3 Gründe, warum es zum großen Raspberry Pi Mangel kam

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3 Gründe, warum es zum großen Raspberry Pi Mangel kam

Das hatte es in über 10 Jahren Raspberry Pi noch nie gegeben: Lange Zeit war der Raspberry Pi nur und zu extrem hohen Preisen lieferbar – wenn überhaupt. Viele Bastler suchten angesichts leerer Shops verzweifelt nach Alternativen, die dem Ansturm nicht gewachsen waren. Wie konnte das passieren? Nicht nur die Pandemie und ihre Folgen sind dafür verantwortlich, es gibt zwei weitere Gründe.

Die einmalige Raspberry Pi Krise

Der Raspberry Pi erfreut sich als günstiger universeller Einplatinencomputer seit seiner Markteinführung 2012 großer Beliebtheit – bis Februar 2022 wurden über 45 Millionen Einheiten verkauft.1 Das entspricht im Durchschnitt stolzen 3,75 Millionen Geräten jährlich oder über 312.000 pro Monat. Es könnten wohl noch mehr sein, wenn nicht die Raspberry Pi Krise gekommen wäre: Ab etwa Oktober 2021 sind viele Shops ausverkauft, andere geben Lieferzeiten im Bereich mehrerer Wochen an. Die Preise steigen von ehemals ca. 56 – 59€ für den Raspberry Pi 4 mit 4 GB RAM auf zunächst 70€, später werden sie sogar dreistellig.

Ein Jahr später spitzt sich die Lage noch weiter zu: Für den gleichen Raspberry Pi 4 (4 GB) müssen nun mindestens 143€ bezahlt werden. Selbst das kleinere 2 GB Modell ist mit 129€ extrem teuer. Die Shops erhielten nur vereinzelt kleinere Lieferungen, meist im Bereich mehrerer zehn bis hundert Stück. Es sollte noch viele Monate so weiter gehen. Erst im Juli 2023 entspannt sich die Lage: Die Preise sinken drastisch. Am Ende sind sie zwar teurer als vor der Krise. Dennoch weit von den Mondpreisen während der Knappheit entfernt. Außerdem sind nicht mehr alle Shops flächendeckend ausverkauft – langsam aber sicher füllen sich die Lager erstmals seit langem wieder.

Warum gab es ca. 2 Jahre lang kaum Raspberry Pis?

Hauptursache dürfte die Pandemie mit ihren Folgen sein. Nicht nur stieg die Nachfrage nach Raspberry Pis von verschiedenen Seiten: Bastler hatten im Lockdown viel Zeit, um sich Projekten zu widmen. Unternehmen sahen im RPI günstige, sichere Thin-Clients. Die Nachfrage nach diversen Elektronikgeräten ging in die Höhe: Laptops für Heimarbeit, zum surfen, Fernseher, PCs, Konsolen usw.2

Der Halbleitermarkt konnte diesen ungeplant hohen Bedarf nicht bedienen und es kam zu langen Lieferzeiten. Neben dem Raspberry Pi und dem generellen Elektronik-Markt betraf dies zudem weitere Branchen. Schließlich stecken Halbleiter in zahlreichen weiteren Produkten, beispielsweise Autos. Durch den Trend, alles irgendwie smart zu machen, kommen selbst einige Haushaltsgeräte nicht ohne Mikrochips aus. Goldman Sachs sah 169 Branchen vom Chipmangel betroffen. Darüber hinaus musste die Produktionsmenge sogar gedrosselt werden, weil einige Fabriken durch Unwetter und Naturkatastrophen beschädigt wurden.3

Die Lage war teilweise so verzweifelt, dass wilde Gerüchte in Umlauf kamen. So wurde beispielsweise behauptet, ein Landmaschinenhersteller würde große Mengen an Haushaltsgeräten kaufen. Deren Chips sollen ausgebaut, umprogrammiert und in die eigenen Maschinen verbaut werden.4 Derartige Theorien zu heutiger proprietärer Technologie kamen sicher von keinem, der sich damit auskennt. Wahr ist jedoch, dass man teils ausverkaufte Komponenten gegen lieferbare Alternativen austauschte. Einige Unternehmen hätten mehr Geld verdienen können, wenn sie nicht durch Lieferengpässe ausgebremst worden wären.

