Die große Koalition bestehend aus CDU/CSU sowie SDP hat am gestrigen Freitag die Wiedereinführung der äußerst umstrittenen Vorratsdatenspeicherung im Bundestag beschlossen. Dass diese bis heute nachweislich keinen Nutzen dafür aber eine massive Verletzung der Grundrechte sowie Privatsphäre der Bürger bedeutet, hat sie dabei wenig gestört: Die massive Kritik seitens der Oppositionsparteien blieb eben so ungehört wie die von Bürger- sowie Menschenrechtsorganisationen. Diese haben daher bereits mit Klagen gegen das Gesetz gedroht.
Aus aktuellem Anlass wollen wir daher im Folgenden über Mythen und Fakten zu diesem Thema aufklären.
Was ist die Vorratsdatenspeicherung?
Wie der Name bereits vermuten lässt, werden Daten auf Vorrat gespeichert – Also ohne konkreten Verdacht für den Fall, dass man sie brauchen könnte. Mit anderen Worten: Alle Bürger werden Überwacht und damit unter Generalverdacht gestellt. Jeder wird als potenzieller Verbrecher angesehen, bis sich durch Nicht-Nutzung der Daten seine Unschuld herausgestellt hat. Nur zur Erinnerung: Eines der wichtigsten Grundprinzipien in einem Rechtsstaat ist die Unschuldsvermutung. Das bedeutet: Jeder ist als Unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem fairen Gerichtsverfahren unter Beachtung geltenden Rechts bewiesen ist. Genau dies wird durch die Vorratsdatenspeicherung zu einem erheblichen Teil außer Kraft gesetzt.
Was genau wird gespeichert und wie lange?
Das Gesetz zielt auf Verbindungsdaten ab – Also wer wann mit wem kommuniziert hat. Diese auch häufig als Metadaten bezeichneten Informationen sollen für zehn Wochen, also 2,5 Monate lang, gespeichert werden. Darüber hinaus werden auch die Standortdaten von Mobiltelefonen erhoben – auf sie können Ermittler vier Wochen lang zugreifen. Da sich hiermit umfangreiche Bewegungsprofile aller Bürger erstellen lassen, soll die kürzere Speicherfrist dieses Risiko minimieren.
Von der Überwachung ausgeschlossen sind E-Mails sowie die eigentlichen Kommunikationsinhalte. Bei einem Telefonanruf etwa wird also gespeichert wer wen zu welcher Zeit angerufen hat und wie lange telefoniert wurde. Das Gespräch selbst soll jedoch nicht aufgezeichnet werden. Dadurch klingt die Vorratsdatenspeicherung vermeintlich harmlos – Ein gewaltiger Irrtum: Verbindungsdaten sagen weit mehr über uns aus als wir denken – Teilweise sogar mehr als die eigentlichen Inhalte. In den USA reichen diese Daten sogar für gezielte Tötungen aus.
Welchen Nutzen hat die Vorratsdatenspeicherung?
Bei diesem massiven Eingriff in die Grundrechte und Privatsphäre der Deutschen müsste der Nutzen überwiegen, um so etwas überhaupt diskutieren zu können geschweige denn in die Tat umzusetzen – Denkt man. Hört man die Aussagen von Politikern, insbesondere von CDU/CSU/SPD, wird man darin bestärkt: So sagte der Justizminister Heiko Maas erst im Mai 2015
Nach all den Gesprächen, die wir geführt haben, auch mit den Ermittlungsbehörden, hat es in der Vergangenheit viele Fälle gegeben, auf denen aufgrund vom Nichtvorhandensein von Daten, weil sie nicht gespeichert waren, Straftaten auch nicht aufgeklärt werden können.
Auf Nachfrage seitens „Die Linke“ wurde jedoch nicht mal ein konkretes Beispiel genannt – Bereits das erscheint mehr als fragwürdig. Beschäftigt man sich intensiver mit dem Thema, zeigt sich diese Skepsis vollkommen begründet: In Deutschland wurde 2007 schon einmal die Vorratsdatenspeicherung beschlossen und im darauffolgenden Jahr eingeführt. Das Ergebnis mag überraschen: Die Aufklärungsquote von im Internet begangenen Straftaten sank von 79,8% auf nur noch 75,7%. Nebenbei bemerkt wurde die Vorratsdatenspeicherung bereits 2010 wieder abgeschafft, da das Bundesverfassungsgericht sie grundgesetzeswidrig einstufe.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es noch etliche weitere Belege für Falschaussagen von Politikern zur Vorratsdatenspeicherung gibt. Ein bekanntes Beispiel ist der stellvertretende Bundeskanzler Sigmar Gabriel. Er fiel bereits mehrfach mit Beispielen von Ländern auf in denen die Vorratsdatenspeicherung einen großen Beitrag geleistet haben soll – Bei Prüfungen stellte sich jedoch heraus, dass in den genannten Ländern zum fraglichen Zeitpunkt überhaupt keine Vorratsdatenspeicherung stattfand, oder die Täter auf vollkommen anderen Wegen gefasst wurden. Weitere Beispiele werden wir hier nicht auflisten, da sie den Rahmen des Artikels bei weitem sprengen würden.
Aber wer unschuldig ist, der hat doch nichts zu verbergen – oder?
