Von wegen Anti Account-Sharing: So hat Netflix uns veräppelt – Vorsicht vor Zusatzmitgliedern

Als Video ansehen
Bereitgestellt über YouTube

Von wegen Anti Account-Sharing: So hat Netflix uns veräppelt – Vorsicht vor Zusatzmitgliedern

Noch 2017 schrieb Netflix selbst auf Twitter/X: „Liebe ist das Teilen eines Passworts“ und spielt damit auf Kunden an, die ihr Netflix-Konto gemeinsam mit anderen nutzen. Davon ist nicht viel übrig geblieben: Der Konzern will mehr Geld verdienen und kündigt an, gegen das Teilen mit Personen außerhalb des eigenen Haushalts vorzugehen. Viele waren betroffen, machten sich Sorgen, wie Netflix das prüfen möchte. Doch der Konzern hat uns an der Nase herum geführt: Account-Sharing ist nicht endgültig beendet. Zudem haben die offiziellen Zusatzmitglieder entscheidende Nachteile.

Was ist Account-Sharing und welche Vorteile bietet es?

Zur Einordnung beginnen wir mit einen Blick in den Kontext. Netflix bietet verschiedene Abos, die sich in der Auflösung und damit Qualität sowie der Anzahl an maximal gleichzeitig nutzbaren Geräten unterscheiden: Standard (derzeit 12,99€/Monat) erlaubt zwei gleichzeitige Streams, bei Premium (17,99€/Monat) dürfen es maximal vier sein. Um die Kosten zu reduzieren, teilen sich einige die Abo-Gebühren. Einer bucht beispielsweise Premium für 17,99€, drei andere Personen zahlen ihm regelmäßig den Anteil und nutzen das gleiche Konto.

Man spricht von Account-Sharing, also dem Teilen eines Kontos mit mehreren Personen. Somit kommt jede Person in diesem Beispiel auf nur rund 4,50€ pro Monat und kann die höchste 4K-Auflösung nutzen. Innerhalb eines Haushalts ist das offiziell erlaubt. Doch viele machen es auch darüber hinaus: Etwa mit Freunden oder Familienmitgliedern, die in ihrer eigenen Wohnung leben. Einige Zeit hat Netflix dies toleriert – das Wachstum war so stark, dass man die Krümel ignorierte bzw. duldete, um die Reichweite zu stärken. Wer den Dienst über ein geteiltes Konto nutzt, ist schließlich näher an Netflix, als jemand der ihn gar nicht verwendet.

Kein Account-Sharing mehr: Das ist seit 2021 passiert

Auf dem Schirm hat Netflix das Thema schon länger: Bereits 2019 informierte der Konzern seine Investoren, dass man nach „nutzerfreundlichen Möglichkeiten“ suche, um dagegen vorzugehen. Eigenen Untersuchungen zufolge streamen 100 Millionen Nutzer über das Konto eines anderen. Erste, scheinbar nur vereinzelte Tests mit Warnmeldungen wurden bereits 2021 bekannt. Der Streaming-Anbieter hat von der Pandemie profitiert. Als diese langsam endete, begann Netflix damit, Nägel mit Köpfen zu machen: 2022 startete eine Testphase, um das gemeinsame Teilen von Konten zu unterbinden. Anfang 2023 sollte jeder Mitnutzer entweder extra bezahlen, oder eben auf das Streaming-Angebot verzichten. Der Plan wurde verschoben und lange Zeit wurde gerätselt, wie eine Umsetzung erfolgen könnte.

Man hatte offenbar Respekt vor diesem 180 Grad Wechsel. Nicht ohne Grund, wie ein Experiment in Spanien zeigt: Dort sind 2/3 der Zuschauer Mitnutzer eines anderen Kontos. Der Konzern hat daher eine Million Nutzer verloren. Dies sind inoffizielle Zahlen, da sich Netflix aus taktischen Gründen recht bedeckt hält. Sie zeigen jedoch, wie sehr so eine Aktion nach hinten los gehen kann. Festhalten wollen sie trotzdem an ihrem Plan. Nachdem sie diesen bereits vor geraumer Zeit ihren Aktionären versprochen hatten, wäre ein Schritt zurück schwierig zu kommunizieren gewesen.

