Elon Musk kauft Twitter: Mehr Meinungsfreiheit, weniger Kommerz? Was die Übernahme für Twitter bedeutet

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Elon Musk kauft Twitter: Mehr Meinungsfreiheit, weniger Kommerz? Was die Übernahme für Twitter bedeutet

Vor kurzem wurde bekannt, dass Telsa-Chef Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter kaufen möchte. Das ist nun sehr konkret: Das Unternehmen wird für rund 44 Milliarden US-Dollar den Besitzer wechseln. In diesem Beitrag schauen wir uns an, welche Pläne Musk mit Twitter hat und was das für Nutzer bedeutet.

Übernahme ist sicher: Elon Musk ist neuer Eigentümer von Twitter

Zunächst die aktuelle Lage: Musk hat seit 2009 über 17.500 Tweets geschrieben und erreicht dort fast 85 Millionen Menschen – das entspricht Platz 8 der größten Twitter-Konten. Der Tesla-CEO ist für provokante Tweets bekannt. Ein jüngeres Beispiel ist die Herausforderung von Vladimir Putin zum Boxkampf. Darüber hinaus hat er Anfang April 2022 Aktien im Wert von Milliarden des Unternehmens gekauft – bis er mit 9,2% inzwischen der größte Anteilseigner an Twitter geworden ist. Daher sollte er in das Kontrollgremium einziehen, wodurch man Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des Dienstes bekommt.

Doch es begann eine Kontroverse: Musk lehnte überraschend ab. Wahrscheinlich, weil er als Bedingung dafür nur maximal 15% der Anteile an Twitter besitzen durfte. Da er über die Gründung eines sozialen Netzwerkes nachdachte, war ihm das offensichtlich nicht genug. Twitters CEO Parag Agrawal bezeichnete die Ablehnung als „Das Beste“ – eine Kehrtwende. Denn wenige Wochen zuvor hatte der Chef des Unternehmens noch als „leidenschaftlichsten Nutzer und zugleich großer Kritiker“ betitelt und war der Ansicht, Elon Musk im Verwaltungsrat sei der beste Weg in die Zukunft. Wie es zu diesen mehrfachen Sinneswandeln kam, ist unklar. Twitters CEO publizierte zwar eine längere Erklärung, geht jedoch nicht genauer darauf ein.

Der Konzern wehrte sich zunächst gegen die feindliche Übernahme. Am Montag Abend (25.04.) deutscher Zeit hat der Verwaltungsrat von Twitter sich einstimmig dafür entschieden. Twitters Chef kommentierte die Entwicklung vorsichtig, brachte aber zum Ausdruck, dass er die Zukunft des Dienstes ungewiss sehe.

Wie geht es nun weiter?

Elon Musk hat bereits einige Vorstellungen und Pläne geäußert: Twitter soll von der Börse genommen werden. Allen Aktionären wird angeboten, ihre Aktien für jeweils 54,20 US-Dollar zu kaufen. Das sind zwar 38% mehr als am 01. April – der Tag, bevor seine großflächige Investition in Twitter bekannt wurde. Allerdings weniger als der Kurs von 60 US-Dollar, den man noch vor einem Jahr bekam. So möchte er 100% aller Aktien mithilfe einer unter Elon Musk geführten Gesellschaft aufkaufen. Damit wäre er alleiniger Eigentümer und das Unternehmen nicht mehr an der Börse.

Zwar könnten die Aktionäre das Angebot auch ausschlagen. Allerdings hat der Tesla-Chef bereits angekündigt, seine komplette Investition in diesem Falle neu zu bewerten. Zum Erstellungszeitpunkt dieses Beitrages lag der Kurs bei 51,88 US-Dollar und stieg zuletzt wieder etwas an.

Was plant Elon Musk mit dem Sozialen Netzwerk Twitter?

Ein börsennotiertes Unternehmen zu kaufen und es von der Börse zu nehmen, ist in unserem Wirtschaftssystem eher ungewöhnlich. Doch anscheinend geht es dem reichsten Mann der Welt dieses Mal gar nicht darum, sein Vermögen noch weiter zu vermehren. Sondern zusammengefasst um drei Aspekte:

Mehr Meinungsfreiheit, weniger Zensur

Ich habe in Twitter investiert, weil ich an das Potenzial des Unternehmens glaube, eine Plattform für die freie Meinungsäußerung auf der ganzen Welt zu sein, und ich glaube, dass die freie Meinungsäußerung ein gesellschaftliches Gebot für eine funktionierende Demokratie ist.

Elon Musk (Übersetzt aus dem Englischen)

Konkret beschrieb er seine Vorstellung von Meinungsfreiheit so: „Wenn jemand, den man nicht mag, etwas sagen darf, was man nicht mag“. Seine größten Kritiker sollten bei Twitter bleiben, heißt es.