Ein leider weitläufiger Irrtum. Zunächst ist Privatsphäre neben der Unschuldsvermutung ein Menschenrecht. Die Justiz muss daher Indizien vorlegen können, die wiederum eine Überwachung oder Offenlegung rechtfertigen. Eine Verallgemeinerung, dass jeder der nichts verbrochen hat seine gesamten Kommunikationsdaten offenlegen soll, wäre eine Verdrehung der Unschuldsvermutung um 180 Grad.
Abgesehen davon ist eine weiße Weste keine Garantie, auch tatsächlich als Unschuldig angesehen zu werden: Eine absurde Rasterfahndung stellte im Jahr 2007 alle Menschen unter Generalverdacht, die über ihre Kreditkarte einen Betrag von 79,99$ bezahlt haben. Dadurch gerieten zahlreiche unschuldige ins Visier der Ermittler – darunter auch Käufer eines Apple iPods, der ebenfalls 79,99$ kostete. Dieser Fall macht deutlich, wie leicht unschuldige Bürger durch solche Daten in das Visier von Ermittlern geraten können.
Viele Menschen die diese Aussage treffen, haben sich wenig bis überhaupt nicht mit der Thematik beschäftigt. Sie wissen nicht, welche Daten sie bewusst oder unbewusst erzeugen und was damit angestellt werden kann. Einen sehr guten Vergleich für diese gefährliche Behauptung hat Edward Snowden in einem Interview genannt: Wer nach diesem Muster argumentiert, der könne auch behaupten: Ich brauche keine Meinungsfreiheit, denn ich habe ja nichts zu sagen.
Welche Risiken drohen?
Umfangreiche Datensammlungen bieten immer das Risiko des Missbrauches: Zugriffsberechtigte können private Informationen unberechtigterweise an Dritte weitergeben. Oder die Daten werden gar veröffentlicht, etwa durch einen Hacker-Angriff. Dies ist besonders unter dem Hintergrund gefährlich, da auch die Daten von Geheimnisträgern wie Ärzte, Rechtsanwälte oder auch Psychologen gespeichert werden. Man kann sich hier also nie sicher sein, dass diese Informationen nicht in falsche Hände gelangen.
Besonders bei Journalisten ist dies zum Schutz sensibler oder anonymer Quellen wie Whistleblower äußerst fatal. Auf die Diskretion unserer eigenen Regierung können wir uns dabei leider keineswegs verlassen – dies haben die Ermittlungen gegen Netzpolitik wegen Landesverrats uns erst vor wenigen Monaten deutlich gemacht. Informanten, die bereit sind Misstände aufzudecken, können dadurch abgeschreckt werden, ihre Informationen überhaupt erst weiterzugeben.
Die Kosten: Wir werden für unsere eigene Überwachung zahlen
Laut einer Schätzung der Bundesnetzagentur soll die Vorratsdatenspeicherung mit mindestens 260 Millionen Euro zu Buche schlagen. Und das ist nur eine ungefähre Schätzung für die Technik, welche nötig ist, um die gewaltigen Datenmassen speichern zu können. Weitere Kosten wie etwa für entsprechendes Personal sind hierbei noch gar nicht berücksichtigt, sodass die reale Summe wahrscheinlich noch höher sein wird.
Wie in der Wirtschaft üblich, werden solche Kosten natürlich an die Kunden weitergegeben. Letztendlich dürfen wir uns daher auf steigende Kosten für Internet, Telefon, Mobilfunk & co. einstellen – Um damit unsere eigene Überwachung zu finanzieren.
Deutsche wollen keine Vorratsdatenspeicherung
Eine kürzlich vorgenommene repräsentative Umfrage zeigt: Mit 54 Prozent ist eine Mehrheit der Deutschen gegen die Vorratsdatenspeicherung. Lediglich 30 Prozent sprechen sich klar dafür aus. Die derzeitige politische Entscheidung für eine Einführung widerspricht also nicht nur der Meinung von Experten, sondern eben so die der Deutschen Bevölkerung.
Fazit: Unverhältnismäßig und unnötig
Unter Berücksichtigung der Fakten ist zu dem Thema ist ernüchternd: Die Politik wird nicht müde uns zu erzählen, dass die Vorratsdatenspeicherung absolut notwendig sei, damit morgen nicht die totale Anarchie drohe. In der Praxis sind dies jedoch haltlose Behauptungen ohne Belege. Im Gegensatz dazu gibt es Belege für den fehlenden Nutzen der Vorratsdatenspeicherung. Und für die damit verbundenen drastischen Einschränkungen der Privatsphäre aller Bürger, die durch das Grundgesetz jedem garantiert ist. Auch ist bekannt, dass einige Politiker bewusst Lügen, im positive Propaganda zu verbreiten.
Die vernünftige Schlussfolgerung in dieser Debatte muss daher lauten: Die Vorratsdatenspeicherung ist ein ungeeignetes Überwachungsinstrument, das unverhältnismäßig tief in die Privatsphäre der Bürger eingreift.
Unterschriftensammlung für Verfassungsbeschwerde – Aktualisierung vom 18.10.2015, 13:57
Ab sofort sammelt der Verein digitalcourage Unterschriften und Spenden von Bürgern, um eine Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einzuleiten. Die Abgabe der Unterschrift in digitaler Form dauert nur wenige Minuten – Spenden sind natürlich freiwillig.