.stackoverflow.co/2015#tech ↩︎
  11. https://survey.stackoverflow.co/2022/#section-most-popular-technologies-operating-system ↩︎
  12. https://www.youtube.com/watch?v=cdSiQGnkAmg ↩︎
  13. https://cloud.google.com/blog/topics/developers-practitioners/how-google-got-to-rolling-linux-releases-for-desktops?hl=en ↩︎
  14. https://dl.acm.org/doi/10.1145/3236386.3264508 ↩︎
  15. https://www.googlewatchblog.de/2019/06/alphabet-mitarbeiter-google-zeitarbeiter/ ↩︎
  16. https://www.finanzen100.de/top100/die-grossten-borsennotierten-unternehmen-der-welt/ ↩︎
  17. https://www.drwindows.de/news/kostenfalle-microsoft-365-immer-mehr-komponenten-gibt-es-nur-gegen-aufpreis ↩︎
  18. https://www.wiwo.de/politik/deutschland/hackerangriffe-und-wettbewerbsrecht-der-fall-microsoft-monopolisierung-ist-ein-risiko-fuer-innovation-und-cybersicherheit-/29284606.html ↩︎
  19. https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/europas-fatale-abhangigkeit-von-microsoft-3821812.html ↩︎
  20. https://www.golem.de/news/datenschutz-aerger-microsoft-sammelt-bis-zu-25-000-ereignistypen-bei-office-1811-137815.html ↩︎
  21. https://www.borncity.com/blog/2024/03/01/ms-gngelung-i-zwangsupgrade-auf-neues-outlook/ ↩︎

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