Transparenz statt Black-Box Altorithmen

Elon Musk kündigte an, die Algorithmen quelloffen zu machen. Er wirft Twitter vor, durch dessen Geheimhaltung Vertrauen zu verspielen. Eine Öffnung wäre die Grundlage, damit alle außer Twitter verstehen können, warum ein Beitrag vorgeschlagen/angezeigt wird oder eben nicht. Bisher sind diese Algorithmen proprietär. Wie er funktioniert, weiß nur Twitter.

Twitter besser machen wie noch nie

Darüber hinaus ist ihm wichtig, das Vertrauen zu erhöhen und Spam zu bekämpfen. Hierbei geht es vermutlich um die vielen Betrugsversuche, in denen z.B. angeblich Bitcoins im Name von Elon Musk verschenkt wurden. Ferner sollen alle Menschen „authentifiziert“ werden. Ob das eine Klarnamenpflicht oder Ausweiskontrolle bedeutet, ist unklar. Tendenziell würde das dem Ziel der Meinungsfreiheit eher entgegen stehen.

In letzter Zeit hat Elon Musk auch immer wieder auf Twitter abgestimmt, welche Funktionen sich die Nutzer wünschen. Eine Mehrheit sprach sich etwa dafür aus, abgesendete Tweets nachträglich bearbeiten zu können.

Insgesamt soll damit das Potenzial von Twitter ausgeschöpft werden. Musk sieht Meinungsfreiheit als Grundlage einer funktionierenden Demokratie – und Twitter als Plattform, auf der wichtige Debatten geführt werden.

Ist Twitter in einem schlechten Zustand?

Die Meinungsfreiheit auf Twitter

In der Tat gibt es viel Kritik an dem Sozialen Netzwerk, vor allem was Löschungen angehen. Einiges davon scheint durchaus berechtigt. Bereits 2018 stellte die EU-Kommission fest: Betroffene erhalten zu wenig Informationen über Löschungen und können kaum Widersprechen. Zudem wurde Overblocking belegt. Das heißt: Strikte Gesetze und kurze Fristen motivieren die Unternehmen dazu, mehr Kollateralschäden in Kauf zu nehmen. Man löscht lieber mehr, statt ein mögliches Bußgeld zu riskieren. Schon vor Jahren wurde davor gewarnt, etwa bei den Uploadfiltern. Für die Meinungsfreiheit ist beides freilich schlecht.

Ein weiteres Beispiel zeigt das Problem: 2019 wurde ein satirischer Tweet zur Wahl gelöscht und den Autor gesperrt. Er klagte und bekam vom Landgericht München recht, da sein Post von der Meinungsfreiheit gedeckt war – Twitter hatte also zu unrecht gelöscht. Allerdings kümmerte sich das Gericht nicht um das gesperrte Twitter-Konto. Außerdem musste der Kläger eine 3-Stellige Summe für das Verfahren selbst bezahlen, zuzüglich Anwaltskosten. Genau das hat die EU kritisiert: Wer nicht genügend Zeit und Geld investieren kann oder möchte, kann sein Recht nicht durchsetzen.

Im selben Jahr musste sich Twitter sogar in einer privaten Debatte des Bundestags rechtfertigen: Um Wahlmanipulation zu unterbinden, wurden massig Konten gesperrt – offensichtlich willkürlich. Zahlreiche auch prominente Nutzer waren betroffen, etwa die Berliner Staatssekretärin oder Anwälte. Teils ging es um mehrere Jahre alte Tweets, die inhaltlich nicht mal etwas mit der Wahl zu tun hatte. Auch die auffällig hohe Anzahl an Meldungen deutet darauf hin, dass es sich möglicherweise um eine politische Kampagne handelt – also bewusste Falschmeldungen, um Sperren von Gegnern zu erreichen. Beweisen lässt sich das nicht. Wenn das der Fall war, hat es gut funktioniert.

Ein Fall aus dem Jahr 2020 deutet zudem darauf hin, dass nicht nur der gepostete Inhalt für eine Sperre entscheidend ist: 2020 sperrt Twitter eine Journalistin, nachdem sie sich gegen Rassismus wehrt. Andere Nutzer wiederholen den Tweet ohne Konsequenzen.

Anfang 2021 gab es neue Bestreben, damit sich Nutzer gegenüber der Willkür solcher großer Konzerne besser wehren können. Explizit soll außerdem Transparenz geschaffen werden. Denn außer dem Unternehmen selbst weiß keiner, wie viele Inhalte aus welchen Gründen gelöscht bzw. gesperrt werden. Auch der Ausmaß des Overblockings kann daher nur geschätzt werden.

Auch die EU scheint das Problem erkannt zu haben und will Transparenz in die Empfehlungsalgorithmen bringen. Für die großen Konzerne ist das ein Geschäftsgeheimnis. Bislang kann man daher nur anhand von Beobachtungen und Indizien mutmaßen, dass etwa Fotos mit nackter Haut eine höhere Reichweite auf Instagram erhalten. Oder Facebook bestimmte Stellenausschreibungen nur Männern anzeigt. Wirklich beweisen ließe sich das nur mit Transparenz. Außerdem wäre so sichtbar, welche negativen Effekte die Altorithmen darüber hinaus aufweisen, die aber bisher gar nicht bekannt sind. Meinungsfreiheit und Transparenz sind wichtig, um das zu verbessern.

