6 Windows-Funktionen, die Microsoft von Linux geklaut hat

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6 Windows-Funktionen, die Microsoft von Linux geklaut hat

Microsoft Windows mag das verbreitetste Betriebssystem auf dem Desktop sein. Wie gut es ist, wird scharf diskutiert und ist umstritten. Fakt ist jedoch: Funktionell hängt es der freien Konkurrenz in einzelnen Bereichen um Jahre bis Jahrzehnte hinterher. Daher scheint der Konzern gerne Ideen und Konzepte von der Konkurrenz zu kopieren. Ich stelle 6 solcher Funktionen vor, die sich Microsoft aus der GNU/Linux-Welt abgekupfert hat.

Reiter im Datei-Explorer

Ich arbeite viel mit dem Datei-Explorer – Sei es beim hantieren mit Bildschirmfotos, Videos, Installationsdateien & co. Selten bewege ich mich dabei in nur einem Ordner, mindestens 2-3 sind die Regel. Man möchte den vorherigen Ordner nicht schließen, weil man weiß, dass dieser später noch benötigt wird. Oder um etwas von A nach B zu verschieben. Ich bin da sicher nicht der einzige und lernte Reiter sehr zu schätzen. Sonst ist die Leiste unten schnell voll mit zu Ordnern, was ohnehin umständlicher ist, als Reiter am oberen Bildschirmrand.

Unter Windows war ich damit wohl eine kleine Minderheit – oder Microsoft wollte schlicht keine Ressourcen investieren, nachdem sie ja auch ohne Registerkarten seit Jahrzehnten ein Monopol halten. Nachdem ich 2022 „Files“ entdeckt habe, schien mir zweiteres wahrscheinlicher. Die quelloffene Alternative zum Windows Dateiexplorer integrierte neben Reitern auch einige weitere nette bis nützliche Funktionen. Unter GNU/Linux ist das nichts besonderes. Xfce hat beispielsweise schon 2012 Tabs eingebaut.12

Bei Microsoft hielt man das wohl für eine Modeerscheinung, die sich aussitzen lässt. Anders lässt sich nicht erklären, dass es mehr als ein weiteres Jahrzehnt dauerte, bis man damit begann, sie in Windows einzubauen. Zumindest Windows 11 hat sie mit dem 22H2 Update bekommen.3 Windows 10 Nutzer schauen jedoch weiterhin in die Röhre. Wer dort nicht zig einzelne Fenster nutzen möchte, kann entweder das bereits angesprochene „Files“ verwenden. Soll der Windows Explorer nicht ersetzt werden, rüsten Drittanbieter-Programme wie QTTabBar dort Reiter nach.4 Zu beachten ist allerdings: Derartige Erweiterungen nutzen oft inoffizielle Schnittstellen – das kann bei Updates durch Microsoft zu Problemen führen. Ich würde daher betroffenen „Files“ empfehlen, hier handelt es sich um eine eigenständige Anwendung.

Unterstützen gängiger Archivtypen

Lange Zeit konnte Windows lediglich ZIP-Archive entpacken, bearbeiten oder neu packen. Das Format wurde an vielen Stellen schon vor Jahrzehnten durch Alternativen ersetzt, die oft eine stärkere Kompression bieten – etwa 7-Zip, Rar oder insbesondere in der GNU/Linux und Unix-Welt Tar(GZ). Durch schnellere Internetanschlüsse mag das nicht mehr so wichtig sein, wie früher. Dennoch gibt es auch 2024 noch einige Menschen mit langsameren Internetanbindungen. Und selbst wer nicht betroffen ist, muss sich bei Archiven nach dem Format richten, das die Gegenseite anbietet. Oft sind das keine ZIP-Dateien.

Nahezu jede mir bekannte GNU/Linux-Distribution hat seit langem entsprechende Software vorinstalliert. Die meisten gängigen Archivtypen können im grafischen Datei-Explorer per Mausklick geöffnet oder entpackt werden. Windows-Nutzer mussten dagegen Jahrzehnte lang zusätzliche Software wie 7-Zip & dessen Alternativen installieren – sonst konnten sie mit Dateiformaten wie 7-Zip oder Rar nichts anfangen. Erst 2023 fand bei Microsoft ein Umdenken statt: Per Update kommt Windows damit auf Augenhöhe mit der Mehrheit der GNU/Linux-Distributionen.5

Erwähnenswert ist noch, dass Windows 10 bereits mit Version 1803 das Kommandozeilenwerkzeug tar nachrüstete.6 Allerdings fehlte eine Integration in den Explorer bislang – Verpacken und Entpacken war ausschließlich über die Konsole möglich.

