Bereits seit Monaten toleriert YouTube keine AdBlocker mehr. Zumindest offiziell, denn so einfach ist das nicht – es kam zu einer digitalen Schnitzeljagdt. Doch nun werden deutlich schärfere Maßnahmen getestet, die Werbeblocker endgültig lahm legen sollen. Was dazu bisher bekannt ist, erfährst du in diesem Beitrag.
Der Kampf gegen die Werbeblocker: Was bisher geschah
Wer kein Geld für die Nutzung von YouTube bezahlen möchte, stellt seine Daten und Zeit für Werbeanzeigen zur Verfügung – so lässt sich der Deal zur Nutzung der größten Videoplattform zusammen fassen.1 Es war ein offenes Geheimnis, dass Nutzer diesen Deal einseitig aufheben und die Videos ohne Googles Werbung anschauen konnten. Möglich machen es Adblocker, die Werbung erkennen und gar nicht erst anzeigen. Auch alternative YouTube-Apps zeigen Videos, ohne Erlöse zu erwirtschaften. Lange Zeit hat der Konzern das toleriert. Es war wohl eine Mischkalkulation, ähnlich wie mit Schwarzfahrern der Bahn. Doch die Adblock-Quote stieg.
2022 sanken YouTubes Werbeeinnahmen und das Unternehmen begann 2023, mehr Werbung zu zeigen sowie gegen Nutzer von Werbeblockern vorzugehen. Zunächst mit Hinweisen bei einem Teil der Zuschauer, die im Verlauf des Jahres zunehmend verschärft wurden. Das führte zu einem Katz-und-Maus-Spiel: Die Werbeblocker erkannten YouTubes Erkennungsmaßnahmen für Werbeblocker, um diese wiederum zu blockieren. Dagegen wehrte sich Google, in dem der Code zur Erkennung Ende 2023 bereits mehrmals täglich angepasst wurde.
Parallel geht Google seit einiger Zeit gegen alternative Oberflächen vor, die Werbung umgehen.2 Mehrere mussten daraufhin eingestellt werden, jüngst beispielsweise ReVanced.3 Im Zuge des Kampfs gegen Werbeblocker kam es immer wieder zu Kollateralschäden, teils auf beiden Seiten. So wurden zum Jahresbeginn 2024 Videos mit manchen Werbeblockern langsamer geladen. Vermutet wurde, dass YouTube diese gezielt sabotieren würde. Dies stellte sich jedoch als Fehler in AdBlock Plus heraus.4 Erst kürzlich sprangen Videos automatisch zum Ende. Was in diesem Fall dahinter steckte, blieb unklar. Das Problem ließ sich nicht reproduzieren. YouTube selbst dementiert eine Absicht – lässt mit einer vaguen Formulierung allerdings offen, ob es ein Kollateralschäden neuer Funktionen sein könnte.5
Werbung im Videostream: Meine Prognose wird wahr
In der Diskussion meines ersten Beitrages zu diesem Thema erklärte ich bereits, wie viel Macht Google im Web besitzt und wie sie damit Werbeblocker noch viel schlagkräftiger Zerstören könnten. Den Großteil davon haben sie bisher nicht eingesetzt – das können sie aber jederzeit ändern. Meine Prognose im zweiten Beitrag (Oktober 2023) lautete: Google wird es erst mal auf die sanftere Tour versuchen, ob sie den „Netflix-Effekt“ erzielen. Die haben durch das Ankündigen ihres Account-Sharing Verbotes doppelt so viel Umsatzwachstum erzielt, als sie selbst erhofft hatten. In dem Fall würde man es zumindest vorerst wieder gut sein lassen. Spielen zu wenig mit, wird YouTube einen Gang höher schalten und anfangen wirklich ernst zu machen.
Am 12.06.2024 gibt SponsorBlock bekannt, dass YouTube mit serverseitig injizierter Werbung experimentiert.67 Ähnlich wie im Fernsehen erfolgt die Übertragung auf dem gleichen Weg: Der Film wird nicht mehr gesendet, sondern man überträgt stattdessen den Werbeblock. SponsorBlock hat das gemerkt, weil sie sich auf jene Werbung spezialisiert haben, die Kanalbetreiber ins Video einbauen. Zwischen Werbung der Kanalbetreiber und der von YouTube muss man differenzieren, um es zu verstehen.
Werbung von YouTube oder dem Kanalbetreiber?
