Reggaeton Be Gone: Raspberry Pi schaltet nervige Nachbarn mit KI stumm

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Reggaeton Be Gone: Raspberry Pi schaltet nervige Nachbarn mit KI stumm

Durch die Verbreitung des Raspberry Pi gibt es mittlerweile eine Vielzahl an Projekten unterschiedlichster Art. Einige sind interessant, nützlich oder innovativ. Manchmal sind auch Mischungen zwischen interessant bis verrückt dabei. In diese Kategorie gehört aus meiner Sicht „Reggaeton Be Gone“. Es stammt von einem argentinischen Entwickler, der es als Notwehr gegen seinen Nachbarn betrachtet. Besagter Nachbar hört gerne jeden Morgen um 9 Uhr laute Reggaeton-Musik.1 Daran störte er sich, warum genau ist unklar. Als Entwickler kann man nur Mutmaßen, dass er von zuhause aus arbeitet und ihn dies dabei störte.

Die Lösung: Raspberry Pi & KI

Als Betroffener könnte man nun beim Nachbarn klingeln, ihm das Problem schildern und gemeinsam nach einer Lösung suchen – etwa die Musik leiser zu hören, die Verwendung von Kopfhörern oder sich auf eine andere Zeit einigen, bei der es weniger stört. Es gäbe sicherlich eine ganze Reihe an Kompromissen, mit denen beide Seiten leben können. Stattdessen entschied er sich jedoch, einen Störsender zu bauen. Dieser soll das Bluetooth-Signal des vom Nachbarn verwendeten Lautsprechers im besten Falle zu deaktivieren – oder immerhin ihn derart zu stören, dass er wegen des schlechten Tons freiwillig abgeschaltet wird.

Das soll nicht händisch geschehen, sondern automatisch – passend zum aktuellen Hype mit Künstlicher Intelligenz. Aus Technischer Sicht steckt maschinelles Lernen dahinter: Er hat ein neuronales Netz auf den Klang von Reaggae-Musik trainiert. Über ein Mikrofon soll es die Musik des Nachbarn erkennen und seinen Bluetooth-Lautsprecher stören, wenn Reggaeton mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erkannt wird. Das selbst trainieren war notwendig, da es zwar Modelle zur Klassifizierung von bestimmten Genres wie Hip-Hop oder Rock gibt und auch Reggaeton ist vertreten. Für Reggaeton gab es allerdings bislang noch keines.

Ein komplettes Gerät entsteht

All dies wurde nicht nur als Testumgebung aufgebaut. Sondern er hat den Raspberry Pi in ein Gehäuse eingebaut, inklusive 128×32 OLED-Bildschirm, der per I2C angesteuert wird. Beim Drücken des Knopfes rechts analysiert sein ML-Modell die vom USB-Mikrofon erfassten Klänge und gibt einen Prozentwert zur Erkennungsrate aus.

Er demonstriert dies in einem horizontalen Video.2 Bei der Hardware kommt ein betagterer Raspberry Pi 3 B zum Einsatz.3 Dennoch scheint es sich um lokale Software zu handeln, die keine externen Dienste benötigt. Das demonstriert einmal mehr, was ich u.a. bereits in meiner Kaufberatung zu Raspberry Pis & Mini-PCs erwähnt habe: Es muss nicht zwingend für jedes Projekt der aktuellste Raspberry Pi sein. Zur Audio-Analyse hat ein 2016 erschienenes deutlich älteres Modell offensichtlich völlig ausgereicht.

Die verwendete Hardware findet sich in seinem Beitrag. Dort beschreibt er zwar grob die eingesetzte Software und liefert Befehle zur Paketinstallation, der Python-Code befindet sich auf GitHub.4 Vollständig quelloffen zum Nachbau ist sein Projekt jedoch nicht: Das von ihm trainierte Sprachmodell fehlt. Möglicherweise dürfte das seine Gründe haben. In Deutschland und ganz Europa ist das Betreiben von Störsendern verboten.5 Bei Sprachmodellen entsteht zudem schnell eine Urheberrechtsproblematik.