Paketmanager WinGet

2020 führte Microsoft den Windows Package Manger ein, der über das Kommandozeilenwerkzeug winget gesteuert wird.7 Seit dem Mai 2020 Update (2004) ist er unter Windows 10 standardmäßig installiert.8 Das Ende 2021 erschienene Windows 11 enthielt ihn bereits von Anfang an. Die Bedienung wirkt an manchen Stellen etwas sperrig – so fehlt beispielsweise bis heute eine Webseite zur Übersicht aller Pakete. Hier hat jedoch die Community mit einem inoffiziellen Projekt ausgeholfen.9 Die Pflege der Pakete hat Microsoft an die Community ausgelagert.10 Im Unterordnet manifests des Repositorys finden sich die verfügbaren Programme, welche wiederum in Unterordner nach Hersteller gruppiert wurden – beispielsweise das bekannte CPU-Z.11 Auch viele andere Software wie z.B. gängige Browser sind enthalten.

Auch hier ist Microsoft spät dran: Das von Debian und seinen Derivaten (z.B. Ubuntu) bekannte Advanced Package Tool (kurz APT) erschien 1998 als einer der Ersten Paketmanager.12 Weitere von großen Distributionen folgten in den nächsten Jahren. Bis 2020 existierten lediglich verschiedene Drittanbieter-Projekte. Ninite war einer der Ersten. Es folgten 2011 Chocolatey, Scoop, AppGet und weitere. Alle waren für Windows vorgesehen, mussten aber zunächst vom Nutzer selbst installiert werden.

Microsoft wollte der Fragmentierung wohl durch die Einführung win WinGet 2020 ein Ende bereiten. Doch laut Schilderung des AppGet-Entwicklers habe Microsoft ihn 2019 eingeladen und eine Übernahme des Projektes in Aussicht gestellt – jedoch ohne Details, welche Rolle der Entwickler bei diesem Projekt konkret haben werde, wenn es der Konzern übernimmt. Nach längerer Funkstelle soll Microsoft einen Tag vor der WinGet-Veröffentlichung per E-Mail mitgeteilt haben, dass sie den AppGet-Entwickler doch nicht einstellen werden und stattdessen ihr eigenes WinGet veröffentlichen. Dies sei jedoch stark von AppGet inspiriert – nicht nur vom Name, sondern auch beim Aufbau.

Der AppGet-Entwickler zeigte sich enttäuscht über Microsofts verhalten und kündigte die Einstellung seines Projektes an, da er keine Chance gegen den Klon des Konzerns sehe.13 Einigen Community-Mitgliedern fiel ebenfalls die große Ähnlichkeit beider Projekte auf. Als Reaktion entschuldigte sich Microsoft in einem Blogeintrag, die Leistung von AppGet nicht gewürdigt zu haben.1415

Microsoft integrierte OpenSSH in Windows

Das 1995 erschienene SSH ist seit jeher das Standard-Fernzugriffsprotokoll für GNU/Linux und Unix-Betriebssysteme. Man kann sich damit auf sicherem Wege an einem entfernten Computer oder Server anmelden, um diesen zu administrieren. Durch SFTP können zusätzlich Dateien übertragen werden – oder man hängt per SSHFS das entfernte Dateisystem ein. Bei Bedarf ermöglicht X11 das Öffnen grafischer Programme auf dem entfernten PC. Die Fenster zeigt es auf dem Client an, sodass diese wie lokal installierte Programme bedienbar sind. Tunnel ermöglichen es, beliebige TCP/IP Portweiterleitungen einzurichten. Beispielsweise für den Zugriff auf einem lokal laufenden Datenbankserver.

Microsoft setze dagegen lange auf das proprietäre Remote Desktop Protokoll. RDP erfordert eine grafische Oberfläche und ist weit weniger mächtig, da es lediglich für die entfernte Bedienung eines Desktops vorgesehen ist. 2017 baute der Konzern überraschend eine Portierung des freien OpenSSH in Windows ein.16 Sowohl Server als auch Client sind verfügbar.17 Mit dem von GNU/Linux bekannten ssh Befehl lässt sich eine Verbindung zu einem SSH-Server herstellen. Über die Server-Komponente kann Windows selbst per SSH zum Server werden. Bisher war all das nur über Drittanbieter-Software möglich, die teils eine GNU/Linux Umgebung emulieren, um die für Linux entwickelte Software dort betreiben zu können.18

Der nun verfügbare OpenSSH-Server erlaubt SSH-Verbindungen von jedem Client aus. Allerdings startet dieser keine Bash (bzw. die im Benutzerkonto hinterlegte Shell), sondern eine Windows Kommandozeile (CMD). Darüber lässt sich wiederum eine mächtigere PowerShell starten.