Nicht nur Chipkrise: Unternehmenskunden werden bevorzugt

Doch es gibt noch einen weiteren Grund, warum selbst 500.000 produzierte Raspberry Pis pro Monat im April 2022 längst nicht ausreichten, um die Nachfrage zu sättigen: Industriekunden. Durch die hohe Nachfrage bei zeitgleichen Lieferengpässe sind größere Auftragsrückstände entstanden. Sie sind vor allem bei Unternehmenskunden zu suchen:

Obwohl wir über einen beträchtlichen Auftragsbestand von kommerziellen Kunden verfügen, gehen wir davon aus, dass wir den Anteil unserer Produktion, den wir im nächsten Jahr für Einzelverkäufe verwenden, schrittweise erhöhen werden, bis wir wieder die Situation vor der Pandemie erreicht haben. Die Chip-Zuteilungen, die wir für das nächste Jahr erhalten haben, bedeuten, dass der Vertriebskanal bis zum Ende des dritten Quartals sein Gleichgewichtsniveau erreicht haben wird, mit Hunderttausenden von Einheiten, die jederzeit verfügbar sind. Zu diesem Zeitpunkt werden wir etwas mehr als zwei Jahre mit niedrigen Lagerbeständen verbracht haben: Ein Maß für die Schwere und Dauer der Knappheit.

Eben Upton, Raspberry Pi Gründer (Dezember 2022, Übersetzt)

Lediglich ein Teil der produzierten Raspberry Pis wird an (private) Endkunden ausgeliefert. Die Raspberry Pi Ltd. räumt den gewerblichen Kunden Priorität ein, da sie aus ihrer Sicht wichtiger sind: An einem auf dem RPI aufbauenden Geschäftsmodell können Existenzen hängen – während verschobene Bastelprojekte wohl ärgerlich, jedoch wohl weniger gefährdend sein dürften.5

Im Moment halten wir es für richtig, den kommerziellen und industriellen Kunden Priorität einzuräumen – also den Menschen, die Raspberry Pis für ihre Geschäfte benötigen – denn wir sind uns bewusst, dass die Lebensgrundlage dieser Menschen auf dem Spiel steht. Derzeit gibt es genügend Angebote, um den Bedarf dieser Kunden zu decken. […]
Leider geht dies auf Kosten eines eingeschränkten Angebots für Einzelkunden, die vielleicht nur eine kleine Anzahl für Heimprojekte oder Prototypen kaufen möchten.

Eben Upton, Raspberry Pi Gründer (April 2022, Übersetzt)

Der Raspberry Pi ist längst mehr als ein universeller Bastelcomputer

Diese Argumentation wird nachvollziehbar, wenn man versteht, dass der Raspberry Pi längst nicht mehr nur ein Spielzeug für Nerds ist. Er hat sich als Standard-Plattform für verschiedenste Produkte etabliert: Industriecomputer67, Hutschienen-Module zur Energiemessung8, Sensoren9, Anzeigen10, 3D-Drucker11, Roboter12 und Spielautomaten13 sind nur ein Bruchteil der Hersteller, die sich als Raspberry Pi Nutzer outen14. Dazu kommt die Dunkelziffer von Unternehmen, welche über ihre eingesetzte Hardware lieber schweigen. Bauen Nutzer die Geräte auseinander, kommen immer wieder Raspberry Pis zum Vorschein. Beispielsweise nutzt ein Hersteller für Gateways im Internet der Dinge (IoT) einen Raspberry Pi 2.1516

Mittlerweile spricht die Raspberry Pi Ltd. industrielle Kunden gezielt an.17 Und bietet neben der universellen Eignung des RPI die Langlebigkeit sowie Zuverlässigkeit, welche man sich als Unternehmen wünscht. Dazu gehören beispielsweise klare Produktzyklen. In den Spezifikationen des Raspberry Pi 5 versichert man, ihn bis mindestens 2036 herzustellen – das sind über 12 Jahre ab Marktstart.18 Bei den Vorgängermodellen hat Eben Upton bewiesen, dass sie dieses Versprechen auch einhalten. Selbst ältere Modelle wie der 2015 erschienene Raspberry Pi 2B werden weiterhin produziert, bis mindestens 2026 ist dies garantiert.19 Wer einen RPI verbaut – wie etwa BAB in ihren IoT-Gateways – muss keine Sorge haben, dass ihm die Grundlage für das eigene Produkt plötzlich wegfällt.

Welche Dimensionen das angenommen hat, lassen Zahlen aus dem Jahr 2020 erahnen: Mehr als die Hälfte der damals pro Jahr produzierten 7 Millionen Einheiten wurden an Industriekunden geliefert.20

Wie ist das möglich, wenn der RPI doch gemeinnützig ist?