Ab Ende Mai 2023 ging es auch in Deutschland los: Da hat Netflix eine E-Mail an die Kontoinhaber gesendet, von denen sie denkt, dass sie ihr Konto mit anderen Personen außerhalb des Haushalts teilen. Sie informiert, das Teilen sei nur für Personen innerhalb des gleichen Haushalts vorgesehen. Sollte jemand von Außerhalb dabei sein, muss eine zusätzliche Mitgliedschaft für 4,99€ monatlichen Aufpreis gebucht werden. Oder die Person legt sich ein eigenes Abo an. Hierfür wurde eine Funktion eingebaut, um Profile auf ein neues Konto übertragen zu können. Konsequenzen oder gar Drohungen enthält sie nicht. Die Nachricht erweckt den Eindruck, als ob Netflix seine Konditionen verändert hat und der Nutzer soll bitte prüfen, ob er handeln muss.

Viele Einschränkungen: Die Zusatzmitglieder sind das trojanische Pferd

Möchte man Netflix weiterhin gemeinsam nutzen, muss man dazu zahlen – klingt auf den ersten Blick zumindest halbwegs fair. Allerdings besitzt selbst dieser offizielle Weg starke Einschränkungen: Erst ab Standard (am zweitteuersten für 12,99€/Monat) ist es überhaupt möglich und erlaubt nur ein zusätzliches Mitglied. Du hast dein Konto mit zwei Personen geteilt? Dann ist doppelter Aufpreis fällig: Selbst beim größten Abo für 17,99€/Monat sind es maximal zwei Zusatzmitglieder. Hier werden statt 17,99€ dann zusätzlich 2 * 4,99€ und somit insgesamt 27,97€ fällig. Bei mehr als zwei Personen sind weitere Konten notwendig. Jedes Zusatzmitglied besitzt zudem nur ein einziges Gerät, auf dem man die Inhalte parallel nutzen kann. Herunterladen ist generell nur auf einem Smartphone/Tablet möglich, nur ein Profil lässt sich anlegen. Es ist damit fast nur für Einzelpersonen sinnvoll nutzbar. Kurzum: Es wird in jedem Fall teurer, für manche zusätzlich eingeschränkter/komplizierter.

Wer als Single ein eigenes Abo bucht, hat ohne Account-Sharing weiterhin ein schlechtes Angebot: Die Pakete bündeln nach wie vor Bildqualität mit der Anzahl an gleichzeitigen Geräten. Für Full-HD (seit Jahren Standard) zahlen sie den Aufpreis eines zweiten parallelen Geräts mit. Wer 4k möchte, muss sogar 4 Geräte mitbezahlen – obwohl er nur eines nutzen möchte. Durch ein geteiltes Konto konnte man im besten Falle 4k Inhalte auf bis zu 4 Personen aufteilen und jeder zahlte mit 4,50€/Monat einen Preis, den viele sicherlich als Fair einstufen würden.

Wie verhindert und sanktioniert Netflix Account-Sharing?

Aber es wird noch interessanter. Über Monate wurde viel gemutmaßt, wie Netflix das Verbot in der Praxis kontrollieren und umsetzen möchte – ohne treue zahlende Kundschaft groß zu ärgern. Im Januar 2023 tauchte eine englischsprachige Netflix Hilfeseite auf: Nach spätestens 31 Tagen muss sich jedes Gerät am Netzwerk (meist WLAN) des Hauptstandortes anmelden und einen Inhalt streamen, sonst wird es gesperrt. Aufgehoben werden kann die Sperre für 7 Tage mit einem per E-Mail an den Kontoinhaber gesendeten Code. Eine offizielle Ankündigung gab es nicht. Als Medien auf die Hilfeseite aufmerksam wurden, setzte sie Netflix kommentarlos auf die alte Fassung ohne diese Einschränkungen zurück. Seit dem gab es keinerlei Informationen, wie geteilte Konten sanktioniert werden sollen.

Daher fragte Golem im Juni 2023 nach, die überraschende Antwort: Gar nicht. Es folgt keine Kündigung des Kontos oder „irgendeine sonstig geartete Form von Konsequenzen“. Kann man also einfach weitermachen wie bisher? Nachdem Netflix über Jahre daraus ein großes Thema gemacht hat und immer wieder betonte, bald etwas dagegen zu unternehmen?

Ehrliche Zusatzmitglieder werden am meisten gegängelt

Wer sich dem nächsten Netflix Preisaufschlag durch Zusatzmitglieder beugt, bekommt einen weiteren Teil der Wahrheit zu spüren, die ebenfalls nicht groß angekündigt wurde: Für ein offizielles Konto mit mehreren Haushalten muss der Kontoinhaber zuerst einen Hauptstandort festlegen. Ab diesem Zeitpunkt werden Zugriffe außerhalb dieses Standortes jedoch verweigert! Diese Einschränkung ist neu und betrifft klassische Einzelkonten nicht. Mobile Geräte im Mobilfunknetz oder an Hotspots sind davon ausgenommen. Wer mit dem Handy unterwegs schaut, bekommt also kein Problem.