Eine erste Regelung auf EU-Ebene ist das vor wenigen Tagen verabschiedete „Digitale-Dienste-Gesetz“. Es soll unter anderem Soziale Netzwerke strenger regulieren.

Wenn die Meinungsfreiheit in den Sozialen Netzwerken endet

Allerdings gibt es auch noch andere Fälle. Ex-US-Präsident Donald Trump wurde beispielsweise Anfang 2021 auf Twitter gesperrt, nachdem er Sympathie für die Stürmung des Kapitol am 06. Januar 2021 äußerte. Und das war nur die Spitze des Eisberges: Jahre zuvor fiel er mit z.B. radikalen Äußerungen sowie Aufrufen zu Gewalt auf. Regelmäßig verbreitete er zudem Falschmeldungen, auch zur Wahl.

Die Sozialen Netzwerke verhielten sich während der Amtszeit des Präsidenten jedoch nicht nur zurückhaltend, sondern änderten sogar die eigenen Regeln. Wenn Trump auf Twitter öffentlicht droht und einen politischen Skandal auslöst, darf das als „Nachrichtenwert“ stehen bleiben – obwohl der Inhalt selbst gegen Twitters Richtlinien verstößt und daher bei anderen Nutzern längst entfernt worden war.

Auch Elon Musk kritisierte damals die Sperrung seiner Konten und sagte, dass die großen Technik-Konzerne nun „de facto Richter über die Freie Meinungsäußerung sind“. Trump befürwortet daher den Verkauf von Twitter an Elon Musk. Eine Rückkehr zu Twitter schließt er dennoch aus – Trump hat seit Anfang 2022 sein eigenes Netzwerk Truth Social gegründet, ist dort bislang jedoch kaum aktiv. Er und andere Konservative kritisieren Twitters Löschungen schon öfter.

Wird Twitter mit Elon Musk besser?

Vor allem die Ankündigung, den Algorithmus transparent offen zu legen, ist ein Meilenstein. Bisher verweigern sich alle größeren Sozialen Netzwerke, auch nur ansatzweise zu informieren, wie etwa Empfehlungen zustande kommen. Wenn Elon Musk nur einen Teil seiner Versprechen erfüllt, könnte das gesellschaftlich ein großer Schritt nach vorne sein. Doch es gibt auch Kritik.

Selbst wenn Twitter dadurch besser wird, bleibt ein grundlegendes Problem: Die Macht über eine der verbreitetsten Internetplattformen befindet sich in den Händen eines einzigen Mannes. Welche gefährlichen Folgen das haben kann, ist bei Facebook bzw. Meta durch Whistleblower mittlerweile erschreckend gut belegt. Facebook wusste jahrelang über die schädlichen Auswirkungen bescheid. Der Chef Mark Zuckerberg ignorierte dies jedoch, da sich mit kontroversen Inhalten mehr Geld verdienen lässt.

Um das zugrunde liegende Problem zu lösen, reicht ein Inhaberwechsel daher meiner Meinung nach bei weitem nicht. Das lässt sich besser mit neutralen und am besten dezentralen Plattformen erreichen, die primär der Gesellschaft einen Mehrwert bieten möchten – statt den Fokus auf maximale Macht oder höchstmöglichen Profit zu legen. Eine solche Plattform muss nicht nach öffentlichem Ansehen oder Wunsch der Werbekunden zensieren – wie etwa TikToks Moderationsanweisung verdeutlicht, nach der Videos von dicken, unattraktiven oder armen Menschen versteckt werden sollen.

Auch wenn Elon Musk angibt, keine finanziellen Motive zu verfolgen: Am Ende entscheidet er, was auf Twitter gepostet werden darf und was nicht. Sollte diese Entscheidung in privater Hand liegen? Ich halte das zumindest für dis­kus­si­ons­wür­dig. Vor allem bei großen Plattformen. Durch das Anzeigen oder eben entfernen bestimmter Informationen haben diese einen nicht unerheblichen Einfluss darauf, was große Teile der Bevölkerung sehen bzw. eben nicht sehen. Zumal jederzeit das Risiko besteht, dass ein kommerzieller Dienst verkauft wird und der neue Eigentümer ganz andere Vorstellungen/Regeln hat. Dies kann – je nach Einzelfall – positiv aber auch negativ sein.

Eine mögliche Alternative ist Mastodon: Die quelloffene Software hat eine gewisse Ähnlichkeit zu Twitter, ist aber dezentral organisiert. Jede Instanz hat daher ihre eigenen Regeln. Optimiert auf den Nutzer zeigt es die Einträge chronologisch an – ohne magische Algorithmen oder Werbung, die das Ziel verfolgen, die Aufenthaltszeit zu maximieren. Verglichen mit kommerziell orientierten Sozialen Netzwerken ist Mastodon jedoch noch recht klein, sodass die Reichweite nicht vergleichbar ist.

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