Zunächst ist es wichtig zu verstehen, wie die Organisation aufgebaut ist. Oder besser gesagt die Organisationen: Die Raspberry Pi Foundation ist gemeinnützig und verfolgt das Ziel, wofür der Einplatinencomputer gegründet wurde – nämlich Kindern sowie Jugendlichen das Programmieren bei zu bringen21. Sie ist in Großbritannien als gemeinnützig anerkannt.22 Vergleichbar sind in Deutschland Stiftungen, die gemeinnützig handeln. Ein jährlicher Bericht informiert auf über 70 Seiten darüber, was im vergangenen Jahr erreicht wurde und welche Ziele für das Kommende anstehen.23

Finanziert wird sie durch Spenden, ein erheblicher Teil davon stammt von der Raspberry Pi Ltd (Limited), die bis 2021 Raspberry Pi (Trading) Ltd. hieß.24 Auch sie ist in Cambridge (England) zuhause, jedoch als kommerzielles Unternehmen.25 Sie gehört zur Stiftung und spendet ihr einen erheblichen Teil des Gewinns.

Die Limited kümmert sich um das offizielle Ökosystem bestehend aus Hardware und Software: Entwicklung des Raspberry Pi, Bestellung beim Auftragsfertiger Sony, Vertrieb sowie Weiterentwicklung des Raspberry Pi OS mit allen dazugehörigen Programmen (beispielsweise raspi-config).26 Das Unternehmen ist unter raspberrypi.com (com = commercial, kommerziell) erreichbar, während die Organisation ihre Arbeit unter raspberrypi.org (organisation) präsentiert.

Durch diese Organisationsstruktur kann die Limited kommerziell orientiert arbeiten und Fremdkapital sammeln.27 Sie zahlt ihren Mitarbeitern und vor allem Führungskräften ordentliche Gehälter im 6-Stelligen Bereich. Bei der Handelssparte handelt es sich um ein Wirtschaftsunternehmen, welches Profite und Wachstum erzielen möchte.

Auch andere wollen mit dem Raspberry Pi Geld verdienen

Wo ein Trog ist, dort sammeln sich die Schweine. Ein Marktwert von teils über Faktor 3 innerhalb von Monaten zieht daher Menschen an, die mit dem Raspberry Pi wenig zu tun haben – allerdings an lukrativen Geschäften interessiert sind. Hierbei kommt ihnen zu gute, dass der Preis des RPI nicht dem freien Markt unterworfen ist:

[…] Für alle, die einen Raspberry Pi für Hobbyprojekte oder Prototypen kaufen möchten, gilt nach wie vor der Ratschlag, den wir im April gegeben haben: Kaufen Sie immer bei einem zugelassenen Wiederverkäufer (sie haben einen Vertrag mit uns, um nicht mehr als den UVP zu verkaufen); […]

Eben Upton (Dezember 2022, Übersetzt)

Das soll den Preis begrenzen. Führte allerdings dazu, dass Wiederverkäufer so viele RPIs wie möglich zur UVP bei offiziellen Shops kauften. Nur um diese mit Gewinn weiter zu verkaufen. Das doppelte der UVP war lange Zeit üblich und trotz Versandkosten sowie Einstellgebühren eine lukrative Einnahmequelle mit wenig Arbeit. Die Beschränkungen seitens der Raspberry Pi Ltd. sind hier allerdings nicht schuld: Ohne sie würden auch die offiziellen Händler den Marktpreis verlangen, statt der deutlich niedrigeren UVP.

Die Ursache liegt in unserem Wirtschaftssystem, bei dem der Wert eines Produktes nicht von seinem Mehrwert, gesellschaftlichen Nutzen oder anderen damit zusammen hängenden Faktoren abhängt. Sondern davon, wie viel Käufer bereit sind zu bezahlen.28 Limitierte Produkte ermöglichen dabei am meisten Profit. Es gibt daher beispielsweise auch Wiederverkäufer, die sich auf Sneaker spezialisiert haben: Seltene Modelle werden gekauft und sobald sie nicht mehr verfügbar sind für ein vielfaches des Einkaufspreises wieder verkauft. Damit lassen sich bis zu fünfstellige Umsätze pro Monat erzielen.29 Ein Insider berichtet, dass er ein Nike-Modell für 160€ gekauft und für 950€ verkauft hat.30

Manche verdienen durch taktischen An- und Verkauf https://www.youtube.com/watch?v=GQuoVYuQpK4

Fazit: Es ist schwierig

Als Privatperson mag es sauer aufstoßen, dass die Kommerzialisierung entscheidend mitverantwortlich für die lange Durststrecke war. Eben so wie die damit einhergehende Bevorzugung industrieller Kunden gegenüber den Privaten, die ihn groß gemacht haben. Man macht es sich allerdings zu einfach, den Raspberry Pi damit als rein kommerzielles Projekt auf dem Niveau von Microsoft und anderen Konzernen zu verteufeln. Ihr Argument ist nachvollziehbar. Vor allem bei kleineren Unternehmen, die bei länger ausbleibenden Lieferungen schließen müssen. Laut Aussagen von Entwicklern/Moderatoren arbeiten sie auch mit diesen zusammen.31