Laptop/Tablet bei dem Partner, der Partnerin, den Eltern usw. hingegen schon: Hier scheint Netflix die 1-Monatsregel übernommen zu haben, allerdings noch etwas komplizierter: Man muss dafür ein Mobilgerät (Smartphone/Tablet) am Hauptwohnsitz im Netzwerk anmelden. Geräte an anderen Orten lassen sich für einen Monat freischalten, wenn dieses Mobilgerät mitgeführt wird und sich im gleichen Netz befindet, wie das andere Gerät, auf dem man konsumieren möchte (Fernseher, PC, Laptop usw).

…und das mit Erfolg

Man könnte meinen, dass Netflix damit den nächsten Schiffbruch erleidet. Tatsächlich erfüllt der Streaming-Anbieter die Erwartungen der Finanzmärkte nicht ganz und kündigt daher an, noch mehr für stärkeres Wachstum tun zu wollen. Aber die Kundenbilanz ist erstaunlich positiv: Netflix gewann innerhalb von Monaten satte 5,9 Millionen neue Kunden hinzu, etwa 3x so viel, wie prognostiziert. Offensichtlich haben Monatelange Drohungen, dass bald etwas unternommen wird zusammen mit einer subtilen E-Mail ausgereicht, damit einige Menschen freiwillig mehr bezahlen. Für die gibt es obendrein noch neue Schutzmaßnahmen.

Wirklichen Gegenwind gab es kaum. Zwar kam es kürzlich zu einer Abmahnung durch den Bundesverband der Verbraucherzentralen. Hierbei ging es jedoch lediglich um die nicht legale Beschriftung des Knopfes, womit man eine Zusatzmitgliedschaft bucht: Zusatzmitglied starten war unzulässig, weil es zum Schutz der Verbraucher seit einiger Zeit verpflichtend ist, bei kostenpflichtigen Aktionen klar darauf hinzuweisen. Schon Zahlungspflichtige Zusatzmitgliedschaft bestellen wäre ausreichend, um dieses Problem aus der Welt zu schaffen.

Fazit: Netflix hat euch erfolgreich veräppelt

Das kann man zum aktuellen Zeitpunkt recht klar sagen, denn gegen das bisher gängige Account-Sharing hat Netflix nicht nur nichts unternommen. Es ist sogar attraktiver als vorher, da es im Gegensatz zur neuen Zusatzmitgliedschaft weder Aufpreis kostet, noch zusätzliche Einschränkungen beinhaltet. Vom Marketing her ist das clever: Gutgläubige Menschen zahlen drauf, während unwillige mangels Einschränkungen nicht zur Kündigung motiviert werden.

Die nächste Idee zur Steigerung des Umsatzes von Netflix ist bereits in Arbeit: Man möchte Zusatzmitglieder auf Dauer in eigene Abonnenten umwandeln, welche den vollen (also höheren) Preis bezahlen. Das erklärt auch die zuvor genannten Einschränkungen. Das günstigste kostenpflichtige Abonnement soll außerdem verteuert werden. Entweder zahlt man selbst mehr, oder der Konzern profitiert indirekt durch die Erlöse eures Werbekonsums. Ich bin gespannt, ob es Netflix hier auch gelinkt, genügend Menschen durch geschickte Kommunikation in die gewünschte Richtung zu lenken.

Weitere Quellen/Informationen

  • 10.02.2023 Account-Sharing: Kanadische Netflix-Abonnenten ziehen reihenweise die Reißleine
    https://www.gamestar.de/artikel/account-sharing-kanadische-netflix-ziehen-reissleine,3389789.html
  • 02.06.2023 Kostenpflichtiges Account-Sharing: Netflix Plan könnte schieflaufen
    https://www.pcgameshardware.de/Streaming-Dienst-Thema-268201/News/Netflix-Konto-Sharing-1421105/
  • 03.06.2023 Netflix könnte wegen Account-Sharing-Gebühr Millionen von Kunden verlieren
    https://www.derstandard.at/story/3000000173074/netflix-koennte-wegen-account-sharing-gebuehr-millionen-von-kunden-verlieren?ref=rss
  • 10.06.2023 Netflix USA: Maßnahmen gegen Account-Sharing lassen Abozahlen steigen
    https://www.computerbase.de/2023-06/netflix-usa-massnahmen-gegen-account-sharing-lassen-abozahlen-steigen/
  • 20.07.2023 Nach Aus für Passwort-Sharing: Netflix mit Schub bei Abo-Zahlen
    https://t3n.de/news/vorgehen-trittbrettfahrer-netflix-abo-zahlen-1565438/?utm_source=rss&utm_medium=feed&utm_campaign=news

Leave a Reply