Als Kanalbetreiber lade ich ein Video auf YouTube hoch und kann dort alles einbauen, was den Nutzungsbedingungen entspricht. Mit größerer Reichweite kann man z.B. von Unternehmen Geld dafür erhalten, in diesem Video für sie zu werben. Das ist statische Werbung, ohne große Auswertungen und Personalisierung – jeder Zuschauer sieht das, was der Kanalbetreiber ins Video eingebaut hat. Sofern er das macht, nicht jeder tut das, ich z.B. nicht. Außerdem ist sie fest im Video verbaut. SponsorBlock sammelt daher die Zeitstempel von Nutzern, zu denen sie solche eingebaute Video bemerken. Andere Zuschauer können sie dadurch überspringen.
YouTube ist hierbei nicht involviert und sieht von dem Geld keinen Cent. Sie bauen daher eigene Werbung ihrer Kunden ein. Die ist dynamisch, es wird zum Wiedergabezeitpunkt entschieden, welche Werbung an welcher Stelle erscheint. Google bekommt den Großteil. Ein Teil fließt an Kanalbetreiber, die in YouTubes Partnerprogramm Mitglied sind. Da diese Werbung die gesamte Plattform und somit jeden Betrifft, zielen die ganzen Anti-Adblocker-Maßnahmen darauf ab.
Wie wurde das entdeckt?
Was SponsorBlock macht, ist Google somit ziemlich egal. Die potenziellen Verluste an Einnahmen treffen ja die Kanalbetreiber, wenn überhaupt. SponsorBlock scheint im Vergleich zu Werbeblockern deutlich weniger verbreitet zu sein. So hat z.B. die SponsorBlocks Firefox-Erweiterung über 453.000 Installationen,8 während es bei uBlock Origin über 7,9 Millionen sind.9 Sortiert man die Firefox-Erweiterungen nach Anzahl an Anwendern, steht uBlock Origin auf Platz 1.10 Es folgt mit AdBlock Plus ein weiterer Werbeblocker. SponsorBlock dagegen findet sich erst 30 Plätze weiter auf Seite 2.
Bemerkt wurden die neuen Experimente hier als Erstes, weil SponsorBlock für die im Video eingebetteten Sponsorings Zeitstempel erfasst. Nachdem YouTube erstmals Werbung direkt serverseitig in den Videostream ausliefert, stimmen die nicht mehr.
Ein Beispiel: Im originalen Video befindet sich vom Kanalbetreiber zwischen 1:10 und 2:00 Werbung. Wenn YouTube vor der Wiedergabe bei 0:50 einen 15 Sekunden Spot einfügt, beginnt die zweite Werbung im Video bei 1:10 + 15 Sekunden = 1:35 und endet auch 15 Sekunden später. Als Folge überspringt SponsorBlock unabsichtlich Teile des erwünschten Inhalts, während das Sponsoring nur teilweise oder gar nicht ausgeblendet wird.
Was kann man dagegen tun?
Bisher konnte Werbung relativ leicht an typischen Merkmalen erkannt werden, weil YouTube Video und Werbung getrennt ausliefert. Werbeblocker wie uBlock Origin funktionieren daher trotz allem recht zuverlässig – von einzelnen Ausnahmen durch Googles Anpassungen abgesehen. Drittanbieter-Oberflächen machten es sich noch leichter: Sie laden schlicht nur die Videos in den Player und ignorieren Werbung. Derzeit ist mir keine Implementierung dafür bekannt. Es war ja bisher auch nicht nötig, da es Google den Werbeblockern vergleichsweise leicht gemacht hat.
Ist das Ende der Werbeblocker gekommen?
Wenn YouTube allerdings nun die Werbung serverseitig in die Videos einbaut (ähnlich wie die Sponsorings der Kanalbetreiber), ist das weitaus schwieriger. Man müsste jedes Bild mit maschinellem Lernen („KI“ fürs Buzzword-Bingo)11 analysieren und werbe-typische Inhalte erkennen, um unerwünschte Werbung vom gewollten Inhalt zu unterscheiden. Das ist kompliziert, fehleranfällig und kostet deutlich mehr Ressourcen – ein deutlich größeres Kaliber.
Vorerst ist das noch ein Experiment, daher werden wahrscheinlich viele von euch erst mal nicht betroffen sein. Allerdings haben die anderen Blockaden von klassischen Werbeblockern genau so angefangen: Erst mal mit einem geringen Teil der Nutzer ausprobieren, Erfahrungen zu den Reaktionen sammeln und langsam an mehr Menschen verteilen12. Das kann sich bei Nutzerzahlen im Milliardenbereich über Monate hin ziehen. Ob Google das groß ausrollt und an wen, bleibt unklar. Schließlich kostet es auch in deren Rechenzentren mehr Ressourcen, pro Video und Konstellation aus Werbung einen eigenen Videostream zu rendern. Und würde zu weiteren Problemen/Kollateralschäden führen – etwa ungültige Zeitstempel in den Kapiteln der Videobeschreibung oder Kommentaren.