Nicht völlig von der Hand weisen lässt sich ein anderer Vorwurf: Die ursprünglichen Ziele würden verloren gehen. Der Raspberry Pi sei schließlich entworfen worden, damit Jugendliche wieder Programmieren lernen – statt Industriekunden zu versorgen.32 Das ist korrekt, lässt jedoch unser kapitalistisches Wirtschaftssystem außer Acht. Die idyllische Vorstellung eines komplett altruistischen Raspberry Pi scheint darin unrealistisch. Schlussendlich kann das niemand von Eben Upton verlangen. Es ist seine Idee und er hat das Recht, damit Gewinn zu erwirtschaften – wie jedes andere Unternehmen grundsätzlich auch.

Unter diesen Umständen hat der Raspberry Pi durchaus vieles erreicht. Wem die Entwicklung dennoch missfallen sollte, kann inzwischen für einige Anwendungsfälle aus Alternativen wählen. Im X86-Bereich hat sich in den letzten Jahren beispielsweise einiges getan – wer kein GPIO benötigt, fährt damit ggf. sogar besser.

Quellen

  1. https://www.raspberrypi.com/news/happy-birthday-to-us-3/ ↩︎
  2. https://www.ihk.de/rhein-neckar/international/export-import/einfuhr/rohstoffknappheit-5218724 ↩︎
  3. https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/elektronik/chipmangel-wie-die-krise-wirklich-entstanden-ist-und-was-jetzt-hilft/ ↩︎
  4. https://www.agrarheute.com/technik/traktoren/geruechtekueche-fahren-claas-traktoren-bald-kuehlschrankchips-587263 ↩︎
  5. https://www.raspberrypi.com/news/production-and-supply-chain-update/ ↩︎
  6. https://zeus-automation.org/ ↩︎
  7. https://www.edatec.cn/en/elpc/ipc3020.html ↩︎
  8. https://revolutionpi.com/en/revpi-flat-s ↩︎
  9. https://sferalabs.cc/product/exo-sense-pi/ ↩︎
  10. https://dochadzkovy.system-is.com/dotykovy-dochadzkovy-terminal-stlone ↩︎
  11. https://www.fusion3design.com/fusion3-edge-3d-printer/ ↩︎
  12. https://www.hg-fly.com/ ↩︎
  13. https://bandainamco-am.com/Ecommerce/product/jb01-20500-00/jukebox-bowl-o-rama-game ↩︎
  14. https://www.raspberrypi.com/for-industry/powered-by/product-catalogue/ ↩︎
  15. https://haus-automatisierung.com/whatsinside/2023/07/14/whats-inside-babtechnologie-appmodule-knx-10495.html ↩︎
  16. https://bab-technologie.com/ ↩︎
  17. https://www.raspberrypi.com/for-industry/ ↩︎
  18. https://datasheets.raspberrypi.com/rpi5/raspberry-pi-5-product-brief.pdf ↩︎
  19. https://pi3g.com/should-industrial-customers-worry-will-pi-5-replace-the-pi-4/ ↩︎
  20. https://www.theregister.com/2020/10/19/pi_compute_module_4/ ↩︎
  21. https://www.raspberrypi.org/about/ ↩︎
  22. https://register-of-charities.charitycommission.gov.uk/charity-search/-/charity-details/5002372/accounts-and-annual-returns ↩︎
  23. https://static.raspberrypi.org/files/about/RaspberryPiFoundationAnnualReview2022.pdf ↩︎
  24. https://www.raspberrypi.com/about/ ↩︎
  25. https://find-and-update.company-information.service.gov.uk/company/08207441 ↩︎
  26. https://www.raspberrypi.org/contact/ ↩︎
  27. https://www.heise.de/news/Raspberry-Pi-Foundation-erhaelt-Finanzspritze-von-45-Millionen-US-Dollar-6197357.html ↩︎
  28. https://www.history-voices.de/news/kapitalismus/ ↩︎
  29. https://www.everysize.com/mag/sneaker-lexikon/sneaker-reseller/ ↩︎
  30. https://www.wiwo.de/finanzen/geldanlage/trend-reselling-so-wollen-jugendliche-mit-schuhen-reich-werden/29612470.html ↩︎
  31. https://forums.raspberrypi.com/viewtopic.php?p=2048164#p2048164 ↩︎
  32. https://forums.raspberrypi.com/viewtopic.php?p=2045241#p2045241 ↩︎

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