Menschliche und Technische Probleme

Ich sehe dieses Projekt von zwei Seiten: Zum einen ist es interessant, wie anscheinend mit relativ wenig Aufwand ein Modell mit maschinellem Lernen auf die Erkennung bestimmter Genres trainiert werden kann. Das ist ein recht neuer Bereich, in dem ich bisher wenig gesehen und noch gar nichts gemacht habe. Wenngleich das Projekt nicht vollständig quelloffen ist, finde ich es gut, dass er zumindest Teile davon inklusive seinem vorgehen transparent macht.

Den Zweck des ganzen finde ich allerdings daneben. Warum schildert man dem Nachbar nicht das Problem und sucht gemeinsam nach einer Lösung? Das hat er offensichtlich nicht getan, nachdem er das selbst als Alternative auflistet. Derartige Spielereien sind kein vernünftiger Umgang miteinander. Man stelle sich vor, der Nachbar merkt das und fängt an, auf dem selben Niveau z.B. das WLAN zu stören. Würde er sicherlich auf dieser Seite uncool finden. Vor allem, wenn man gar nicht weiß, dass ein bestimmtes Verhalten den Nachbar ärgert und der damit Rache übt.

Wirklich gelöst oder eher nur erschlagen?

Für mich ist das ein Paradebeispiel, wie ein menschliches Problem mit Technik vermeintlich gelöst wird. Oder eher erschlagen, wirklich gelöst ist es ja nicht. Der Nachbar muss bloß seinen Lautsprecher an eine andere Wand stellen oder Musik per Kabel einspielen, schon wird der Störsender seine Wirkung verfehlen. Fängt der andere darauf hin an, einen stärkeren Störsender zu bauen, freuen sich andere Nachbarn… Solche vermeintlichen technischen Lösungen gibt es an anderer Stelle auch: Eltern installieren z.B. irgendwelche Jugendschutzsoftware, um den Kindern keine Medienkompetenz beibringen zu müssen.6 Führt dann halt dazu, dass die es nie vernünftig lernen bzw. irgendwann auf die harte Tour. Als Kollateralschaden filtern die Filter entweder nicht alle schädlichen Inhalte weg, oder zu viele. Auflärungsseiten über sexuell übertragbare Krankheiten und andere Hilfsangebote werden u.a. weggeblockt, weil sie fälschlicherweise als Pornografie klassifiziert wurde7 – super.

Mein Appell an der Stelle ist daher: Baut so was und vergleichbare Dinge nicht, um irgendwem einen Denkzettel für etwas zu verpassen. Sondern verhaltet euch wie vernünftige Menschen, außer ihr wollt asozial sein. Das solltet ihr nicht wollen: Die mit Abstand große Mehrheit der anderen Menschen steht nicht morgens mit dem Tagesziel auf, euch maximal zu ärgern. Geben tut es solche natürlich schon gelegentlich mal. Wenn ihr nicht mit ihnen redet, werdet ihr nie erfahren, ob euer Problem in einem netten 10 Minuten Gespräch hätte geklärt werden können. Außerdem vergesst nicht: Eines Tages braucht ihr vielleicht mal in irgend einer Form die Unterstützung eures Nachbarn. Wenn ihr den davor fleißig geärgert habt, wird der euch dann auch den Mittelfinger zeigen. Loose-Losse für alle…

Quellen

  1. https://mirabesque.de/lexikon/reggaeton ↩︎
  2. https://www.tiktok.com/@ronibandini/video/7338068473869847813 ↩︎
  3. https://www.hackster.io/roni-bandini/reggaeton-be-gone-e5b6e2 ↩︎
  4. https://github.com/ronibandini/reggaetonBeGone ↩︎
  5. https://www.bundesnetzagentur.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/160624_Stoersender.html ↩︎
  6. https://netzpolitik.org/2024/kommentar-fuenf-forderungen-fuer-gute-jugendschutz-filter/ ↩︎
  7. https://netzpolitik.org/2024/verhuetung-erst-ab-18-deutschlands-wichtigster-jugendschutz-filter-blockiert-hilfsangebote#netzpolitik-pw ↩︎

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