Wahrscheinlich sieht es die Branche der Werbeblocker als Herausforderung. Es ist allerdings davon auszugehen, dass dies fehleranfälliger wird und mehr Ressourcen benötigt – ähnlich wie uBlock Origin Lite nach Googles Einschränkungen durch Manifest V3. Zudem kommt es darauf an, wie oft YouTube die Werbung darin ändert. Je seltener, um so eher hätten Werbeblocker eine Chance, ggf. durch menschliche Analyse in Zukunft doch noch bei zumindest einem Teil der Nutzer die Werbung zu erkennen. Fest steht jedoch, dass der Aufwand steigen und die Qualität sinken würde.
Wie wird es weitergehen?
Maßgeblich wird sein, ob es am Ende wirtschaftlich ist. Außerdem könnte man die Kosten reduzieren. Als kapitalistisch orientierter Konzern würde ich zur Umsatzmaximierung erst mal eine Zeit lang analysieren, welche Nutzer am meisten Werbung blockieren, ohne Gegenmaßnahmen. Wer über eine gewissen Schwelle (etwa mehr als 40% geblockt – müsste man ausrechnen, was sich am meisten lohnt) liegt, erhält die aufwändigeren Videos mit eingebetteter Werbung. Nutzer, die kaum oder gar keine Werbeblocker einsetzen, bekommen die jetzigen, leicht manipulativen getrennten Streams. Das ließe sich noch weiter treiben, um höhere Kosten nur da zu haben, wo es sich lohnt.
Der Trick an der Sache: Diese Erkennung ließe sich clientseitig kaum blockieren, weil sie serverseitig erfolgen könnte, wenn nötig. Serverseitig muss man nur schauen, ob eingespielte Werbung vom Client abgerufen wird. Ruft er die Werbung nicht ab, aber konsumiert weiter den Videoinhalt, haben wir einen Werbeblocker. So vergleichsweise einfach kann man das im Web kaum woanders erkennen.
Dazu sei noch an den verschärften Teil meiner letzten Prognose erinnert: DRM. Damit könnten sie – alternativ zu Erkennung – jeden Werbeblocker, der versucht das zu umgehen, als bösen Raubmordkopierer1314 anzeigen. Ein ähnlicher Fall zwang den JDownloader 2013 zum Entfernen einer Funktion, die geschützte Streams von MyVideo (einem damaligen YouTube Konkurrenten) herunterladen konnte.15 Das Gericht sah darin eine „technisch wirksame Schutzmaßnahme“, die laut Urheberrecht verboten ist.1617 Der öffentliche Mainstream-Vertrieb von wäre damit zu Ende und dürfte das Thema deutlich eindämmen.
Ob Google das in ein paar Monaten ähnlich umsetzen wird? Fakt ist jedenfalls: Der Startschuss scheint gefallen. Die Ergebnisse der Tests werden auch hier über die Zukunft entscheiden.
Quellen
- https://about.google/intl/ALL_de/stories/google-werbung/ ↩︎
- https://www.androidpolice.com/google-finally-succeeds-in-killing-youtube-vanced/ ↩︎
- https://www.androidpolice.com/youtube-cracking-down-third-party-apps-like-revanced/ ↩︎
- https://www.golem.de/news/fehler-in-adblock-plus-google-ist-doch-nicht-fuer-langsames-youtube-verantwortlich-2401-181202.html ↩︎
- https://www.golem.de/news/werbeblocker-uebersprungene-youtube-videos-keine-anti-adblock-massnahme-2405-185578.html ↩︎
- https://x.com/SponsorBlock/status/1800835402666054072 ↩︎
- https://fosstodon.org/@sponsorblock/112603139898164385 ↩︎
- https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/sponsorblock/ ↩︎
- https://addons.mozilla.org/de/firefox/addon/ublock-origin/ ↩︎
- https://addons.mozilla.org/de/firefox/search/?page=1&sort=users&type=extension ↩︎
- https://entwickler.de/machine-learning/einblicke-in-die-konigsdisziplin-001 ↩︎
- https://www.galaxus.de/de/page/youtube-testet-timer-fuer-ad-blocker-29152 ↩︎
- https://www.youtube.com/watch?v=U6H4iv1iOOU ↩︎
- https://www.spiegel.de/netzwelt/web/kampagne-der-filmindustrie-raubkopierer-sind-verbrecher-a-275867.html ↩︎
- https://www.heise.de/news/JDownloader-Gericht-verbietet-Stream-Recorder-1892674.html ↩︎
- https://torrentfreak.com/court-open-source-project-liable-for-3rd-party-drm-busting-coding-131205/ ↩︎
- https://www.ratgeberrecht.eu/urheberrecht-aktuell/jdownloader2.html ↩︎