Server Core mit wenig grafischer Oberfläche

Während GNU/Linux-Server üblicherweise schon immer ohne Desktopumgebung laufen, war es bei Windows umgekehrt. Zwar entstand Windows 9.x als grafische Oberfläche für MS DOS. Doch mit der NT-Reihe wurde der DOS Unterbau ab 1993 entfernt und damit Windows von der Oberfläche zum eigenständigen Betriebssystem. Windows existierte nur im Gesamtpaket mit der Windows Benutzeroberfläche.

Unter GNU/Linux hingegen gab es schon immer eine Trennung: Es ist üblich, dass die Desktopumgebung nur dort installiert wird, wo man sie tatsächlich benötigt. Viele Distributionen gibt es daher in einer oft „Minimal“ genannten Edition, sie booten in eine Konsole. Auch Programme stellen in der Regel ihre Funktionen vollständig über Kommandozeilenwerkzeuge bereit. Grafische Oberflächen sind – falls verfügbar – lediglich eine Alternative.

Windows und der grafische Desktop waren seit Windows NT 3.1 untrennbar vereint. Selbst Windows Server erhielten eine leicht angepasste Desktop-Umgebung. Erst 15 Jahre später versuchte Microsoft, das GNU/Linux-Konzept zumindest im Ansatz zu kopieren: Mit Windows Server 2008 wurde die „Server Core“ Edition eingeführt.19 Dort wurde die grafische Oberfläche auf 7 Anwendungen reduziert.20

Wirklich durchsetzen konnte sich das in der Windows-Welt auch weitere 16 Jahre später nur überschaubar: Microsofts Umsetzung war v.a. Anfangs sehr lückenhaft. Nur wenige Rollen wurden in Core unterstützt, auf In-Place Upgrades musste verzichtet werden – kein vollwertiger Ersatz. Die Lücken sind inzwischen geschrumpft.21 Dennoch unterstützt v.a. Drittanbieter-Software für Windows Server teils nur den Desktop. Und auch manche Administratoren schubsen lieber ihre Mäuse herum.22 Inzwischen gibt es eine vom Konzern erzwungene Kehrtwende: Bei den Clouddiensten sind Teile der Einstellungen gar nicht mehr grafisch verfügbar, sondern ausschließlich auf der Konsole per PowerShell.23

Windows kopiert Sudo

Seit mittlerweile Jahrzehnten ist bekannt: Programme sollten nur so viele Rechte bekommen wie nötig und so wenig wie möglich – Least-Privilege-Prinzip (PoLP) ist der Fachausdruck dafür. Programme pauschal mit vollen Rechten (Administrator/Root) zu Starten, gilt als Sicherheitsrisiko: Fehler oder Sicherheitslücken können uneingeschränkt auf das gesamte System (und damit auch andere Software) über springen. Microsoft erkannte das erst relativ spät: Seit 2006 kann per Benutzerkontensteuerung Software im Kontext des angemeldeten Nutzers ausgeführt werden, die allerdings volle Admin-Rechte bekommt.

In der GNU/Linux und Unix-Welt entstand in den 1980er Jahren Sudo.24 Bereits damals war es mächtiger als die Windows Benutzerkontensteuerung, da es deutlich feinere Berechtigungen erlaubt.25 Es entstand für Universitäten, um den Studenten lediglich Root-Zugriff für einzelne Programme zu gewähren. Unter Windows hingegen muss das gesamte Terminal als Administrator gestartet werden. Beschränkungen gibt es keine und die Programme laufen im Kontext des Administrators – neben den Sicherheitsthemen macht das teils funktionelle Probleme, wenn z.B. Software Daten in das Profil des Nutzers schreibt.

Satte 39 Jahre dauert es, bis Microsoft das merkte. 2024 veröffentlichte Microsoft sein eigenes Sudo, aber unter gleichem Name.2627 Die Implementierung unterscheidet sich allerdings. Es gibt drei verschiedene Modi. Einer ist dem Verhalten von Sudo aus GNU/Linux ähnlich. Standardmäßig öffnet Sudo jedoch ein neues Terminal als Administrator – wie es bisher ohne Sudo unter Windows unumgänglich war.28 Derzeit können nur Insider von Windows 11 das neue Sudo testen. In der zweiten Jahreshälfte 2024 soll es an Desktop-Nutzer verteilt werden. In der Vorschau-Version von Windows Server war es ebenfalls enthalten. Nach einer chaotischen Welle von mehrmals veröffentlichten und wieder zurück gezogenen Ankündigungen beendet der Konzern den Kindergarten und sagt: Sudo wird nicht für Windows Server erscheinen – warum auch immer.29

Fazit

Nachdem Microsoft zig Jahre alle Geschütze aufgefahren hat, um GNU/Linux zu bekämpfen, bauen sie zunehmend deren Konzepte und Werkzeuge in Windows ein – das hat eine gewisse Ironie. Außerdem gibt es der Liebe zu Linux, die der Konzern seit einigen Jahren beteuert, einen faden Beigeschmack. Andererseits kann man diesen Wandel auch positiv betrachten: Der Konzern fährt beim bitteren Konkurrenzkampf ein paar Gänge zurück und öffnet Windows für gute, funktionierende Werkzeuge. Ein Stück weit ist das für diese ein Ritterschlag. Immerhin läuft mit dem WSL inzwischen sogar ein nahezu vollwertiges GNU/Linux-Betriebssystem mit Windows-Integration.

Freilich geschieht das nicht ohne Eigennutz: GNU/Linux hat unter Entwicklern beispielsweise eine große Verbreitung gewonnen. 2022 nutzten es über 40% von ihnen.30 Der Abstand zu Windows ist viel geringer, als auf dem Desktop. Mit solchen Schritten möchte das Unternehmen verhindern, noch mehr Nutzer zu verlieren. In wie weit das für die Allgemeinheit sinnvoll ist, sei dahingestellt. An anderen Stellen arbeitet Microsoft eher dagegen an und hat mit Windows 11 ältere CPUs/Systeme ausgeschlossen. Auch der Zwang zum Cloud-Konto hat viele von euch bereits zum Wechsel bewegt oder zumindest bewogen. Warten wir ab, was 2025 passiert, wenn mit Windows 10 die letzte weniger restriktive Alternative aus dem eigenen Hause beerdigt wird.

Quellen

  1. https://git.xfce.org/xfce/thunar/commit/?id=4e7cec02962d0cd951d2de0125d4869079a7a817 ↩︎
  2. https://forum.xfce.org/viewtopic.php?id=7552 ↩︎
  3. https://www.gamestar.de/artikel/windows-11-22h2-explorer-tabs-guide,3384814.html ↩︎
  4. https://github.com/indiff/qttabbar ↩︎
  5. https://t3n.de/news/windows-11-update-rar-tar-7-zip-1586001/?utm_source=rss&utm_medium=feed&utm_campaign=news ↩︎
  6. https://ss64.com/nt/tar.html ↩︎
  7. https://learn.microsoft.com/de-DE/windows/package-manager/ ↩︎
  8. https://www.advancedinstaller.com/winget-missing-or-not-installed-issue-fix.html ↩︎
  9. https://winstall.app/ ↩︎
  10. https://github.com/microsoft/winget-pkgs ↩︎
  11. https://github.com/microsoft/winget-pkgs/tree/master/manifests/c/CPUID/CPU-Z ↩︎
  12. https://wiki.debian.org/Apt ↩︎
  13. https://keivan.io/the-day-appget-died/ ↩︎
  14. https://www.neowin.net/news/microsoft-gives-appget-creator-credit-for-windows-package-manager/ ↩︎
  15. https://winfuture.de/news,116184.html ↩︎
  16. https://www.heise.de/news/Die-Hoelle-friert-ein-weiteres-Stueck-zu-Microsoft-integriert-OpenSSH-in-Windows-3917695.html ↩︎
  17. https://learn.microsoft.com/de-de/windows-server/administration/openssh/openssh_overview ↩︎
  18. https://www.heise.de/select/ix/2017/12/1511829590398469 ↩︎
  19. https://www.tecchannel.de/a/windows-server-2008-server-core-einrichten,1741334 ↩︎
  20. https://learn.microsoft.com/de-de/windows-server/administration/server-core/what-is-server-core-2008 ↩︎
  21. https://learn.microsoft.com/de-de/windows-server/administration/server-core/server-core-removed-roles ↩︎
  22. https://administrator.de/forum/kleine-umfrage-windows-server-desktop-oder-core-395922.html ↩︎
  23. https://de.minitool.com/datentraegerverwaltung/verbindung-zu-exchange-online-powershell.html ↩︎
  24. https://www.sudo.ws/about/history/ ↩︎
  25. https://www.man7.org/linux/man-pages/man8/sudo.8.html ↩︎
  26. https://github.com/microsoft/sudo ↩︎
  27. https://www.heise.de/news/sudo-kommt-fuer-Windows-9622489.html ↩︎
  28. https://www.computerbase.de/2024-02/microsoft-windows-sudo-findet-seinen-weg-von-linux-nach-redmond/ ↩︎
  29. https://www.heise.de/news/sudo-nicht-fuer-den-Windows-Server-9626496.html?wt_mc=rss.red.ho.beitrag.rdf.beitrag.beitrag ↩︎
  30. https://survey.stackoverflow.co/2022/#section-most-popular-technologies-operating-system ↩︎

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